Pazifismus und so…

Nebenbei bemerkt, weil man sich offenbar mittlerweile dafür schämen muss und alle sich dafür entschuldigen, dass sie es bis vor Kurzem angeblich gewesen sind: Ich bin trotzdem noch Pazifist.

Steht jetzt hier für den Fall, dass wir in 20 Jahren darüber diskutieren, wie man den Asow-Truppen die Waffen wieder abnimmt, die man ihnen selbst geliefert hat. Hat ja bei den Taliban auch gut funktioniert.

Ahja, stimmt, sind ja nicht mehr rechtsradikal, die Jungs, muss so sein, hab ich ihm Spiegel gelesen. Haben sich ja distanziert, nutzen ja nicht mehr die Schwarze Sonne als Symbol… gut, die Wolfsangel nutzen sie schon noch, aber das zeigt doch, dass sie nur noch halb so rechtsradikal sind wie früher. Wird schon. Naiv sind natürlich nur diejenigen, die immer noch Pazifisten sind, obwohl im Krieg Verbrechen begangen werden und Menschen sterben. Schon der 1. Weltkrieg hat ja weitere Kriege verhindert, „the war to end all wars“, wie man damals sagte. Hat super funktioniert, oder etwa nicht? Und schon bei Orwell steht ja, dass Krieg Frieden ist. Ach, das war als Kritik gemeint? Naja, Putin behauptet es ja auch, da stimmt es dann natürlich nicht, wir aber rüsten für den Frieden. Orwell hat ja immer nur dann recht, wenn’s gerade ins Konzept passt. Propaganda macht immer nur der Feind.

Ach ja, und weil man das offenbar auch immer dazu sagen muss, obwohl es eine Selbstverständlichkeit ist: ja, verantwortlich ist Putin und der innere Kreis um ihn. Das macht aber nicht alles, was man gegen ihn unternimmt, richtig.

https://www.amazon.de/Isolation-Texte-aus-dem-Donbass/dp/3940524948

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-deutschen-wollen-den-krieg-in-der-ukraine-gewinnen

https://www.heise.de/tp/features/Kriegsverbrechen-Schwere-Vorwuerfe-gegen-ukrainisches-Freiwilligen-Bataillon-7095942.html

https://www.heise.de/tp/features/Wenn-in-Mariupol-niemand-Nazis-sehen-will-7060942.html?seite=all

Zensus

Super, ich hab das Glückslos gezogen und darf beim Zensus mitmachen. Scheint dringend notwendig zu sein, schon die Postleitzahl war falsch. Also nicht bei der Anschrift, da haben sie’s hinbekommen, sondern beim eigentlichen Datensatz. Das Internet und Google haben akkuratere Informationen über mich als der Staat.

Was ich gelernt habe…

Ich kann nicht mehr genau sagen, wann ich anfing, mich für Darmstadts Geschichte zu interessieren. Einzelne Informationsbrocken, nicht selten falsche, sind mir seit meiner Kindheit immer mal wieder begegnet, aber ab wann ich konkret begonnen habe, Dinge auch mal selbst zu recherchieren und Aussagen zu prüfen, weiß ich nicht mehr.

Was ich noch weiß, ist, dass die beiden ersten Themen, die ich konkret und intensiv recherchiert habe, der Ursprung des Namens Darmstadt und die Hexenverfolgungen 1582 waren. Ersteres war aus simplem Interesse, weshalb ich mich zunächst auch lange mit Sabais‘ Erklärung zufriedengab, also der ersten, auf dich ich gestoßen bin, die so etwas wie eine Argumentation hatte und nicht nur: „das Wort darmund gibt es nicht, muss also ein Name sein“, was alles war, was für die Ableitung von einem Personennamen angebracht wurde.

Die Entstehung meines Interesses an den Hexenverfolgungen war dagegen deutlich komplexer. Schon als Jugendlicher wollte ich immer schreiben und habe auch einiges geschrieben, nicht selten von fragwürdiger Qualität. Und selbst die etwas besseren Texten waren nur deshalb besser, weil ich den Stil besserer Schriftsteller zu imitieren versuchte, erst Tolkien, dann William Golding, dann Eco, dann Wilde, dann Joyce und irgendwann Hunter S. Thompson. Und irgendwo zwischen all diesen, ich weiß nicht mehr genau an welcher Stelle, Gustav Meyrink. Es war ein mehr als wildes Durcheinander, das zeitweise dann auch noch von den Filmen von Werner Herzog, Jim Jarmusch und Terry Gilliam beeinflusst wurde.

