Die Hexen-Coppel von Johannes Ellinger

Ich habe mir jetzt einmal die „Hexen-Coppel“ des Arheilger Pfarrers Johannes Ellinger angesehen.

Das Ganze hat knapp 70 Seiten in engbedruckter Fraktur-Schrift in der Sprache des 17. Jahrhunderts, gespickt mit lateinischen Phrasen, um gebildet zu wirken, mit unzähligen Dopplungen und aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelzitaten. Das ist sehr anstrengend zu lesen, von daher habe ich vieles nur überflogen, so dass, was ich jetzt dazu schreibe, nur oberflächlich sein kann. Eine genaue Analyse könnte zu einer anderen Bewertung des Werkes führen. Für das, um was es mir jetzt eigentlich geht, sollte es aber ausreichend sein.

Ellinger, geboren 1604 in Darmstadt, war Kaplan und Schulmeister in Arheilgen, der 1631 suspendiert wurde, vermutlich weil er seine Pflichten zu oft vernachlässigt hatte. Danach verliert sich seine Spur. Sein weiteres Schicksal kennen wir nicht.

Mir war er bisher entgangen und ich war erst durch ein kürzlich erschienenes Buch über die Darmstädter Hexenverfolgungen auf ihn gestoßen (vgl. den vorigen Blogeintrag).

Dort schreibt der Autor Matthias Lothhammer über Johannes Ellinger:

„Unter dem Eindruck der Dieburger Hexenprozesse verfasste Pfarrer Ellinger in Darmstadt eine Schrift gegen den Hexenwahn. Seine ‚Hexen-Coppel‘ wurde veröffentlicht und er wurde bald darauf vom Dienst suspendiert.“

Bezug von Lothhammer ist „Weber, Otto (Hrsg.), 1986: Hexen – Leid und Verfolgung im Spiegel der Geschichte, Verein für Heimatgeschichte, Ober-Ramstadt“.

Aber auch das Stadtlexikon weiß über die Hexen-Coppel:

„Noch in seiner Arheilger Zeit schrieb er, wohl unter dem Eindruck von Hexenverbrennungen in Dieburg, 1629 ein Werk, in dem er sich gegen den Hexenaberglauben (Hexenverfolgung) wendet […]“

Ist Ellinger also ein vergessener Kritiker der Hexenverfolgungen?

Ähm, nein, leider nicht. Schaut man sich das Buch mal an, ist man über die Einschätzung von Weber und dem Stadtlexikon (hier konkret verfasst von Stadtarchivar Peter Engels) doch sehr erstaunt. Bei Lothhammer vermute ich, dass er einfach Weber vertraut hat, zumindest führt er die Hexen-Coppel nicht in seinem Literaturverzeichnis auf.

Ich muss dabei allerdings noch einmal betonen, dass ich das Werk nur überflogen habe, wenn man es richtig analysiert, kommt vielleicht ein etwas anderer Eindruck zustande. Es würde mich aber überraschen.

Denn es fängt schon damit an, dass Ellinger auf der Titelseite des Buches das unselige Zitat aus Exodus abdrucken lässt, das Luther so fatal mit „Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen“ übersetzte.

Dann ist das Buch über weite Strecken eine Darlegung, welche Formen von Zauberern und Hexen es gibt, er kategorisiert, er hinterfragt nicht. Zu belegen versucht er das zumeist mit Bezug auf christliche und antike Autoren, und natürlich der Bibel.

Kritisieren tut er, dass sich der – wie er es nennt – „unverständige Idiot“ und „gemeine Pöbel“ anmaßt darüber entscheiden zu können, wer verbrannt wird und wer nicht. Das wäre Aufgabe der Obrigkeit.

Damit erschöpft sich seine Kritik an den Hexenverfolgungen aber schon. Es geht ihm darum, wie Hexen verfolgt werden sollen, nicht ob. An einer Stelle schreibt er in Bezug auf Hexenverbrennungen, die an anderen Orten stattgefunden haben:

„GOtt geb das dieser Hexendanz auch einmal bey uns angehe unnd solches Teuffelisches Unkraut doch zum theil möchte ausgerottet werden.“

Schon klar, oder? Es ist der absolute Höhepunkt der Hexenverfolgungen, es werden Menschen zu Tausenden bestialisch verbrannt. Und Ellinger findet kacke, dass das in Darmstadt gerade nicht passiert.

