Darmund & seine Freunde – Tiere, Sachen und Personen – Überlegungen zu Ortsnamen in Hessen

…ich hab mal versucht, ein paar Überlegungen zusammenzufassen. Ist mir allerdings nur bedingt gelungen, es holpert an einigen Stellen noch ziemlich. So ganz bekomme ich meine Gedanken noch nicht zu einer schlüssigen Argumentation zusammen. Es ist also eher das Zwischenergebnis des Findungsprozesses einer Argumentation, der sicher noch einige Jahre andauern wird… 

Nachdem ich nach langem Suchen endlich einen Beleg dafür gefunden habe, dass es den Namen Darmund, der angebliche Name des Ortsgründers von Darmstadt, bei den Franken bereits im Frühmittelalter gegeben hat, stellt sich nun natürlich die Frage, ob diese Hypothese doch richtig ist, Darmstadt also von einem Franken namens Darmund gegründet wurde.

Ich bin immer noch etwas irritiert darüber, dass die unzähligen Autoren, die in den letzten knapp 200 Jahren den Ortsgründer Darmund postuliert haben, nicht fähig waren, diese frühmittelalterliche Quelle ausfindig zu machen und statt dessen einige von ihnen sogar ausdrücklich darauf bestanden, dass der Name ausschließlich im Ortsnamen Darmstadt nachweisbar wäre. 200 Jahre lang verbreitet man eine These, ohne sich die Mühe zu machen, auch nur zu versuchen sie zu belegen? Man könnte sagen, dass man so mit der falschen Methodik zum (vielleicht) richtigen Ergebnis gekommen ist.

Das Problem dabei ist dann weniger die Frage, ob es am Ende jenen mythischen Darmund doch gegeben hat oder nicht, sondern dass es eine Methodik legitimiert, die an anderen Stellen zu falschen Ergebnissen führen muss, weil sie eben keine stichhaltige Argumentation ist. Die Argumentation wird dort dann aber nicht mehr hinterfragt.

Erfindung des Darmund

Um das deutlicher zu machen, beginne ich zunächst mit einem Überblick darüber, wie es zu der Hypothese gekommen war und wie sie sich weiter entwickelt hat. Da keiner der Autoren von der Quelle, die einen historisch tatsächlich existierenden Darmund erwähnt, Kenntnis hatte, lasse ich das zunächst außer Acht. Ich komme anschließend darauf zurück.

Erfinder des Darmund scheint Albert Ludwig Grimm zu sein. Dieser schrieb 1822:

„Von der frühen Geschichte Darmstadts ist nur sehr Weniges bekannt. Ein einzigesmal geschieht seiner in einer Schenkungsurkunde des Klosters Lorsch Erwähnung, deren Alter sich indessen nicht angeben läßt. So viel ist gewiß, daß sie in den Zeitraum zwischen das achte und zwölfte Jahrhundert gehört. Dort wird es Daremundesstadt genannt. Die gewöhnliche Ableitung des Namens von dem Flüßchen Darm, möchte sich darauf wohl bestreiten lassen. Häufig wurden in frühern Zeiten die Orte ja nach dem ersten oder einem besonders ausgezeichneten Bewohner genannt; und was hindert denn auch hier anzunehmen, daß ein solcher Anbauer dieser Gegend Daremund geheißen habe? Man hat ja der Namen, die sich auf Mund enden aus jener Zeit noch so viele. Das kleine Darmbächlein hingegen, das jetzt in Steine gefaßt durch die Straße schleicht, war wohl nie bedeutend genug, einem Ort seinen Namen zu geben.“

Die Argumentation ist voller Fehler. Das fängt schon damit an, dass Grimm nicht mal fähig war, den einzigen historischen Fakt an der ganzen Sache korrekt wiederzugeben, denn die Ersterwähnung lautet nicht Daremundesstadt sondern Darmundestat (eigentlich klein geschrieben: darmundestat). Dann ist seine Argumentation gegen den Darmbach schlicht falsch, denn es gibt unzählige Beispiele, in denen so kleine Gewässer namensstiftend für Ortschaften waren. Und das Argument, dass es „aus jener Zeit“ ja so viele „Namen, die auf Mund“ enden, gäbe, ist ebenso abzulehnen. Man kann nicht einfach irgendeine beliebige Silbe vor eine geläufige Endung setzen und davon ausgehen, man hätte es mit einem authentischen Namen zu tun.

Eine ähnlich abstruse Argumentation gab Julius Karl Friedrich Dilthey, damals Direktor des Pädagogs, 1851 zum Besten. Er vermutete, dass Darmstadt (Darmundestat), Groß-Umstadt (Autmundistat) und Astheim (Askemuntesheim) von drei Brüdern namens Darmund, Autmund und Askmund gegründet wurden, einfach nur weil alle Namen auf -mund enden.

Immerhin hatte Dilthey den offensichtlichen Fehler Daremund in Darmund korrigiert. Andere Autoren folgten ihm zunächst. Dann aber schlich sich ein i ein und der Ortsgründer hieß Darimund. Es gibt dafür eigentlich keinen Grund. Der Ort hieß Darmundestat. Wenn das ein Personenname ist, dann hieß der Kerl Darmund und nicht Darimund. Trotzdem war dieses i so nachhaltig, dass auch im Stadtlexikon heute noch steht „Wohnstätte des Darmund oder Darimund“, also beide Varianten. Ich habe mich lange gefragt, woher wohl dieses i gekommen ist. Lange Zeit habe ich vermutet, dass der Name vielleicht Thorismund angeglichen werden sollte, der Name eines Westgotenkönigs aus dem 5. Jahrhundert. In dem Namen scheint der germanische Gott Thor zu stecken, der bei uns eher Donar hieß, also Donarmund → Darmund?