In meiner James Joyce-Phase hatte ich dann ein paar Kapitel zu einem Roman geschrieben, der eine Art Ulysses in Darmstadt war. Eine spätere Überarbeitung wirkte dann eher wie Hunter Thompson. Es war ein echtes Chaos und weniger Erzählung als meine persönliche Methode, die Welt zu verstehen. Was mir damit nicht gelang.

Für diesen Roman aber, so zumindest mein Eindruck damals, benötigte ich Elemente aus der Stadtgeschichte und die Hexenverfolgungen passten sehr gut zu der Charakterzeichnung einer der Hauptfiguren, einer jungen Studentin aus prekären Verhältnissen und mit großem Freiheitsdrang.

Also recherchierte ich die Hexenverfolgungen und schrieb einige Rückblenden, die im 16. Jahrhundert spielten. Das aber störte den Rhythmus der Erzählung so sehr, dass ich irgendwann einen Roman entwarf, der komplett im Jahr 1582 spielte. Dafür musste ich dann noch mehr recherchieren, wodurch ich dann – rein zufällig – auf andere interessante Dinge stieß. So ist die Hauptquelle für die Hexenverfolgungen 1582 eine 1994 in der Vereinszeitschrift des Historischen Vereins für Hessen erschienene Arbeit von Thomas Lange und Jürgen Rainer Wolf, die sehr nah an den Primärquellen bleibt und diese auch abdruckt. In derselben Ausgabe der Zeitschrift (die faktisch Buchformat hat) findet sich auch eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Vierziger, eine Gruppe Darmstädter Auswanderer, die 1847 in Texas eine kommunistische Siedlung gründen wollten. Die Geschichte ist unglaublich spannend und obwohl ich mein ganzes Leben in Darmstadt verbracht habe, hatte ich vorher nie etwas davon gehört.

Aus dem Roman wurde nichts. Aus dem einfachen Grund, dass mir mit der Zeit bewusst wurde, dass ein historischer Roman, also eine dramaturgische Erzählung, extrem schwierig zu konstruieren ist, ohne die historische Seriosität zu verlassen. Was wir heute als gute und interessante historische Romane empfinden, sind üblicherweise historisierende Romane, also faktisch Fantasy für Leute, die Fantasy als Literaturgattung ablehnen. Es sind Projektionen unserer heutigen Gesellschaft. Als Beispiel sei der Roman „Die Päpstin“ genannt, der eine Propagandalegende auf den Kopf stellt und mehr Kommentar zur Frage ist, inwieweit die Gleichstellung von Mann und Frau fortgeschritten ist (oder auch nicht). Die Erfinder der Legende wollten vermutlich das Papsttum kritisieren, nicht weil sie die Päpstin verheimlichten, sondern gerade weil eine Frau angeblich einmal an der Spitze stand. Das war Ausdruck der Korruption oder wahlweise auch der Unfähigkeit des Vatikans und eine extrem frauenfeindliche Legende. Der Roman dagegen ist eine Kritik an den nach wie vor patriarchalen Strukturen heutiger Gesellschaften. Das ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was die Legende ursprünglich aussagen wollte.

Auch bei den Hexenverfolgungen läuft man schnell Gefahr, sie als Kommentar der gegenwärtigen gesellschaftlichen Stellung von Frauen zu missbrauchen. Zwar ist es keineswegs falsch, dass die jahrhundertelange Unterdrückung von Frauen auch in der Zuspitzung auf weibliche Opfer der Hexenverfolgungen zum Ausdruck kam. Aber das Thema ist viel, viel, viel komplexer. Doch weil ich ein moderner Mensch bin, neigte ich in dem Romanentwurf dazu, die Opfer der Hexenverfolgungen in moderner feministischer Sichtweise zu interpretieren. Warum? Weil das für uns heute relevant ist. Andere Aspekte der Hexenverfolgungen sind dagegen für uns heute weniger interessant und gehen dann in einem Roman unverhältnismäßig unter, zumindest, wenn er für uns heute interessant zu lesen sein soll.

Also ließ ich das sein. Die Büchse der Pandora war aber geöffnet und von da an kam ich von einem Thema der Darmstädter Geschichte zum nächsten. Darunter auch die Behauptungen eines gewissen Walter Scheele über die Burg Frankenstein und den dort geborenen Alchemisten Johann Konrad Dippel.