An anderer Stelle stimmt er der Vorstellung zu, dass sich der Teufel leiblich mit Menschen vermischen kann:

„So ist jedoch auch aus der Unholden Zaubermeister un Teuffelsbräuten peinlichen Aussag offenbar unnd kund, daß der Teuffel […] mit seinen Leuten unnd angehörigen […] warhafftiger empfindelscher Weise sich vermischen und sie hinwiederumb mit ihm zutun haben können.“

Und die Konsequenz daraus ist:

„Wolan ist dem nun also unnd soll auch in Ewigkeit also bleiben, daß GOtt die Hexen und Zauberer durch die Obrigkeit wil getödtet haben.“

Anschließend wirft er der Obrigkeit vor, dass sie ihrer Pflicht diesbezüglich nicht nachkämen. Wohlgemerkt: Er kritisiert nicht die Hexenverfolgungen, sondern dass in Darmstadt zu dieser Zeit keine verfolgt werden!

Es ist bemerkenswert, dass aus so einer Quelle der Schluss gezogen wurde, es handele sich um eine Kritik an den Hexenverfolgungen. Offenbar hat sich niemand, der das behauptet hat, angefangen bei Otto Weber bis zu Stadtarchivar Peter Engels, das Ding mal angesehen. Ellinger zweifelt zu keinem Zeitpunkt die Realität von Hexen, Schadzaubern oder Teufelsbuhlschaft an. Im Gegenteil, er kritisiert die Obrigkeit dafür zu lasch vorzugehen, wünscht sich ein Vorgehen, wie es gerade anderswo im Reich stattfindet.

Wie genau kommen da Aussagen zustande, er hätte sich gegen den Hexenglauben gewandt?

Neues Buch über die Darmstädter Hexenverfolgungen

Ich hatte ja vor kurzem schon einmal erwähnt, dass ich mir aktuell keinen Überblick mehr über neue Veröffentlichungen über Darmstadts Geschichte verschaffe und, wenn überhaupt, nur zufällig darüber stolpere.

Genau das ist diese Woche wieder einmal geschehen. Ich hatte etwas Zeit zu überbrücken und stöberte in der Buchhandlung. Dabei fiel mir ein kleines, 80-seitiges Büchlein in die Hände: „Matthias Lothhammer: Mit dem Feuer vom Leben zum Tod gebracht, Hexenverfolgung in Darmstadt.“

Ja, tatsächlich, eine eigenständige Veröffentlichung über die Darmstädter Hexenverfolgungen, erschienen dieses Jahr. Ohne auch nur hineingeschaut zu haben, habe ich mich darüber gefreut. Das Thema und die Opfer sind nicht völlig tot und vergessen in dieser Stadt.

Etwas schade ist, dass nur gut die Hälfte des Buchs wirklich die Darmstädter Fälle behandelt. Danach verliert es sich erst in andere hessische Regionen, um dann ganz allgemein den Ablauf eines Hexenprozesses darzulegen. Meiner Meinung nach sollte ein Regionalstudie mehr die Besonderheiten der konkreten Fälle untersuchen als über Elemente zu sinnieren, die in Darmstadt gar nicht zutrafen. Und die Erwähnung von Jeanne d’Arc ist einfach nur überflüssiges Namedropping. Auch ist es eine etwas seltsame Struktur das Allgemeine ans Ende zu stellen statt damit zu beginnen.

Im Literaturverzeichnis las ich dann meinen Namen gleich zweimal, Verweise auf zwei Beiträge aus diesem Blog. Im Text selbst wird dann dreimal konkret auf mich Bezug genommen, auch wenn eines davon nur mich zitiert, wie ich das Protokoll des Gerichtsurteils gegen Margarethe Heil zitiere, und ein weiteres eigentlich eine Schlussfolgerung von Lange/Wolf ist, der ich lediglich zugestimmt hatte. Immerhin der dritte Bezug ist dann originär meine Idee.