Sehr zufriedenstellend war diese Erklärung aber nicht. Wahrscheinlicher liegt die Lösung eher in einem weiteren Alternativnamen für Darmund, der etwa zur gleichen Zeit auftauchte wie das i in Darimund: Tarimundis. Diese Variante war für einige Zeit so populär, dass sich sogar die Darmstädter Abteilung der Schlaraffia, ein Männerbund ähnlich der Freimaurer mit einem größeren Fokus auf Kunst, danach benannte. Die Schreibweise Tarimundis habe ich sonst nicht finden können, aber ein Tarimundus (u statt i) wird im Index von Sanctorum conciliorum et decretorum collectio nova erwähnt, einer mehrbändigen Schwarte aus dem 18. Jahrhundert mit Abschriften von Dokumenten, die im Rahmen von katholischen Konzilen entstanden sind. Bemerkenswert ist hierbei vor allem, dass dieser Tarimundus im Jahr 1067 erwähnt wird, also genau in der Zeit, in der auch die Ersterwähnung Darmstadts fällt. Gut möglich, dass daher jener Tarimundis stammt und in einer Verbindung von Darmund und Tarimundis dann Darimund entstand.

Blöd nur, dass der Name falsch wiedergegeben wurde. Schlägt man das eigentliche Dokument nach, stellt man fest, dass der Mann eigentlich Tarymondus hieß und außerdem Bischof von Fiesole in der Toskana war, also nicht gerade unsere Sprachregion.

Man sieht daran, wie solche Erklärungen entstanden sind. Eine Spekulation wird mit weiteren Spekulationen ausgebaut, dann sucht man Belege für seine Spekulation und wenn diese Belege nicht passen, werden sie passend gemacht, um damit dann die Ursprungsspekulation zu beweisen.

Die Ironie der Sache ist, dass es den Namen Darmund dennoch tatsächlich gegeben hat. Im Jahr 708 verkaufte ein Darmundus (eindeutig die latinisierte Version von Darmund) dem Abt des Klosters Saint-Bertin verschiedene Güter in Vermandois und in Noyon, im Norden Frankreichs also, dem Kerngebiet der Franken. Also gab es den mythologischen Darmund, den Ortsgründer Darmstadts, doch?

Wer gründete die -stat-Orte?

Es gibt da einige Schwierigkeiten. Spätestens im 9. Jahrhundert hatten sich die Franken sprachlich schon so sehr auseinander entwickelt, dass Menschen aus dem Westteil des Reiches jene aus dem Ostteil nicht mehr verstanden und umgekehrt. Sie sprachen bereits zwei eigene Sprachen, im Westen Altfranzösisch, im Osten Althochdeutsch. Es ist unklar, ob überhaupt jemals im gesamten Frankenreich dieselbe Sprache gesprochen wurde. Zumindest die Dialektunterschiede waren sicherlich mindestens so groß wie heute und ein Franke wird einen Alemannen bestenfalls so gut verstanden haben wie ein Bayer einen Friesen heute. Dementsprechend unterschiedlich dürften daher auch die Namen der jeweiligen Bevölkerung gewesen sein.

Denkbar wäre ein Darmund, der als eine Art Kolonialist ins Rhein-Main-Gebiet kam, nachdem die Franken die Alemannen unterworfen hatten. Man könnte sogar darüber spekulieren, ob der 708 in Nordfrankreich erwähnte Darmundus dieser Darmund war, denn dieser Darmundus war offenbar begütert, entsprang also der Oberschicht, verkaufte aber große Teile seiner Güter an ein Kloster. Zog er danach vielleicht im Auftrag des fränkischen Königs ins Alemannengebiet, das zwar längst dem Frankenreich eingegliedert war, das aber noch bis zum Blutgericht zu Cannstatt im Jahr 746 immer wieder von alemannischen Aufständen gegen die Oberherrschaft der Franken geprägt war? Immerhin werden viele -stat-Orte von ca. 750 bis ca. 800 erstmals erwähnt. Spiegelt sich in dieser Endung also eine fränkische Siedlungswelle aus der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts?

Das wäre schon sehr erstaunlich, denn trotzdem bestimmt Tausende von Ortsnamen in Deutschland auf Personennamen zurückgeführt werden, ist eigentlich keiner dieser Ortsgründer historisch nachweisbar, es sei denn ein Ort ist nach einem König oder einem bekannten Fürsten benannt.

Das größere Problem ist aber, dass das -stat-Suffix gar nicht fränkisch zu sein scheint. Im Kerngebiet der Franken taucht es praktisch gar nicht auf. Dafür gibt es diese Endung im ehemaligen Alemannengebiet, zu dem auch Südhessen gehörte, genauso in Hülle und Fülle wie im historischen Siedlungsgebiet der Thüringer als auch im historischen Siedlungsgebiet der Sachsen bzw. Angeln. Ein von den Franken in diese Gebiete nach der Eroberung gebrachtes Suffix – wie gelegentlich behauptet wird – kann es nicht sein, denn das Suffix war bei den Sachsen bzw. den Angeln üblich, bevor sie von den Franken erobert wurden. Das lässt sich dadurch belegen, dass sie es nach England exportierten, bevor sie von den Franken unterworfen wurden. Das -stat-Suffix scheint also von verschiedenen germanischen Stämmen verwendet worden zu sein, aber eben nicht von den Franken!

Nur einige einzelne hessische stat-Orte, die man an einer Hand abzählen kann, liegen knapp außerhalb des alemannischen bzw. thüringischen Gebiets. Es könnten spätere Gründungen sein, die in einem anderen Zusammenhang als die -stat-Orte Südhessens und der Wetterau entstanden sind, oder es sind einzelne Vorposten. Das wäre nicht überraschend, wenn das Suffix, wie ich vermute, auf eine militärische Stellung schließen lässt. Dass die Alemannen militärisch weiter operierten als ihr eigentliches Siedlungsgebiet, ist ja schon allein dadurch belegt, dass die Entscheidungsschlacht zwischen den Franken und den Alemannen bei Zülpich stattgefunden haben soll.