Die Beschäftigung mit Scheele war extrem unterhaltsam und befriedigend, weil er es einem so leicht machte, die besseren Argumente zu haben. Im Nachhinein bin ich nicht ganz glücklich damit, dass ich vermutlich ein wenig dazu beigetragen habe, dass er den Quatsch nicht mehr macht. Am Ende wollte er ja nur eine spannende Geschichte erzählen. Daran ist nichts verwerflich. Nicht jeder hat dasselbe Interesse an Geschichte wie ich. Und wenn man sich daher mit gewissen Details nicht beschäftigt, weil sie für einen nicht sonderlich relevant sind, dann stoßen einen die Unstimmigkeiten auch nicht so sehr auf. Und ohne die Unstimmigkeiten zählt dann nur, ob die Geschichte gut erzählt ist. Und vielleicht noch, was man damit aussagen will. Aber das hängt dann am Weltbild des Publikums und hat weder mit Fakten noch Geschichte viel zu tun.

Selbst schuld ist er aber auch, weil er gegenüber Kritik sehr unangebracht reagiert hat. Mittlerweile, ich habe wenig von ihm gehört in letzter Zeit, scheint er es ein wenig eingesehen zu haben, dass er Geschichtenerzähler ist und kein Historiker, dass seine Aussagen keinen historischen, sondern Unterhaltungswert haben. Sofern mir da nicht Informationen fehlen, soll das auch ausdrücklich meine Wertschätzung haben. Es ist aber bezeichnend, dass er erst mit Nazi-Ufos kommen musste, bevor er gemerkt hat, dass er den Bogen vielleicht doch etwas überspannt.

Am Ende hat er aber auch durchaus Dinge erreicht. Ich hätte mich nie intensiv mit Johann Konrad Dippel beschäftigt, hätte Scheele nicht so viel Unsinn über ihn erzählt. Und Dippels Biographie ist durchaus sehr spannend, auch ganz ohne Frankensteins Monster.

Die Beschäftigung mit Scheeles Aussagen, vor allem, dass man bei der Widerlegung mit relativ geringer Mühe Erfolgserlebnisse haben konnte, war für mich ein völlig neuer Lernprozess. Denn weil Scheele einen pseudowissenschaftlichen Stil pflegt, es gleichzeitig aber sehr leicht macht, die Fehler in seiner Argumentation (und nicht selten auch schlichte Erfindungen) zu erkennen, lernte ich, das auch bei seriöseren Autoren zu bemerken.

Ein schönes Beispiel dafür ist die angebliche Totenmaske Shakespeares. Die Verfechter der These machen es einem nicht ganz so leicht wie Scheele. Vor der Beschäftigung mit Scheeles Thesen hätte man mich damit möglicherweise überzeugen können. Dabei ist es völliger Mumpitz.

Ich musste allerdings auch lernen, dass man vorsichtig sein muss, bei dieser Herangehensweise nicht selbstgefällig zu werden und Dinge abzulehnen, nur weil sie etabliert sind. Ich bin zwar nach wie vor nicht davon überzeugt, dass der Name Darmstadt auf den Personennamen Darmund zurückgeht, aber ich war über lange Zeit sehr aggressiv gegenüber dieser These. Nicht ganz ohne Grund, denn die Problematik, dass die These im 19. Jahrhundert einfach mal jemand in den Raum geworfen hat, woraufhin es, weil es gut in den Zeitgeist passte, wieder und wieder abgeschrieben wurde, bis man es als Fakt angenommen hat, sehe ich nach wie vor. So dürfen sich keine Thesen etablieren. Meine Ablehnung der These als zumindest eine von mehreren Möglichkeiten schoss dann aber über das Ziel hinaus. Immerhin: sowohl die These selbst als auch meine Ablehnung sind schöne Beispiele für ein argumentum ad ignorantiam.

Vergeudete Zeit war das nicht, weil nachdem auch Sabais‘ Erklärung einem genaueren Blick nicht standhielt, der Versuch, alternative Erklärungen zu suchen, durchaus interessante Beobachtungen ergeben hat, nicht nur zu Darmstadt, sondern der gesamten frühmittelalterlichen Siedlungsstruktur Südhessens oder eigentlich sogar ganz Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens. Ich bin nicht sicher, ob sich vor mir jemand wirklich so intensiv die Verteilung von Siedlungen mit dem Suffix -stat angeschaut hat. Dass ich dennoch meine Hypothese dazu nicht belegen konnte, spricht zwar ein bisschen gegen sie, die offenen Fragen, die da bleiben, werden sich aktuell bei professionellen Historikern aber überhaupt nicht gestellt. Dabei gäbe es dort durchaus spannende Forschungsansätze.