Spannender fand ich daher, dass es mehrere Stellen im Buch gibt, bei denen der Autor keinen direkten Bezug zu mir herstellt, es aber doch eindeutig ist, dass das auf eine meiner Ideen oder Meinungen zurückgeht. Dazu gehört zum Beispiel die fragwürdige Rezeption der Darmstädter Hexenverfolgung. Lange/Wolf hatten zwar auch schon darauf aufmerksam gemacht, dass der Hof-Historiograf Johann Steiner im 19. Jahrhundert die Hexenverfolgungen wohl verteidigte, damit kein schlechtes Bild auf den Dynastiegründer des Herrscherhauses fiel, den abstrusen Verteidigungsversuch, den Manfred Knodt 1977 in einem verhältnismäßig viel verkauften Buch über die Darmstädter Herrscher zum Besten gab, habe aber zuerst ich massiv kritisiert. Lothhammer übernimmt – wenn auch weniger scharf – diese Kritik.

Und für solche Dinge gibt es in dem Buch mehrere Beispiele. Das hat mich viel mehr gefreut als zitiert zu werden. Jemanden zitieren ist keine Zustimmung. Wenn man Ideen und Meinungen von jemanden übernimmt, ohne ihn zu zitieren, heißt das, dass man überzeugt hat. Mein Blog hat auf das Thema einen nachhaltigen Einfluss. Daran hatte ich bisher immer Zweifel. Bislang war ich nicht sicher, ob ich all den Kram, den ich hier geschrieben habe und in den ich so viel Arbeit gesteckt habe, nicht auch in ein geheimes Tagebuch hätte schreiben können, ohne dass es weniger Effekt erzielt hätte.

Aber genug der Selbstbeweihräucherung. Man gönne mir das nach all den Jahren einmal.

Zum Buch selbst. Ist es gut? Ist es schlecht? Soll man es kaufen?

Die letzte Frage ist am einfachsten zu beantworten: Ja, macht das. 9,80 EUR sind nicht viel und ihr zeigt, dass das Thema genug Interesse erzeugt, dass sich weitere Veröffentlichungen zu dem Thema lohnen.

Ist es schlecht? Nein. Ich würde ein schlechtes Buch nicht zum Kauf empfehlen.

Ist es gut? Hier wird es schwieriger. Weil meine ehrliche Antwort darauf ist: Kommt drauf an, was man von einem solchen Buch will. Für mich, der sich schon intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, ist es klar zu wenig und zu oberflächig. Für jemanden, der neu an das Thema herangeht, ist es kein schlechter Einstieg, aber ich habe an mehreren Stellen die Befürchtung, dass sich durch die Art der Darstellung falsche Bilder über das Zeitalter der Hexenverfolgungen in den Kopf setzen könnten. Was da bspw. über den Hexenhammer, die Hexenbulle und die Rolle bzw. Meinung des Papstes dazu zu lesen ist, stimmt so einfach nicht. Auch, dass in der Schlussbetrachtung Thomas von Aquin und Heinrich Kramer als Wegbereiter der Hexenverfolgungen genannt werden, aber Luther und Calvin nicht, reproduziert ein Narrativ, analysiert aber nicht, was geschehen ist. Was erstaunlich ist, denn weiter vorne im Buch erwähnt der Autor durchaus Calvins Meinung dazu. Wieso taucht er dann bei der Konklusion nicht auf? Das Narrativ des Hexenhammers als böses Buch, das alles Unheil ausgelöst hat, ist halt stärker, verkennt aber die tatsächlichen Vorgänge.

Da gäbe es noch mehr Beispiele.

Am besten ist das Buch daher für jene, die prinzipiell genug über die Hexenverfolgungen wissen, um die zahlreichen Ungenauigkeiten und vereinzelten Fehler zu erkennen. Dann ist es ein guter Einstieg in die konkreten Darmstädter Fälle. Für tieferes Verständnis empfiehlt sich die Arbeit von Lange/Wolf, auf der dieses Buch genauso größtenteils beruht wie meine Arbeiten dazu. Lange/Wolf ist aber eine Arbeit für Fachpublikum. Nicht jedermanns Sache.