Einige Forscher bezweifeln den Ort der Schlacht zwar, der Grund dafür ist aber schlicht, weil die Alemannen nicht so weit im Norden siedelten. Da hat man eine eher zu moderne Vorstellungen. Das waren ja keine echten Staatsgebiete im modernen Sinn mit starren Grenzen und Territorien. Die Alemannen werden durchaus auch weiter nördlich militärisch aktiv gewesen sein, auch wenn sie dort keine größere nachweisbare Siedlungstätigkeit entwickeln konnten. Wenn es im Kerngebiet eines bestimmten Volkes ein Suffix in Hülle und Fülle gibt und da, wo ihr Einfluss langsam endete, dasselbe Suffix mehr und mehr ausdünnt, dann ist das schon ein sehr starkes Indiz dafür, dass das Suffix mit diesem Volk zusammenhängt. Die stat-Orte sind demnach, von einigen wenigen späteren Neugründungen oder Neubenennungen (wie z.B. Seligenstadt) abgesehen, eindeutig alemannischen, im Osten Hessens thüringischen Ursprungs. Einige im Norden – wie z.B. Kesselstadt – könnten auf römische Kastelle zurückgehen.

Darmstadt dürfte also eine alemannische Gründung sein. Es ist auch sicher kein Zufall, dass Darmstadt einer Grafschaft Bessungen angehörte. Bessungen dürfte eine fränkische Gründung sein, die zwischen bestehende alemannische Siedlungen zu deren Kontrolle „gepflanzt“ wurde. Ähnliche Namen wie Bessungen gibt es im ursprünglichen fränkischen Siedlungsgebiet etliche. Hier dürfte ein Personenname (oder eventuell auch ein Sippenname) wahrscheinlich sein.

Was mich an der Personennamehypothese stört, ist die Art und Weise, wie sie zustande kam und wie dafür argumentiert wird, nämlich teilweise widersinnig, teilweise unplausibel. Das allein schließt natürlich nicht aus, dass es dennoch ein Personenname ist, das Problem ist vielmehr, dass aus diesen unsubstantiierten Schlussfolgerungen weitere Schlussfolgerungen gezogen wurden, die dann dazu führten, dass etliche in unserer Gegend auf -stat endende Orte zu Ortsgründungen irgendwelcher fränkischer Adliger oder gar Wildhübner gemacht wurden, wo es bei naher Betrachtung kaum plausibel sein dürfte.

Ein Stock ist ein Stock und kein Stocho

Dazu gehören nicht nur diskutable Ortsnamen wie Pfungstadt, Weiterstadt, (Nieder-)Ramstadt und (Groß-)Umstadt, die von einem Pungo, einem Wido, einem Hraban und einem Autmund gegründet worden sein sollen, sondern auch Wallerstädten (Ersterwähnung 1281 als Waldirsteden) und beide Stockstadts, sowohl jenes am Rhein als auch jenes am Main, obwohl bei Wallerstädten der Bezug zu Wald deutlich näher liegt und zumindest bei Stockstadt am Main der offenbar namensgebende „Stock“, ein eiserner Grenzpfahl, 1338 urkundlich erwähnt wird! Bei Stockstadt am Rhein wird es wohl etwas ähnliches gegeben haben.

Natürlich verweigern sich zumindest seriöse Historiker neuen Erkenntnissen nicht. Wenn eine Herleitung von einem Personennamen absolut nicht mehr haltbar ist, wird das durchaus verworfen, so ist das nicht nur bei den sehr offensichtlichen Stockstadts schon seit einiger Zeit der Fall, sondern seit einigen wenigen Jahren auch bei Arheilgen, das nicht – wie es sich wohl der für die Ortsnamenforschung prägende Altgermanist Alfred Götze im nationalistischen Wahn zusammengesponnen hatte – auf einen Araheil zurückgeht, sondern zweifelsfrei mit dem Wort heilig in seiner noch heute üblichen Bedeutung zusammenhängt.

Das Problem bei der Sache ist, dass dort, wo man das nicht oder noch nicht stringent widerlegen konnte, bei mehreren Möglichkeiten immer der Personennamen als Erklärung herangezogen wird, um dann zu sagen, dass das ja auch eine absolut typische Namensgebung ist, weil es gibt ja so viele Ortsnamen, die auf Personennamen zurückgehen. Das ist aber gar nicht belegt, sondern nur behauptet. Belegt ist allerdings durch so Beispiele wie Stockstadt oder Arheilgen wie fehleranfällig die Identifizierung von Ortsnamen als Personennamen offenbar ist. Der Grund dafür ist, dass unverständliche Ortsnamen vollkommen willkürlich zu Personennamen erklärt wurden.

So verschwand letztendlich die Möglichkeit, dass Orte auf Tiernamen zurückgehen könnten, einfach dadurch, dass man alles, was nach Tieren klang (man denke nur an die unzähligen Eberbachs) zu später missverstandenen Personennamen erklärte, mit dem Argument, dass im Vergleich zu Personennamen Tiernamen in Ortsnamen eher ungewöhnlich sind.