Letztendlich musste ich dann selbst die Quelle finden, die eines meiner Hauptargument gegen Darmund widerlegt, nämlich, dass es keinen Beleg für die Existenz dieses Namens vor dem 18. Jahrhundert gibt, und selbst dieser einmalig bei einer Figur aus einem Theaterstück auftaucht und daher frei erfunden sein könnte. Und dann passt diese Quelle auch noch zeitlich und inhaltlich so gut, dass es sogar möglich wäre, dass es der Darmund war, der unserer Stadt seinen Namen gegeben hat. Ein fränkischer Adliger, der seine Besitztümer verkaufte in einer Zeit, in der massiv fränkische Adlige ihre Heimat verließen, um in Südhessen Ortschaften zur Kontrolle der einheimischen Alemannen zu gründen. Natürlich ist das extrem spekulativ und wird sich wohl nie belegen lassen, aber dass es plausibel ist, ändert sich daran auch nicht, dass ich nach wie vor, müsste ich mich für eine Möglichkeit entscheiden, auf eine andere tippen würde.

Was mir diese Entdeckung aber auch gezeigt hat, ist, wie zäh und mühselig es sein kann, bis man ein winziges neues Detail entdeckt, bis einem eine Idee kommt, wo man noch nicht nachgeschaut hat. Zäh ist das, weil in den allermeisten Fällen findet man dort dann eben auch nichts.

Am Anfang war die Beschäftigung mit der Darmstädter Geschichte sehr befriedigend, weil je weniger man weiß, desto mehr Neues kann man entdecken, desto mehr Erfolgserlebnisse hat man, desto mehr neue Erkenntnisse bekommt man. Später wurde es mühseliger, Neues zu entdecken, die Erfolgserlebnisse seltener. Das kann frustrierend sein und manchmal führt diese Frustration dazu, neue Erkenntnisse forcieren zu wollen, auch wenn es dafür einfach zu wenige Informationen gibt. Das habe ich an ein paar Stellen gemacht. Und dementsprechend weniger überzeugt als bei der Widerlegung Scheeles.

Das ist sicher einer der wichtigsten Gründe, weshalb meine Beschäftigung mit der Darmstädter Geschichte an einen toten Punkt geraten ist, und das faktisch seit ich vor mittlerweile 5, fast 6 Jahren eine Quelle finden konnte, die die Existenz des Namens Darmund spätestens im 8. Jahrhundert belegt. Das habe ich eine Zeitlang noch aufgearbeitet und in meine bisherigen Thesen eingepflegt. Aber das war es dann eigentlich. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich danach nur noch größere Recherchen zu Shakespeares Totenmaske angestellt, aber Thesen widerlegen, ist immer deutlich einfacher, als sie zu belegen.

Sinnlos war das alles sicher nicht. Auch die Zeit war sicher nicht vergeudet. Aber es erklärt eben doch, warum auf diesem Blog nicht mehr viel los ist. Das Potential, das ich aus dem Thema mit den Möglichkeiten, die ich aktuell habe, sprich in meiner Freizeit mit öffentlich zugänglichen Quellen, deren Sichtung auch in dieser begrenzten freien Zeit, die natürlich auch durch andere Dinge aufgebraucht wird, erfolgen kann, hat sich erschöpft. Natürlich kann es sein, dass ich über eine neue Information stolpere oder jemand anderes eine neue Information zutage bringt, die dann wieder eine ganze Kaskade von neuen Recherchen und neuen Erkenntnissen zur Folge hat. Solange das aber nicht geschieht, ist diese Form der Beschäftigung mit der Darmstädter Geschichte für mich ausgereizt.

Hessenschau disst Darmstadt

Heute im Corona-Liveticker von hessenschau.de:

Einige hessische Städte haben es bereits vorgemacht, heute zieht auch Darmstadt nach: Ab Mittwoch gibt es in der selbsternannten Wissenschaftsstadt ebenfalls 2G-Bändchen, die die Kontrollen der Corona-Auflagen in Geschäften und der Gastronomie vereinfachen sollen.

Unabhängig davon, dass ich diese Bändchen-Regelung für fragwürdig halte. Es ist ein Unterschied, ob man den Impfstatus bei einer Einlasskontrolle prüfen darf oder ob der Impfstatus für jeden öffentlich sichtbar ist, auch für Leute, die das einen Schnurz angeht… aber was soll denn in der Meldung dieses „selbsternannte“. Der Titel Wissenschaftsstadt ist Darmstadt vom hessischen Innenministerium verliehen worden. Man kann den Titel albern finden, aber Darmstadt hat das nicht mal einfach als Jux in Eigenermächtigung auf seine Ortseingangsschilder gepappt.