Aber ich möchte nicht missverstanden werden: Was ich hier bemängele, ist auf einem Niveau, das ich bei meinen eigenen Texten auch bemängeln würde. Es ist extrem schwer, jeden kleinen Fehler und jede Ungenauigkeit zu vermeiden. Ich möchte hier aber auch nicht einfach ein Buch empfehlen, dann kauft es jemand auf meine Empfehlung, stolpert über die Ungenauigkeiten und Fehler und fragt mich dann, ob mir das nicht aufgefallen ist.

Doch, ist es. Trotzdem: Kauft das Buch.

Kritik ist aber wichtig. Sie sorgt für bessere Standards, bessere Arbeiten, bessere Bücher.

Vielleicht ist die Frage noch interessant, ob ich selbst etwas Neues aus dem Buch erfahren habe?

Über die Darmstädter Hexenprozesse selbst nicht. Aber Lothhammer erwähnt einen Darmstädter Pfarrer Ellinger, der zur Zeit der Dieburger Hexenprozesse ein Buch namens „Hexen-Coppel“ veröffentlichte, in dem er die Hexenprozesse kritisierte, kurz darauf suspendiert wurde und schließlich in Vergessenheit geriet.

Der war mir bisher völlig entgangen. Da werde ich sicher bei Gelegenheit mal zu recherchieren. Sollte das so gewesen sein, wie es sich hier darstellt, wäre der Mann jemand, an den wir uns erinnern sollten.

Hier noch der Link zur Homepage des Autoren: hexenverfolgung-in-darmstadt.jimdosite.com

Nachtrag vom 06.04.2024: Ich habe mir die „Hexen-Coppel“ von Ellinger zwischenzeitlich angesehen. Es scheint eine ordentliche Verbreitung gehabt zu haben, zumindest findet man im Netz etliche Digitalisate davon. Ich habe bislang nur mal kurz reingeschaut, aber der erste Eindruck ist eher, dass es hier keineswegs um eine Kritik an Hexenprozessen an sich geht, sondern lediglich darum, dass diese in Dieburg von der einfachen Bevölkerung ausgingen und nicht von der Obrigkeit. Hexerei scheint Ellinger für real und verfolgungswürdig angesehen zu haben. Ich muss das allerdings erst noch richtig lesen, bevor ich wirklich ein Urteil fällen kann. Seine Suspendierung, so viel kann ich aber jetzt schon sagen, hatte offenbar nichts mit dieser Veröffentlichung zu tun.

Unkorrigiertes Stadtlexikon

Als 2016 das Stadtlexikon in einer Onlineversion verfügbar gemacht wurde, hatte ich zwei Beiträge geschrieben und darin enthaltene Fehler thematisiert.

Der Vorteil einer Online-Veröffentlichung gegenüber der ursprünglichen Printausgabe ist neben geringeren, kostenbedingten Einschränkungen im Umfang vor allem die Möglichkeit der Fehlerkorrektur und Überarbeitung.

Tatsächlich geschieht das auch regelmäßig, wie man auf der ersten Seite des Lexikons sehen kann.

Von daher habe ich mal geschaut, ob die von mir damals benannten Fehler nach 8 Jahren korrigiert wurden und … leider nein, nicht einer.

Immer noch heißt es beim Ortsnamen, dass es sich beim Ortsgründer bzw. Namensgeber „Darmund“, dessen Existenz selbst schon nicht belegt ist, „vermutlich um einen Wildhübner“ handelt. Auch wenn eine Wildhube Darmstadt dem Wildbann Dreieich zugeordnet war, dieser entstand zu spät, um für die Ortsgründung verantwortlich zu sein. Und ob die Wildhube Darmstadt überhaupt mit der Siedlung Darmstadt in direkter Verbindung stand, ist fraglich.

Zu Arheilgen liest man immer noch, dass die Gründung in „frühfränkischer Zeit (5./6. Jahrhundert)“ anzusetzen sei, obwohl schon der Name gegen eine so frühe Gründung spricht.