Den offensichtlichen Fehler in dem Argument muss ich hoffentlich nicht näher erklären, es gibt aber durchaus auch vernünftige Argumente, grammatikalische zum Beispiel. Viele dieser Ortsnamen scheinen besitzanzeigend zu sein. Der häufige Fugenlaut -e- vor der Endsilbe -stat könnte eine Genitivform sein, wenn man annimmt, dass sich das dazu eigentlich nötige zweite s verschliffen hat, also statt Darmundstat Darmundsstatt und zur leichteren Aussprache ein e hinzugefügt. Dasselbe bei Phungestat (Ersterwähnung Pfungstadts) Pungosstat → Pungesstat, Autmundistat (Ersterwähnung Groß-Umstadts) Autmundsstat → Autmundesstat, durch Hörfehler wird aus e ein i, später taucht der Ort unter anderem als Omuntesstat mit einem e an der Stelle auf. Tiere dagegen waren natürlich nicht die Besitzer der Orte, deshalb käme bei ihnen – genauso wie bei nach Sachen benannten Orten – kein Genitiv vor, also beispielsweise bei Widerestat (Ersterwähnung Weiterstadts) wäre beim Widder Widerstat zu erwarten.

Das Argument passt aber bei genauer Betrachtung nicht. Stockstadt am Rhein taucht im 9. Jahrhundert erstmals als Stochestat auf, Stockstadt am Main um 1000 als Stocestat, also mit Fugenlaut. Crumstadt tut den Verfechtern der Personennamenhypothese zwar den Gefallen bei seiner Ersterwähnung 1248 als Crumbstat ohne Fugenlaut daherzukommen, doch 1276 heißt es Crvmbestat. Wäre nun die Ersterwähnung 1248 verloren gegangen, würde man dann etwa einen Crumbo als Ortsgründer annehmen? Der Fugenlaut -e- scheint also eher eine allgemeine Sprachgewohnheit gewesen zu sein und nicht zwangsläufig auf ein Besitzverhältnis hinzudeuten.

Warum nicht umgekehrt?

Ein anderes Argument für Personennamen ist, dass die Menschen irgendwann sowohl die Person, nach dem der Ort benannt wurde, als auch überhaupt die Existenz eines solchen Namens nicht mehr kannten. Wenn dann so ein Name zumindest entfernte Ähnlichkeiten mit einem Tiernamen (oder auch einem Sachnamen) hatte, dann hat man den ursprünglichen Namen eben diesem Tiernamen angenähert.

Es ist aber sehr schwer zu glauben, dass die vermutlich bei Büttelborn gelegene Wüstung Otterstatt, die 1002 erstmals als Otterestat auftaucht, deshalb dem Otter angeglichen wurde, weil man den eigentlich zugrunde liegenden Personennamen Otto nicht mehr kannte. 1002 ist zufällig auch das Todesjahr von Kaiser Otto III. Und auch später war der Name in unserer Gegend nie so unbekannt, dass man ihn mit einem Otter verwechselt hätte. Auch Wido, auf dem Widerestat, das heutige Weiterstadt, basieren soll, war sicher kein so unbekannter Name, dass man ihn mit einem Widder verwechselt hätte. Und überhaupt: wenn man dazu tendierte, unverständliche Worte durch verständliche zu ersetzen, wie konnte sich dann ein vermutlich simpler Schreibfehler im 16. Jahrhundert durchsetzen und aus dem Widder ein Weiter machen?

Wieso kann es eigentlich nicht auch umkehrt gewesen sein? Dass man unbekannt gewordene Tier- oder Sachbezeichnungen Personennamen anglich? Tier- und Sachnamen haben sich leichter verändert als Personennamen. Der Name Karl ist seit rund 1.400 Jahren unverändert gebräuchlich. Wie viele Tier- oder Sachbezeichnungen aus dieser Zeit haben sich nicht verändert?

Wallerstädten taucht 1281 als Waldirsteden auf, später, 1414, als Steden gen. Waldsteden. Der Bezug zu dem Wort Wald dürfte kaum zu leugnen sein. Dennoch taucht es einmal, nämlich 1326, als Walderadesteden auf, was verdammt nach einem Personennamen klingt. Auch wenn theoretisch die Möglichkeit besteht, dass sich da eine ältere Namensform etwas später überliefert hat (kam durchaus vor, dass sich Ortsnamen veränderten und später wieder zu ihrer ursprünglichen Schreibweise zurückfanden), wahrscheinlicher dürfte jedoch sein, dass das eine konstruierte Form war. Es belegt also, dass es durchaus auch vorkam, dass man Ortsnamen Personennamen anglich, und zwar nicht mal unbedingt unverständlich gewordene Ortsnamen.

Ein weiteres interessantes Beispiel ist Ramstadt, womit ursprünglich wohl nur Nieder-Ramstadt gemeint war. Es taucht erstmals ca. 1190 als Ramestat auf. Auch hier findet sich als Erklärung für den Ortsnamen häufig ein Personennamen, der mal als Rami, mal als Hramis und mal als Hraban angegeben wird. Rami scheint ein Konstrukt zu sein, Hramis ist historisch bei den Chatten nachgewiesen, dort ist es allerdings ein weiblicher Name, was ihn als Namensgeber eher ausschließt. Bliebe nur Hraban. Dieser Name ist, wenn auch ohne H, als Raban historisch gut belegt, unter anderem durch Rabanus Maurus, ein Mainzer Erzbischof des 9. Jahrhunderts, und Raban von Helmstatt, ein Erzbischof von Trier im 15. Jahrundert. Ein über Jahrhunderte hinweg gängiger Name also.

Schon so finde ich die Ableitung aber sehr gewollt: Hrabanestat -> Ramestat? Es war ja ein sehr verbreiteter Name, warum sollte man ihn bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln? Bei nahem Blick fällt auf, dass der Name Raban im Althochdeutschen einfach nur Rabe bedeutete, ähnlich wie der Name Wido vermutlich so viel wie Wald oder Holz bedeutete. Ebenfalls gibt es im Althochdeutschen die kürzere Variante ram, die – je nach Region und Zeit – ebenfalls für den Raben, aber auch für einen Schafsbock stehen konnte. Ein Personennamen Ram oder Hram konnte ich dagegen nicht finden. Ist es also nicht viel wahrscheinlicher, dass Ramestat eher mit dem Raben zusammenhängt?