Jahresabschlussbetrachtung

Es ist Zeit für eine kleine Abschlussbetrachtung eines Jahres, in dem wieder nur wenig so gelaufen ist wie erhofft. Auch wenn die aktuelle Corona-Lage prinzipiell absehbar war, ein bisschen besser hätte es schon laufen können. Auf lange Sicht wird es sicher spannend zu analysieren, wie Kommunikation in der Pandemie funktionierte, wie sich Mehrheitsmeinungen gebildet haben, wie sehr Fakten und wie sehr Narrative diese Meinungsbildung bestimmt haben, wer welchen Einfluss auf die Meinungsbildung der breiten Masse hatte, wie Meinungen und Handeln sich unterschieden (und warum), wie sehr gesellschaftliche Strukturen, die nicht auf eine Pandemie ausgelegt sind, das Handeln auch entgegen besserem Wissens bestimmten – Ignoranz auf der einen Seite, kontraproduktive Katastrophenrhetorik und blinder Aktionismus auf der anderen. Dass Menschen in Narrativen denken, nicht in Fakten, war selten so deutlich wie während dieser Pandemie.

Und auch, wie intensiv Narrative verteidigt werden. Wann immer die Realität nicht mitspielte, war die erste Reaktion nie, das Narrativ den neuen Beobachtungen anzupassen, sondern man zeigte erst mal rundherum auf potentiell Schuldige, die durch ihr Verhalten verhindert haben sollen, dass die eigenen Vorhersagen zutrafen.

Und das war völlig unabhängig davon, ob man Verschwörungsideologe war, Homöopathie-Anhänger, Politiker oder Virologe, Modellierer oder Average-Guy. Klar, mit manchen Narrativen war man näher an der Realität als mit anderen, mit manchen Grundeinstellungen war man eher empfänglich für die tatsächlichen Fakten als mit anderen, und manche Fakten haben bei nicht allzu wenigen Menschen über Leben und Tod entschieden. Dennoch: das prinzipielle Verhaltensmuster war bei allen gleich. Die Realität ist nicht so, wie ich sie mir vorgestellt habe? Daran muss jemand schuld sein! Bill Gates, unvernünftige junge Leute, die Politik an sich, Herr Spahn im Speziellen, die neue Regierung, obwohl die noch gar nicht regiert hatte, Virologen und Modellierer oder auch einfach nur Nena, Joshua Kimmich und Richard David Precht. Schon erstaunlich, wer irgendwie Verantwortung für eine Pandemie zu haben scheint. Für so mächtig hätte ich diese Leute gar nicht gehalten. Irgendwie wirkten während der Pandemie alle ja eher ohnmächtig.

Das Projektionspotential war enorm und die Gelegenheit günstig, diffuse Antipathien, die man gegen die ein oder andere Persönlichkeit schon lange hegte, zu konkretisieren. Die Wahl, wer für einen persönlich der böse Schuldige war, hing zum überwiegenden Teil vom eigenen Weltbild ab, selten war man es selbst oder irgendwas, auf das man tatsächlich Einfluss hatte und daher etwas tun könnte.

Es gab ja nicht wenige, die sich über zu tief sitzende Masken beschwert haben, selbst aber nicht auf den Spanien-Urlaub verzichten konnten. Oder die sich aktuell über Fußballspiele vor Publikum beschweren, aber zur Abendveranstaltung ins Theater gehen, die Weihnachtsmärkte schließen wollen, aber Weihnachtsfeiern mit dreistelliger Personenzahl in geschlossenen Räumlichkeiten veranstalten. Schuld sind halt immer die anderen. Ausnahmen finden nur bei sich selbst Anwendung.

Wenn dann gar keine Erklärung mehr funktionierte, war es ein Paradoxon (das „Schweden-Paradoxon“, das „Omikron-Paradoxon“). Paradoxa waren das nie, aber die Postulierung eines Paradoxons ist der letzte Versuch, ein Narrativ zu schützen, der letzte Versuch, die nicht ins Narrativ passende Beobachtung noch einzupflegen.

Auch die strukturellen Probleme des Journalismus waren selten so deutlich zutage getreten. So zahlreich das Onlineangebot auch sein mag, zentrale Meldungen basieren auf wenigen Agenturmeldungen, die dann immer dieselben Aspekte hervorheben und andere unterschlagen. Zuletzt war das Thema „Untererfassung“ sehr präsent in den täglichen Meldungen. Doch eine Unterfassung gibt es zwangsläufig immer. Den Hinweis, dass das RKI die Inzidenzen im Nachhinein durchaus noch korrigiert und auch da schon seit Ende November ein Plateau festzustellen war, fanden sich in diesen Meldungen nicht. Warum? Weil der Verfasser bei seinen Updates nur auf das RKI-Dashboard schaut, wo die Nachmeldungen noch fehlen. Mehr Recherche vorab ist aber nicht drin, weil dann käme die Meldung ein paar Stunden später und damit zu spät, weil alle anderen schon etwas gemeldet haben. Dass das weniger seriös und mit weniger Fakten gewesen ist, fällt da nicht ins Gewicht. Hauptsache, man hat die meisten Klicks.