Immer noch ist dort zu lesen, dass Johann Conrad Dippel das Berliner Blau erfunden hätte, was schlicht nicht stimmt. Selbst seine durch Georg Ernst Stahl behauptete indirekte Beteiligung ist unwahrscheinlich. Aber auch, wenn Stahls Anekdote tatsächlich geschehen sein sollte, würde Dippel dadurch in keiner sinnvollen Definition zum Erfinder des Berliner Blaus werden.

Bei Alix Prinzessin von Hessen und bei Rhein liest man immer noch, dass Kaiser Wilhelm II. angeblich versucht hätte, den Ausbruch des 1. Weltkriegs durch Vermittlung von Großherzog Ernst Ludwig zu verhindern, was bestenfalls ungenau, schlimmstenfalls Kriegspropaganda und in jedem Fall ein am Thema vorbeigehender und daher in einem Lexikon unangebrachter Einschub ist.

Und die Totenmaske Shakespeares wird immer noch unkritisch als authentisch dargestellt, was ein wissenschaftliches Armutszeugnis ist. Während alles andere Fehler sind, die halt mal passieren können, ist dieser Artikel einfach nur zum fremdschämen.

Problem dabei ist, dass ein solches Stadtlexikon ein riesiger Multiplikator ist. Wenn ich auf meinem Blog hier einen Fehler mache, dann hat das üblicherweise kaum Folgen. Hat halt irgendein unbekannter Blogger von sich gefurzt. Wenn man das alles ernst nehmen würde. Aber ein Stadtlexikon wird zitiert, ist Grundlage von Recherche, wird (wenn überhaupt) weniger hinterfragt und führt so dann zu Argumentationen, die in sich vollkommen korrekt durchgeführt sein können und dennoch zu völlig falschen Schlussfolgerungen führen.

Das P Magazin über die Darmstädter Hexenverfolgungen

Ich schaue zurzeit nicht mehr regelmäßig nach Veröffentlichungen bzgl. der Geschichte Darmstadts. Deshalb ist mir erst jetzt aufgefallen, dass das P Magazin bereits im Oktober 2022 einen Beitrag zu den Darmstädter Hexenverfolgungen gebracht hatte: Darmstadts dunkle Seiten – Von Galgen, Hexen und Sündenböcken.

Aufhänger war Halloween, was ein bisschen schräg ist. Davon aber abgesehen scheint sich der Artikel über weite Strecken an der Arbeit von Thomas Lange und Jürgen Rainer Wolf zu orientieren, die nach wie vor die seriöseste zu dem Thema ist. Teilweise hat man Formulierungen von Lange/Wolf nahezu wörtlich übernommen.

Das hat man sicherlich gemacht, weil das Darmstädter Stadtlexikon auf die Arbeit verweist und es sonst nur sehr wenig zu dem Thema gibt. Daher ist der Artikel im Großen und Ganzen auch ganz okay.

Aber nicht nur. Denn abgesehen davon, dass die Autorin einige Schlussfolgerungen von Lange/Wolf als Fakt darstellt, obwohl sie lediglich Interpretationen der Autoren sind und von diesen nicht als Fakt gemeint waren, haben sich auch einige hartnäckige Klischees über die Hexenverfolgungen eingeschlichen, die Lange/Wolf sicher nicht verbreitet haben, weil es Behauptungen sind, die seit Jahrzehnten überholt sind, falls sie überhaupt je plausibel waren.

Und da der Artikel bei Google nach dem Stadtlexikon der 2. Treffer ist, wenn man nach Hexenverfolgung + Darmstadt sucht, will ich doch ein paar Anmerkungen dazu machen:

„Das Christentum, das Georg I. als Machtlegitimation diente, schrieb die Ausschließlichkeit des christlichen Gottes vor, weshalb es von großer Bedeutung war, alle anderen Vorstellungen religiöser Art im Keim zu ersticken.“

Der Hexenglauben ist aber gar keine „andere Vorstellung religiöser Art“. Es geht da um die Teufelsbuhlschaft. Der Teufel ist christliche Mythologie. Will man hier einen heidnischen Ursprung des Hexensabbats andeuten? Gar einen heidnischen Kult? Die der Hexerei Beschuldigten hatten keinen anderen Glauben. Das waren genauso Christen wie die Täter.