Wenn wir genauso konsequent für jeden unverständlichen Ortsnamen einen Tiernamen in Erwägung ziehen, wie man das mit Personennamen gemacht hat, hätten wir plötzlich überall Tiere bei den Orten, die auf -stat enden: Weiterstadt, Otterstatt, Ramstadt und Moxstadt (eine zwischen Alsbach und Bickenbach gelegene Wüstung), die mit dem Dialektbegriff Mock für ein Mutter- oder Zuchtschwein zusammenhängen könnte. Erweitert man das Ganze noch auf Pflanzennamen und Ortsmarken, bleiben nur sehr wenige Ortsnamen ungeklärt, ganz ohne zum Teil nicht nachgewiesene Personennamen anhand einzelner Silben zu konstruieren, die so oder auch nur so ähnlich in gänzlich anderen Personennamen vorkommen.

Ein Argument, das gegen die naheliegende Ableitung von verschiedenen Tieren angebracht wurde, ist, dass es die Tiere Darmund und Pungo ja nicht geben würde. Doch das ist eigentlich kein Argument, denn es gibt ja auch keine Personen namens Stocho und Crumo, die hinter Stockstadt und Crumstadt stecken. Dass es darüber hinaus zumindest für Pfungstadt einige plausible Alternativerklärung gibt, nämlich zum einem die Ableitung von dem althochdeutschen phung = Geldbeutel, das besser zu der Ersterwähnung als Phungestat und dem sich hartnäckig haltenden f in späteren Schreibweisen passt, oder zum anderen, wenn man schon den Begriff Pungo wählt, dann dürfte naheliegender sein, dass das der gebräuchliche Name für die Bachbunge war, womit wir jetzt schon bei praktisch jedem -stat-Ort außer Darmstadt einen Ortsnamen hätten, der sich nicht an Besitz, sondern an eine örtliche Gegebenheit anlehnt, das Aufkommen bestimmter Tiere, das Aufkommen bestimmter Pflanzen, Landmarken und landschaftlicher Gegebenheiten. Letzteres könnte dann wiederum bei Darmstadt die Erhöhung im Osten der Stadt ins Spiel bringen und die munde-Silbe mit einer vielleicht noch aus keltischer Zeit stammenden Bezeichnung für einen Berg oder Hügel (von indogermanisch: *mon- = Berg).

Übrigens: als Ramstadt das erste Mal erwähnt wird, hatte sich bei Groß-Umstadt die munde-Silbe bereits verschliffen, 1156 heißt es Ohmestatt, Darmstadt taucht kurz nach der Ersterwähnung Ramstadts das zweite Mal auf: 1211 als Darmenstat, auch hier hatte sich das munde verschliffen, 1362 heißt es dann auch mal Darmestat. Ohmestatt, Darmestat, Ramestat, das klingt auffällig ähnlich, wer sagt, dass sich bei Ramstadt nicht auch ein -munde- verschliffen haben könnte? 1338 wird bei Ober-Ramstadt ein Flurname „Ramysberg“ genannt. Das könnte eine Ableitung vom Ortsnamen sein, es könnte aber auch umgekehrt sein, dass dieser Berg dem Ort den Namen gab.

Dann hätten wir drei Ortsnamen, die mit Landschaftsmarken, hier Hügeln, in Verbindung stehen: Darmundestat, Autmundistat und ein konstruiertes „Ramundestat“. Zumindest für Autmundistat gäbe es vielleicht sogar einen Erklärungsansatz. Die Römer nannten die Gegend während ihrer Herrschaft Civitas Auderiensium. Der nicht geklärte Name könnte auf den Namen eines hier lebenden Volkes oder Stammes zurückgehen, die hypothetischen Auderienser, von denen sich vielleicht auch der Name des Odenwalds ableitet (Au sprach man früher wie ein langes O). Auch Autmundistat könnte darauf zurückgehen, alle drei Namen gehen in ihrer ersten Silbe auf eine Form zurück, die man heute etwa Oht aussprechen würde.

Auch das: pure Spekulation! Nur auch hier sieht man wieder, wie leicht man einen scheinbaren Zusammenhang nach dem Schema scheint hier so üblich gewesen zu sein herstellen kann, wie man es mit den Personennamen gemacht hat.

Eine spätere Gründung?

Kurios bleibt das -stat-Suffix an sich. Wie ausgeführt scheint es zum einen unter germanischen Stämmen recht verbreitet gewesen zu sein, aber ausgerechnet unter den Franken nicht. Die Möglichkeit eines lateinischen Lehnworts aus status oder stationes (letzteres bezeichnete die Straßenstationen der Benefiziarier) würde zwar die vielen -stat-Orte im Siedlungsgebiet der Alemannen gut erklären, aber weder, warum es dann ausgerechnet die Franken, die sich in vielerlei Hinsicht als legitime Nachfolger des Römischen Reichs sahen, nicht übernahmen, noch wieso es ausgerechnet die Sachsen – oder gar die Angeln – übernommen haben sollten.

Eine Ableitung aus dem Latein ist also unwahrscheinlich. Dennoch könnte es ein Hinweis sein, dass alte Römerstädte, Militärlager und Kastelle oft als „Altenstadt“ bezeichnet wurden. Dieburg gehört dazu und das in der Wetterau befindliche Altenstadt, das ja sogar heute noch so heißt. Es ist daher denkbar, dass sich der -stat-Begriff, der ursprünglich nur Stätte bedeutete, deshalb zum modernen Stadtbegriff entwickeln konnte, weil schon ursprünglich der Befestigungscharakter in dem Begriff zum Ausdruck kam. Die stat-Orte Südhessens hätten ihren Ursprung dann in einer Verteidigungslinie gegen die einfallenden Franken.