Früher hieß es: Nichts ist so alt wie die Nachrichten von gestern. Im Zeitalter von Twitter ist nichts so alt wie der Tweet von heute Morgen. Wer seine Aufgabe als Journalist ernst nimmt, hätte das aber schon wissen können, lange bevor Karl Lauterbach es bestätigt hat. Man hätte beim RKI nur mal 3 Klicks weitergehen müssen.

Statt mehr Recherche verweist man dann darauf, dass „Experten der Meinung“ wären. Die Anonymität ist dabei fatal, denn manchmal werden Personen als Experten angesehen, die neben ihrer Expertise auch Vertreter einer Lobby sind, die daher vielleicht nicht die Unwahrheit sagen, aber doch bestimmte Dinge unverhältnismäßig und verkürzt in den Vordergrund rücken.

Die Abhängigkeit von Agenturmeldungen führt zu dem Eindruck, dass alle Zeitungen irgendwie dasselbe schreiben, was bei den einen zu einer Verfestigung falscher Ideen führen kann und bei anderen zum Ablehnen von Fakten, weil man Meldungen, die einen nichts ins Weltbild passen, ignoriert oder als Lüge ansieht.

Dann gibt es aber auch die vielen Kommentatoren. Hier kann man von Meinungsvielfalt sprechen. Blöd nur, dass diese Kommentatoren meist auch schon den Status von öffentlichen Persönlichkeiten haben und mehr daran interessiert sind, die eigene Marke zu erhalten. Faire Kommentare liest man wenig. Meistens geht es darum, irgendwen zu dissen. Das mag unterhaltsam sein und bis zu einem gewissen Grad seine Berechtigung haben, eine Diskussion oder seriöser Debattenbeitrag ist es nicht. Und da wird es dann kritisch. Den Shitstorm, den Precht (den ich persönlich auch nie sonderlich leiden konnte) erhalten hat, weil er nicht ganz auf Linie mit seiner Meinung ist, war verhältnislos und beunruhigend. Ähnliches gilt für den Shitstorm, den der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit erhielt, nachdem er bei Maischberger den Nutzen von FFP2-Masken relativierte. Dabei rückte er damit lediglich eine Diskussion in die Öffentlichkeit, die in der Wissenschaft nach wie vor existiert.

Gerade deswegen wird seine Aussage aber von einem großen Teil der Öffentlichkeit als unwissenschaftlich angesehen, denn viele verstehen nicht so richtig, wie Wissenschaft funktioniert. Der Begriff „Wissenschaft“ ist zum Scheinargument geworden. Die Aussagekraft wissenschaftlicher Studien können viele nicht einschätzen. Wenn sich dann Studien widersprechen, spricht man hilflos von einem Paradoxon, obwohl gar keines existiert.Sich damit zu beschäftigen, wird hochinteressant sein … im Nachhinein. Solange wir noch in so einer akuten Phase der Pandemie sind, ist alles aber einfach nur Mist.

Die Pandemie hat sicher auch ihren Teil dazu beigetragen, dass sich hier auf diesem Blog dieses Jahr wenig getan hat – allerdings nur als zusätzlicher Faktor, nicht als auslösender Grund. Mit einer täglichen Serie im Stile von „Was geschah heute vor x Jahren in Darmstadt“ hatte ich eine Zeitlang versucht, Inhalte zu bieten. Es stellte sich aber heraus, dass das zum einen am Ende deutlich mehr Arbeit war als gedacht, weil es zwar sicher genug Ereignisse dafür gibt, aber keine nach Datum sortierte Listen, zum anderen funktionierte die Idee, dass ein täglicher Output mehr Besucher generiert, überhaupt nicht, im Gegenteil, es hat wohl eher dazu geführt, dass die wenigen regelmäßigen Leser, die ich habe, sich nicht mehr jeden Beitrag angeschaut haben.

Die Wahrheit ist, dass Blogs an sich schon längst nicht mehr der heiße Scheiß sind und ohne begleitende Social Media-Seiten, sprich Facebook, Twitter, Instagram etc., nicht mehr funktionieren. Und das wiederum funktioniert nur, wenn man noch mehr Output hat, am besten mehrfach am Tag.

