Martinsviertel

Das Martinsviertel, so wie es heute aufgefasst wird, muss historisch in die Pankratius-Vorstadt und die Alte Vorstadt gegliedert werden. Die Alte Vorstadt entstand von ca. 1590 bis 1687 um den Ballonplatz (der damals viel größer war) entlang der Mathilden- und Alexanderstraße und war ein Quartier für fürstliche Beamte sowie einiger fürstlicher Wirtschaftsgebäude. Die Alte Vorstadt war von einer Mauer umgeben, von der die Mauerstraße ihren Namen hat.

Jenseits dieser Mauer lagen hauptsächlich Gärten und Felder. Einzelne Gebäude standen aber schon früh wie zum Beispiel das Gutmannhaus oder Gutleuthaus, das sich spätestens im 15. Jahrhundert vermutlich im Bereich der heutigen Heinheimer Straße befand. Gutleuthaus war eine Bezeichnung für außerhalb von Ortschaften gelegene Bauten, in denen Leprakranke untergebracht waren. Eventuell 1627, spätestens aber in den 1630ern entstand das Achteckige Haus in der Mauerstraße. Dies zeugt allerdings noch von keiner Siedlungstätigkeit, denn das Achteckige Haus war Teil eines großen Obstgarten.

Das eigentliche Martinsviertel entwickelte sich aus der Pankratius-Vorstadt. Diese ist nach der Pankratiusstraße benannt, deren Bebauung ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachweisbar ist. Die Pankratius-Vorstadt entstand in mehr oder weniger wilder Bebauung, die die fürstlichen Obrigkeit zunächst unterbinden wollte. Offiziell zählte die Pankratius-Vorstadt lange nicht zu Darmstadt.

Mit dem explodierenden Wachstum des 19. Jahrhunderts und der immer größer werdenden Arbeiterschaft wurde günstiger Wohnraum jedoch unabdingbar und entlang der bereits existierenden Straßenzüge der Pankratius-, Arheilger-, Schlossgarten-, Dieburger-, Lauteschläger-, Heinheimer- und Kranichsteiner Straße entstanden in kurzer Zeit eine Vielzahl an Häusern.

1885 erhielt das Viertel eine eigene Kirche, die Martinskirche, nach der es fortan benannt wurde. Im Volksmund setzte sich jedoch die Bezeichnung Watzeviertel durch, entweder wegen des dörflichen Charakters mit frei herumlaufenden Schweinen oder weil sich im Martinsviertel ein Faselstall befand, in dem ein Zuchteber gehalten wurde.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist das Viertel schließlich vollständig bebaut. Auch wenn es schrittweise bürgerlicher wird, bleibt es lange Zeit ein Arme-Leute-Quartier. In den 1970ern wären große Teil des Martinsviertel beinahe der Stadtplanung zum Opfer gefallen, als man eine vierspurige Stadtautobahn, die sogenannte Osttangente, quer durch das Martinsviertel plante. Aufgrund großer Widerstände der Bevölkerung wurde allerdings nur ein kleiner Teil abseits des eigentlichen Martinsviertel zwischen Rhönring und Martin-Luther-King-Ring fertiggestellt. Die Osttangente gilt heute, ähnlich wie Neu-Kranichstein, als ein Parade-Beispiel verfehlter Stadtentwicklung dieser Zeit.

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