Obwohl das -stat-Suffix in unserer Gegend wohl nur sehr kurz in Gebrauch war und relativ selten genutzt wurde, stellt sich aufgrund der Weiterentwicklung des Begriffs zum modernen „Stadt“ die Frage, ob Darmstadt wirklich zur gleichen Zeit gegründet wurde wie die übrigen -stat-Orte. Erwähnt wird es ja erst in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts. Dass da, wenn auch nur sehr, sehr selten, das Suffix durchaus noch verwendet wurde, zeigt sich am Beispiel von Seligenstadt. 815, also zu einer Zeit, als die meisten anderen -stat-Orte in unserer Gegend bereits erwähnt wurden, hieß Seligenstadt noch Mulinheim, also Mühlheim. Ob, wie oft gemutmaßt, Einhard (ca. 770 – 840) dem Ort seinen neuen Namen gab, sei dahingestellt. Spätestens 933 aber hieß er Selgenstat. Unter gewissen Umständen konnte es also auch später noch zu Namensgebungen auf -stat kommen, auch wenn hier wohl weniger der Siedlungscharakter zum Ausdruck kam als vielmehr sehr wörtlich eine „Stätte der Seligen“ gemeint war.

Könnte also auch Darmstadt eine spätere Gründung bzw. eine spätere Umbenennung sein, vielleicht nach einem Darmund, weshalb dieser ungewöhnliche Namen noch im späten 11. Jahrhundert im Ortsnamen erhalten bleiben konnte? Ist dann vielleicht sogar der oft postulierte Wildhübner als Ortsgründer oder besser Namensgeber denkbar?

Ersteres ist unwahrscheinlich, letzteres ausgeschlossen. Der Name Darmund ist zwar, wie gezeigt, für den Norden Frankreichs nachweisbar, aber im 11. Jahrhundert hatte sich Frankreich und Deutschland (bzw. historisch genauer das sogenannte Heilige Römische Reich, „Deutschland“ ist ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts) sprachlich schon seit einigen Jahrhunderten auseinander entwickelt. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein so seltener Name, der ursprünglich aus dem Norden Frankreichs stammt, ausgerechnet in Südhessen vollkommen unverändert überlebt haben sollte und dann auch nur punktuell dieses eine Mal im Ortsnamen Darmstadt vorkommt.

Der Wildhübner kann deshalb nicht sein, weil die Wildhube zum Zeitpunkt ihrer Erwähnung nicht in der mittelalterlichen Stadt (die da schon Stadt im modernen Sinne des Wortes war) gestanden haben kann. Dass der Standort der Wildhube verlegt wurde, ist sehr unwahrscheinlich, und so stand sie wohl nie bei der Siedlung Darmundestat, sondern etwas außerhalb, vielleicht in Kranichstein, aber auch das ist spekulativ.

Zum Abschluss noch eine Liste mit -stat-Orten in unserer Gegend und die Schreibweisen der Ersterwähnungen sowie einige Deutungsversuche:

Pfungstadt – Phungestat 785
Erklärungen: Personenname Pungo, althochdeutsch: phung = Beutel, vor allem im Sinne von Geldbeutel, althochdeutsch: bungo/pungo = Bachbunge

Crumstadt – Crumbstat 1248, Crvmbestat 1276
Erklärung: liegt an einer Krümmung des Altneckarbetts, die den Grundriss der Ortschaft noch bis heute bestimmt

Stockstadt am Rhein – Stochestat 830-850,
althochdeutsch: stoc = Stock, Stamm, Bezeichnung eines Grenzpfahls

Stockstadt am Main– Stocestat 1000
wie oben, der Grenzpfahl bei Stockstadt am Main befand sich im Fluss, er wird 1338 urkundlich erwähnt, die Deutung steht daher außer Zweifel.

Weiterstadt – Widerestat 948 (das e taucht nur in der Ersterwähnung auf!)
Personenname Wido, althochdeutsch: widar = Widder

Otterstadt (Wüstung vermutlich bei Büttelborn) – Otteresstat 1002
althochdeutsch ottar = Otter, evtl. auch die Natter (ursprünglich Atter, was in manchen Quellen – z.B. bei Luther – zu Otter wurden).

Ramstadt – Ramestat ca .1190
Personenname Raban, althochdeutsch: ram/hram = Rabe, aber auch Schafbock und sächlich Säule, Stütze, Gestell

Moxstadt (Wüstung bei Alsbach/Bickenbach) – Moxtat 1350
Dialektbegriff Mock = Mutterschwein, vielleicht ein Überbleibsel aus keltischer Zeit, im Altirischen heißt das Schwein mucc, Mogon: keltischer Sonnengott, laut einiger Autoren ist Mainz nach ihm benannt (lateinischer Name: Mogontiacum)

Königstädten – Stetin 830-850, Steti 880/82, Stethen 1211, Kuningesteden 1325, Städen 1662
Stätte des Königs.

Wallerstädten – Waldirsteden 1281, Walderadesteden 1326, Steden gen. Waldsteden 1414
Stätte im oder am Wald. Interessant ist, dass auch Wallerstädten – genauso wie Königstädten – teilweise nur Steden genannt wurde. Das stellt infrage, dass -stat ursprünglich einfach nur eine Stätte oder eine Siedlung bezeichnete, sondern legt eine genauere Spezifizierung nahe.

Umstadt – Autmundistat 741 – Omuntesstat 889
Personenname Autmund, althochdeutsch: ot = Reichtum und indogermanisch: *mon- = Berg, oder unklare Ableitung von einem hypothetischen Volk oder Stamm namens Auderienser.