Aber eigentlich ist auch das heute nicht mehr ausreichend. Faktisch müsste man über Anbieter wie Youtube Videos mit gesprochenem Kommentar und ansprechend geschnittenen Bildern anbieten, um Leute zu erreichen. Ein Blog selbst ist allenfalls zur Vertiefung noch zeitgemäß bzw. zum Quellennachweis. Etwas, das ich mir meistens gespart habe, zum einen, weil ich Leute nicht mit einem akademischen Stil verschrecken wollte, zum anderen aber auch einfach, weil das noch mehr Zeit gekostet hätte. Im Nachhinein ärgere ich mich darüber, weil ich selbst schon des Öfteren neu nachrecherchieren musste, woher ich denn eine konkrete Aussage in einem Blogeintrag ursprünglich hatte.

Eine aufwendigere Beschäftigung zum Beispiel mit Videos ist zeitlich für mich nicht drin. Tatsächlich habe ich auch noch andere Hobbys ;-). Und um das wirklich gut zu machen, bräuchte man den Zeitaufwand von zumindest einem Teilzeitjob. Der dann auch ein Job sein müsste, kein Ehrenamt. Solange also das Stadtarchiv oder Staatsarchiv nicht auf die Idee kommt, mehr Öffentlichkeitsarbeit in den Multimediabereich zu stecken, ist das für mich keine Option (und selbst wenn, nehmen die ja nicht mich, sondern, naja, Multimedialeute halt).

Wobei ich tatsächlich wenig gegen eine neue berufliche Herausforderung einzuwenden hätte aus Gründen, die ich hier nicht im Detail erklären kann. Ganz allgemein gehalten gab es einen Vorfall, den ich persönlich mit mir sehr schwer vereinbaren kann. Juristisch war es in Ordnung, für die meisten meiner Kollegen offenbar auch – oder zumindest akzeptabel (nach dem Motto: „geht mich nichts an“), aber es war nicht in Ordnung für mich. Ich habe das zum Ausdruck gebracht, ich habe es auch deutlich zum Ausdruck gebracht, aber faktisch kann ich nichts daran ändern.

Dabei geht es nicht nur um etwas, bei dem ich anderer Meinung war, mir ist durchaus klar, dass die Arbeitswelt nicht immer so ist, wie ich sie gerne hätte, und ich habe schon einiges mitgetragen, das ich prinzipiell für falsch halte und bei dem mir immer wieder „Was soll der Scheiß?!“ durch den Kopf geht. Dann aber auch wieder: „Was geht’s mich an?“. Aktuell fällt es mir aber sehr schwer, mich nicht zu schämen dafür, dass ich aus dem Vorfall keine Konsequenzen gezogen habe. Das war übrigens auch der Auslöser, nach dem ich weitere „Heute vor…“-Beiträge eingestellt habe. Mir ist da die Motivation an allem abhanden gekommen und kommt jetzt erst langsam wieder zurück, im Wechsel mit glücklicherweise nur kurzen depressiven Verstimmungen.

Lockdown-Lockerungs-Soundtrack

Langsam scheint mich der Youtube-Algorithmus zu kennen. Vor dem Lockdown waren die Vorschläge zum Teil so haarsträubend, dass ich regelmäßig in meine Tastatur gebissen habe. Mangels Weggehmöglichkeiten habe ich in letzter Zeit aber offenbar so viel durch Youtube geklickt, dass die Vorschläge mittlerweile annehmbar werden.

Nachdem mich der Algorithmus zunächst mit John Fogerty überflutet hatte, was nun für mich sicher nichts Neues war, habe den Mann immerhin 3mal Live gesehen, verändern sich jetzt auch die obskuren Vorschläge von obskur haarsträubend scheiße zu obskur haarsträubend gut.

Zum Beispiel mit The Reverend Peyton’s Big Damn Band:

Zugegeben, auf Dauer etwas repetitiv, aber macht Spaß. :oD

Zahlenfetisch

Thema Nr. 1 ist aktuell ja der Reproduktionsfaktor. Trotzdem die Neuinfektionen stetig fallen, verharrt dieser bei ca. 1. Solange er nicht unter 1 liegt, sollen wir über weitere Lockerungen lieber nicht nachdenken.

Am Anfang hat man immer auf den exponentiellen Verlauf hingewiesen. Wie unsicher dieser war, zeigt aber schon, dass die Reproduktionsrate deutlich früher auf 1 gesunken ist als ursprünglich angenommen.