„Georg I. aber war radikal in seinen Überzeugungen, die stark von der Frauenfeindlichkeit des „Hexenhammers“ geprägt waren, dem 1486 erschienenen Werk des deutschen Theologen Heinrich Kramer, das über Jahrhunderte die Legitimationsgrundlage der Hexenverfolgungen darstellte.“

Der Hexenhammer hatte in protestantischen Gebieten, zu denen Hessen-Darmstadt gehörte, keinen nennenswerten Einfluss. Von Georgs Bruder Wilhelm IV. von Hessen-Kassel ist sogar die ausdrückliche Aussage überliefert, dass er den Hexenhammer in seinem Land nicht anerkennen werde.

Überhaupt wird der Einfluss des Hexenhammers maßlos überschätzt. Er spielte eine gewisse Rolle in den katholischen Gebieten. Die häufige Behauptung aber, dass er die Hexenverfolgungen quasi ausgelöst und legitimiert hätte, ist fragwürdig. Der Hexenhammer erscheint 1486. Und was passiert dann? Erst mal nicht viel. Er wird nicht ernst genommen. Es wird sich über ihn lustig gemacht. Es ist ein Werk für skurrile Fanatiker. Ja, es gibt auch zu dieser Zeit schon Hexenprozesse und sogar Hinrichtungen, doch diese waren regional, zeitlich sehr eingeschränkt und riefen sofort massive Kritik hervor. Es ist noch lange nicht das, was wir uns heute unter den Hexenverfolgungen vorstellen.

Das ändert sich erst nach 1560, als die erste große Welle der Hexenverfolgungen beginnt, zu der auch die Darmstädter Prozesse gehören. Das sind fast 80 Jahre nach dem Hexenhammer. Dieser spielt zwar ab jetzt durchaus eine Rolle, allerdings lediglich in katholischen Gebieten. Landgraf Georg I. war aber Protestant. Und das in einer Phase zwischen dem Schmalkaldischen und dem 30-jährigen-Krieg. Dass er vom Hexenhammer in irgendeiner Form „geprägt“ gewesen sein könnte, zeugt von einer völlig falschen Vorstellung von der Zeit.

Übrigens: die berüchtigte Frauenfeindlichkeit des Hexenhammers. Ja, das ist er. Massiv. Und dabei unfassbar dumm. Auffällig ist allerdings, dass der Anteil an männlichen Opfern der Hexenverfolgungen in den katholischen Gebieten deutlich höher war als in den protestantischen Gebieten. Es gibt Studien, die in katholischen Gebieten von einem Anteil männlicher Opfer in Höhe von 30% ausgehen, während die protestantischen Gebiete 10% bis 20% aufweisen (In Darmstadt sogar nur 3%!). Auch das zeigt, dass der Hexenhammer nicht den großen Einfluss hatte, der ihm zugeschrieben wird. Die Zuspitzung auf weibliche Opfer war dort größer, wo der frauenfeindliche Hexenhammer wenig bis gar keinen Einfluss hatte, als dort, wo er ein Standardwerk war. Andere Aspekte waren offenbar wichtiger für die Frage, wer warum Opfer wurde.

Der größere Anteil an weiblichen Opfern in den protestantischen Gebieten dürfte eher von Luther beeinflusst sein, der den weiblichen Aspekt der Hexerei hervorhob und zeitlich näher an den Hexenverfolgungen ist als Heinrich Kramer. Außerdem musste er keine abstrusen Argumentationen bemühen wie das Kramer zum Beispiel mit der berühmten Ableitung des Wortes femina von fides und minus (=weniger Glauben) tat. Luther berief sich auf die Autorität der Bibel. Das war weitaus gefährlicher als Kramer. Die von Luther als „Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen“ übersetzte Bibelstelle (die die von den Katholiken benutzte lateinische Vulgata männlich übersetzte) hat die Zuspitzung der Hexenverfolgungen auf weibliche Opfer wohl deutlich mehr gefördert als der gesamte Text des Hexenhammers.