Langstadt – Langestad 1223
wie modern: lang im Sinne von ausgedehnt, vielleicht auch von althochdeutsch lange* = längst bzw. lango = längst, vor langer Zeit, seit langer Zeit im Sinne von „alte Stätte“. Unwahrscheinlich, aber auch denkbar: Wohnstätte, in der Mitglieder des Stammes der Langobarden lebten. Die Langobarden gehörten zu den Sueben und diese wiederum gingen in den Alemannen auf, waren dabei aber namentlich so prägend, dass sie dem Herzogtum Schwaben (=Sueben) seinen Namen gaben.

Kleestadt – Cletstat ca. 1222
althochdeutsch kletta/kletto/cletto = Klette, wohl explizit Große Klette, keltisch cleta = Hürde, evtl. auch Graben

Hainstadt (Odenwaldkreis): Heimstat ca. 800
wohl ausdrückliche Spezifizierung als Wohnort (heim) im Gegensatz zu den übrigen stat-Orten, die wohl ursprünglich eine wie auch immer geartete „staatliche“ Funktion hatten, entweder wurde hier eine frühe „Privatisierung“ des Siedlungsplatzes zum Ausdruck gebracht oder Hainstadt gehört nicht zu den übrigen -stat-Orten, ist also eine spätere Gründung. Auch auffällig, wenn auch unwahrscheinlich: althochdeutsch heimo = Grille. Das glaub ich wirklich nicht, aber es zeigt, dass man mit einer ähnlichen Vorgehensweise wie bei den Personennamen am Ende sogar noch mehr Orte findet, die entweder auf Tiere oder auf Pflanzen schließen lassen.

Hainstadt (Kreis Offenbach): Henystad 1287, allerdings schon 1288 Heinstad
Ersterwähnung wohl Schreibfehler, von althochdeutsch hagin, mittelhochdeutsch hain = gehegter Wald, der Ort diente möglicherweise der Holzgewinnung. Aufgrund der relativ späten Ersterwähnung vielleicht auch mittelalterliche Umbenennung nach den Herren von Hainhausen, die zu der Zeit Besitzer des Dorfes waren (wobei auch hier der Hain dem Namen zugrunde liegt, nur dann halt von Hainhausen).

Michelstadt – Michilstat 741/42 (allerdings eine spätere Kopie aus dem 12. Jahrhundert), michlinstat 795
althochdeutsch mihhil = groß, mächtig, bedeutend, wohl also ein zentraler Ort im Odenwald, vielleicht Verwaltungssitz. Auffällig ist allerdings der Buchstabendreher (michlinstat und michlenstat statt michilstat und michelstat) bis ins 13. Jahrhundert hinein, obwohl der Begriff michel für groß da noch geläufig war. Vielleicht also eine mittelalterliche Anpassung an einen unverständlich gewordenen Namen?

Bobstadt – Babestat 776, 782
Personenname Babo/Baba, althochdeutsch: babes = Papst bzw. im ursprünglichen Sinn des Wortes auch Vater.

Bürstadt – Birstat 767, aber auch Bisistat 770, 826 und Bisestat 795
Personenname Bisi, althochdeutsch bisa = Nordwind

Groß- und Kleinwallstadt – Ualohostat 1000, Walenstat 1131
althochdeutsch Walah = Fremder, explizit auch Römer oder Romane, möglicherweise also eine Siedlung, die von Menschen römischer Abstammung bewohnt wurde. Offenbar alemannische Fremdbezeichnung, die Bewohner des Ortes werden ihn wohl anders genannt haben. Ein Beleg dafür, dass alemannische Bezeichnungen die fränkische Landnahme häufig überstanden haben.

Ockstadt – Huccenstat und Hucgenstat 817, Okstat ca. 1222
Personenname: Hugo, althochdeutsch: huggen = gedenken, sich erinnern

Wöllstadt – Vullinestat, Wullenstat 790
althochdeutsch wullin = Wolle oder wuol* = Untergang, Verderben, eine vielleicht zeitweise aufgegebene Siedlung (unwahrscheinlich).

Ilbenstadt – Eluistat 818 (Kopie), Elevestat 1123, Eleuestat 1131, Eleustat vor 1133 Personenname Elfo, althochdeutsch: elah = Elch, indogermanisch: *albijo- = Fluss (vgl. Elbe), Ilbenstadt liegt an der Nidda

Erbstadt – erpestat 1237, eberstadt , erbestat 1286
althochdeutsch: Erbi = Erbe, vielleicht ein geerbter Hof? Vermutlich aber eher ein im 13. Jahrhundert bei der Ersterwähnung schon zu entstelltes und daher nicht mehr rekonstruierbares Wort.

Bönstadt – benstad 1184
althochdeutsch: binda = Binde, bina = Biene

Wickstadt – Wickenstad, Wickenstatt, Witgestat 1231
Personenname Wigo, althochdeutsch: wikka/wicka = Wicke (eine Pflanze)

Florstadt – Flagestat 830-50 (Kopie). Plagestat 880
Personenname flagi, althochdeutsch flah = flach, flahs = Flachs

Mockstadt – Muggunstat 930
Mogon = Name eines keltischen Sonnengotts, Dialektbegriff Mock = Mutterschwein, althochdeutsch mugga = Mücke

Ranstadt – Ramstat 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts
Personenname Raban, althochdeutsch: ram/hram = Rabe, aber auch Schafbock und sächlich Säule, Stütze, Gestell

Berstadt – Berhtdenstat 1056
Personenname Berhto, althochdeutsch berd = Gewächs, Frucht

Butterstadt – Butenestat ca. 850, Boterstat ca. 1000,
Personenname Bothar, mittelhochdeutsch: buten = Beute, in Butterstadt wurde eine römische Jupitergigantensäule gefunden, vielleicht eine durch die Alemannen von den Römern eroberte Siedlung? Auffällig auch: nordwestlich befindet sich das vermutlich fränkische Ostheim, also ein fränkisch-alemannisches Grenzgebiet?