Überhaupt hatte man sich zu Beginn der Pandemie bei diesem Wert gehörig verschätzt.

Mittlerweile soll das Berechnungsmodell deutlich verbessert worden sein. Trotzdem bleibt es ein Schätzwert, den das RKI bei aktuell 1,0 mit einem Konfidenzintervall von 0,8 bis 1,1 angibt. Dennoch treffen wir anhand von Veränderungen im Zehntelprozentbereich Aussagen über die Entwicklung der Pandemie, definieren das gar als eine der wichtigsten Entscheidungsgrundlagen.

Als Wissenschaftler hätte ich da ja Bauchschmerzen…

PS: Es stimmt übrigens nicht, dass die Reproduktionsrate „seit Tagen“ ansteigen würde, wie häufig zu lesen war. Auch der Hinweis, dass sie bereits „bei 0,7“ gelegen hat, ist irreführend, weil dieser Wert einmal kurz nach Ostern für gerade mal 2 Tage erreicht wurde. Ansonsten zuckelt der Wert seit fast 2 Wochen zwischen 0,9 und 1,0 hin und her. Bei einem Intervall von 0,3 ist es mehr als fragwürdig daraus Schlagzeilen wie „Ansteckungsgefahr steigt wieder“ zu produzieren.

PPS: Faktisch scheint es sogar so zu sein, dass man sich nur von einen in den anderen Rundungsbereich bewegt hat, die Schwankung also sogar nur im Hundertstelprozentbereich liegt.

The song of the tired and the weary

Flatten the Curve?

Sieht zumindest so aus:

flatten

Allerdings werden sich die beiden letzten Punkte und in einem geringen Maße wohl auch der drittletzte Punkt wegen dem Meldeverzug noch nach oben verschieben. Flacht die Kurve ab oder ist sie eher gerade? Fest steht, ein exponentielles Wachstum gibt es definitiv aktuell nicht mehr. Bei Lockerungen besteht allerdings die Gefahr, dass dieses wieder entsteht.

Gleichzeitig geht es nach wie vor nicht darum, dass sich niemand mehr ansteckt, das ist unrealistisch, sondern darum, dass sich nicht zu viele gleichzeitig anstecken. Es ist also die Zeit, durch schrittweise Experimente herauszufinden, was die Kurve wie stark ansteigen lässt. Ggf. muss einiges davon dann wieder zurückgenommen werden. Statt also darüber nachzudenken, was nun dauerhaft wieder gelockert werden kann und was nicht, sollte man lieber ein paar Sachen, die die Kurve voraussichtlich nicht dramatisch ansteigen lassen (also alles, wo mehr als eine Handvoll Leute auf ganz engem Raum zusammenkommt) wieder zulassen, dafür den Leuten aber auch gleich sagen: Ein paar Dinge davon werden wir in 3 bis 4 Wochen nochmal zumindest kurzzeitig einschränken müssen.

Mehr Regionalität wäre auch angebracht. Es macht keinen Sinn, dass in Mecklenburg harte Ausgangssperren gelten, weil in Bayern ein neuer Cluster entstanden ist – oder umgekehrt. Weil man da einen Kompromiss aus beiden Situationen finden muss, der an einer Stelle zu hart und an der anderen zu ineffektiv ist. Leider läuft hier die Tendenz in die andere Richtung und man möchte mehr einheitliches Vorgehen. Einheitliche Richtlinien, was in welcher Situation zu tun ist, wären sinnvoller.

Die Ironie des Darmund

Es hatte seinerzeit hauptsächlich zwei Gründe, weshalb ich begann, mich mit der Stadtgeschichte Darmstadts zu beschäftigen. Der eine war ein sehr persönliches Interesse an der Geschichte der Hexenverfolgungen und meine Verwunderung darüber, warum ein an sich sehr populäres Thema in Darmstadt nie eine Rolle gespielt hat, obwohl es zumindest einen gut dokumentierten und im Detail sehr interessanten Fall gibt.

Ich hatte damals schriftstellerische Ambitionen und recherchierte den Fall als Grundlage für einen Roman, den ich schreiben wollte, den ich aber nach einigen Monaten wieder aufgab. Auch dafür gab es viele Gründe, einen, den ich mit der Öffentlichkeit teilen kann, ist, dass ich feststellen musste, dass ich zwar ganz gerne einmal historische Romane lese, diese stilistisch aber zu limitiert finde und mich nicht befähigt sah, erfolgreich neue Stilmittel in das Genre einzuführen. Weniger hochtrabend ausgedrückt: Auf Dauer langweilen mich historische Romane.

Mehr von diesem Beitrag lesen