„1582 kam es in Darmstadt zu einer regelrechten „Hexenhysterie“, sodass Georg I. ab 1586 eine systematische Verfolgung anordnete.“

Hysterie ist ein Begriff, den die Forschung so nicht verwendet, weil er der Realität nicht gerecht wird. Aber okay, ich selbst habe ihn auch schon in diesem Zusammenhang benutzt ;-). Man sollte den Begriff aber vermeiden. Nicht nur, weil er das Phänomen falsch beschreibt. Begriffsgeschichtlich geht das Wort Hysterie auf das altgriechische Wort für Gebärmutter zurück. Merkt ihr? Gebärmutter? Im Zusammenhang mit Hexen? Das ist problematisch. Vorsichtig ausgedrückt.

„Systematisch“ finde ich auch einen schwierigen Begriff. Ja, Georg ließ Nachforschungen anstellen, wer bei der Bevölkerung als Hexe galt. „Systematische Verfolgung“ klingt aber wie ein von Staats wegen durchgeführter Aufspürprozess, um die Leute dann abzuurteilen. So war es wohl nicht. Georg betonte in der Anordnung sogar, dass er nicht gleich gegen jeden prozessieren wolle, sondern lediglich wissen, wer in der Bevölkerung im Verdacht steht. Das spricht eher für einen Kontrollzwang, der bei Georg auch bei anderen Anordnungen zutage trat.

„Historischer Hintergrund war höchstwahrscheinlich eine Pest-Epidemie,…“

Lange/Wolf vermuten, dass das eine Rolle gespielt haben könnte. Allerdings nur für Georgs Anweisung, in der Bevölkerungen nachzuforschen, wer im Ruf stand eine Hexe zu sein. Es hat nichts mit dem Phänomen an sich zu tun. Es ist ja auch keine plausible Vorstellung: Eine Seuche bricht aus und alle drehen so durch, dass sie Leute verbrennen. Es gab immer mal wieder Pestwellen in Darmstadt und zwar deutlich extremere als die von 1584/85, die schlimmste war 1635, mitten in der zweiten Welle der Hexenverfolgungen. Da gab es in Darmstadt aber keine Hexenprozesse. Da passt was nicht zusammen. Zumindest als alleinige Ursache ist die Pestwelle, die zudem erst nach den ersten Prozessen von 1582 stattfand, nicht plausibel.

„Hauptzielgruppe der Verfolgungen waren oft Hebammen oder heilkundige sowie alte, arme, alleinstehende oder verwitwete Frauen.“

Die Kräuterfrau darf natürlich nicht fehlen. Dabei schreiben Lange/Wolf ausdrücklich, dass es dafür kaum Andeutungen gibt. Unter allen Opfern gibt es lediglich eine Hebamme, die allerdings nicht zum Tode verurteilt, sondern lediglich ausgewiesen wurde.

Ich finde das sehr interessant, dass dieser Mythos, der in der Forschung schon lange keine Rolle mehr spielt, weil er aus den Quellen klar widerlegbar ist, hier aufploppt. Völlig unmotiviert. Hebammen waren dringend benötigte Fachkräfte. Sich auf Kräuter verstehende Heilkundige oft Nonnen. Das heißt, die einen brauchte man, die anderen gehörten zur gesellschaftlichen Oberschicht. Die Idee, Hexenverfolgungen wären ein gezielter Angriff auf Hebammen und Heilkundige gewesen, ist unplausibel und widerlegt.

„Im Zweifel gegen die Angeklagte

Äh, nee, grade nicht. Die Brutalität der Folter entstand gerade aus dem Wunsch Zweifel zu beseitigen, weil man der Meinung war, dass nur ein Geständnis alle Zweifel beseitigt. Dass eine Folter falsche Geständnisse hervorbringen kann, vermutete man zwar schon damals (tatsächlich war es eines der Hauptargumente der Kritiker der Hexenverfolgungen), aber es war keineswegs so, dass man sagte: „Ich bin nicht sicher, ob sie es wirklich war… verbrennt sie!“

Von den Frauen, die einmal in die Mühlen der Verfahren geraten waren, wurden 75 Prozent verurteilt, davon rund 30 Prozent zum Tode, wobei anzunehmen ist, dass auch hier die Dunkelziffer höher liegen mag. „

Warum? Die Dunkelziffer entsteht dadurch, dass bei Weitem nicht alle Dokumente überliefert sind. Es könnte also deutlich mehr Fälle gegeben haben, als wir nachweisen können. Warum aber die vielen, vielen Dokumente, die überliefert wurden, nicht repräsentativ dafür sein sollten, wie viele Prozesse relativ zu Verurteilungen und Hinrichtungen führten, bedürfte einer Begründung.