Leustadt – Louphstete 2. Hälfte 8. Jahrhundert
althochdeutsch: louf = Laufen, hier wohl im Sinne von Flusslauf, die Nidder ist in unmittelbarer Nähe.

Bierstadt – Peristatt 881, ad sanctam Brigidam 910, Birgidesstat 927, Birgestat 1102
wird von Brigida von Kildare abgeleitet, wäre demnach die Gründung bzw. Benennung durch iro-schottische Mönche (siehe auch Kilianstädten), Bierstadt wäre demnach eine spätere Gründung, die nicht zu den übrigen -stat-Orten gehört. Dafür spricht die Erwähnung 910 durch den Zusatz sanctam (Brigida von Kildare wurde heilig gesprochen). Es ist allerdings nicht gesichert, dass damit wirklich Bierstadt gemeint war. Auffällig ist, dass das das einzige Mal ist, dass die erste Silbe Bri- wiedergegeben wird. Ansonsten hält sich hartnäckig ein scheinbarer Buchstabendreher bir- in der ersten Silbe, obwohl der Name Brigida ja bekannt gewesen sein muss, wenn es dort ein Heiligtum von ihr gab. Denkbar daher auch: althochdeutsch berga = Berg, siehe Bierstadter Höhe, der Höhenunterschied der Bierstädter Gemarkung beträgt fast 130 Meter.

Bleidenstadt – Blistad 812, Blidenstat 1139,
althochdeutsch: blidi = Freude, Heiterkeit, bliden = sich freuen (vgl. Freudenthal)

Nordenstadt – 882 Nordinstat, 950 Nornestadt (Kopie 13. Jahrhundert), Noranstat 970
manchmal wird ein Personenname Nordo postuliert, die Himmelsrichtung dürfte deutlich wahrscheinlicher sein. Außerdem spricht das für die Alemannen als Gründer der -stat-Orte, denn nur für diese war das, wo Nordenstadt liegt, auch Norden.

Igstadt – Jegestat 1241, Igestat 1251, Igenstad 1253, Ichestad 1268, Eygistat 1278, Ixstadt 1592
althochdeutsch: igo = Eibe, igil = Igel.

Achstat (Wüstung bei Gießen) – Hachenstat ca. 790
Personenname Hago, althochdeutsch hagen = Dornstrauch, Umgrenzung, gehegter Bezirk
Die wenigen -stat-Orte bei Gießen liegen eigentlich außerhalb des alemannischen Siedlungsgebiets. Entweder sind es spätere Gründungen oder alemannische Vorposten. Die umgekehrte Variante, dass die Franken das Suffix kurz vor dem Übertritt auf alemannisches Gebiet erfunden haben, ist wenig plausibel.

Alstat (Wüstung bei Gießen) – Ahalstat 2. Hälfte 8. Jahrhundert, ca. 800 Alahestat
althochdeutsch: alach = Ringwall um eine Sakralstätte

Altenstädt (zwischen Kassel und Korbach) – Alahstat 831 (nicht gesichert!)
althochdeutsch alach = s.o. Kann aber auch wie Altenstadt wörtlich „die alte Stätte“ bedeuten, da die Identifizierung von dem 831 erwähnten Alahstat mit dem heutigen Altenstädt nicht gesichert ist. Sofern dies aber nicht zutrifft, ist Altenstädt eines der wenigen Beispiele für einen -stat-Ort auf fränkischem Gebiet.

Eberstadt (bei Münzenberg) Eberstat 2. Hälfte 8. Jahrhundert, Euiristat/Euirestat 788, Ebirstat 1282, Ebberstad 1329
ob die seltsame Schreibweise 788 ein Hinweis auf die Bedeutung des Namens ist oder nur ein Schreibfehler ist unklar.

Gomarestat (Wüstung bei Bad Hersfeld) – 775,
wohl thüringische Gründung, Personenname Gummar/Gundemar, althochdeutsch gomman = Mann, vor allem im Sinne von Ehemann.

Heydstadt (Schwalm-Eder-Kreis),1128 Heinstat, 1399 Heystad, 1497 Heidestat
ursprünglich wohl ein weiterer Ort namens Heimstat, um die „Stätte“ als „Wohnstätte“ zu spezifizieren, also als Siedlung, gehört daher wohl eher nicht zu den ursprünglichen -stat-Orten, was auch zu der relativ späten Ersterwähnung passt.

Ingimarestat (Wüstung nordöstlich von Fulda)
wohl thüringische Gründung, Personenname Ingimar, einer der wenigen Orten, wo ich zustimme, dass es eigentlich nur einen Personenname sein kann, liegt vielleicht am thüringischen Hintergrund?

Jestädt (bei Eschwege) – Gahesteti 874 (laut Lagis eine Fälschung aus dem 10. Jhd), Gestete 1324
wohl thüringische Gründung, althochdeutsch: gahi = plötzlich, aber auch jäh, steil, gemeint ist wohl der Ausläufer des Höhenzugs, an dem Jestädt liegt.

Kesselstadt – Kezelstat 1059
althochdeutsch kezzil = Kessel, wahrscheinlich aber eher von lateinisch Castell, am Standort befand sich ein Römerkastell, also weder fränkischer noch alemannischer Hintergrund.

Kilianstädten – Stetin 839, Kilionsteiden 1290
der Heilige Kilian, iro-schottischer Mönch des 7.Jhd., wohl eine spätere Umbenennung eines älteren Ortes.

Stierstadt – Steorstat/Stiorstat 791,
althochdeutsch: stior = Stier.

3 Responses to Darmund & seine Freunde – Tiere, Sachen und Personen – Überlegungen zu Ortsnamen in Hessen

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