„In Darmstadt hatte man versucht, Einschränkungen für Ankläger zu errichten, um Massen-Anklagen entgegenzuwirken. So mussten Ankläger für die Versorgung der Verhafteten und auch für Schadensersatz bei einem Freispruch selbst aufkommen.“

Das ist nichts Darmstadt-Spezifisches, das war allgemein üblich, weil es so in der Carolina, der Halsgerichtsordnung von Kaiser Karl V., stand.

„All das fand im Rathaus am Darmstädter Marktplatz statt, das zwar noch ein anderes Gebäude war, jedoch schon an derselben Stelle stand wie das heutige Alte Rathaus (mit Standesamt und „Ratskeller“). Im „Arme-Sünder-Stübchen“, das direkt unter dem Dach lag, mussten die zum Tode Verurteilten auf ihre Hinrichtung warten.“

Die der Hexerei Beschuldigten? Klingt fast so, wenn man das Arme-Sünder-Stübchen erwähnt. Ansonsten wäre das eine ziemlich wahllos eingeworfene Information. Das Arme-Sünder-Stübchen war aber logischerweise erst im Neubau vorhanden. Sonst wüssten wir nichts von ihm.

Nach 1596 sind keine Hexenhinrichtungen aus Hessen-Darmstadt mehr bekannt.

Ähm, nee, nach 1590 sind keine mehr bekannt. Okay, ja, nach 1596 ist natürlich auch nach 1590 ;-). Der Fehler stammt wohl aus dem Stadtlexikon, obwohl den Text Thomas Lange selbst verfasst hat. Keine Ahnung, ob das bloß ein Tippfehler ist. 1596 ist das Todesjahr von Georg I. Vielleicht war es in einer älteren Fassung darauf bezogen, dass die Landgrafen nach ihm keine Hexenverfolgungen durchgeführt haben.

Dann springt der Artikel zu Halloween über.

Der bedrückende Blick in die Vergangenheit Darmstadts soll nicht verstören oder gar dazu aufrufen, an Halloween keine Hexenkostüme mehr zu tragen. „

Äh, watt? Wieso? Wo ist da der Zusammenh… ach so, ja, wird dann natürlich klar. Eigentlich soll der Artikel für Halloween auf Burg Frankenstein Werbung machen. Da darf die Überleitung auch mal holpern.

„Ursprünglich hat sich der Brauch von Halloween in Irland entwickelt“

Kommt drauf an, was man unter Halloween versteht. So wie wir heute Halloween verstehen, hat es sich erst in den USA entwickelt. Die Vorformen haben eine stetige Entwicklung, die nicht nur bis zu den irischen Auswanderern, sondern bis zu mittelalterlichen Heischegängen, die in vielen Teilen Europas verbreitet waren, zurückführen.

„Seit den 90er-Jahren verbreiten sich amerikanische Halloweenbräuche auch in Europa.“

Es geht um Halloween auf Burg Frankenstein. Das gab es dort seit den 1970ern.

Das Halloweenfest in der 1.000 Jahre alten Burgruine Frankenstein

Nicht mal ganz 800 Jahre. Himmelarschund… Das war jetzt wohl ein Fall von: Der Artikel ist eh gleich fertig, jetzt kuck ich nicht mal mehr bei Wikipedia nach.

Hätte man keinen Platz verschwendet, um Werbung für eine Veranstaltung zu machen, die so bekannt ist, dass sie keine Werbung gebraucht hätte, hätte man vielleicht noch ein paar interessante Aspekte über die Darmstädter Hexenverfolgungen erwähnen können, gerade mehr Details über den Fall von Anne Dreieicher und Wolf Weber. Statt dessen weicht man auf durchgekaute Klischees aus, die schon seit Jahrzehnten überholt sind.

Lost & Abandoned auf dem Frankenstein oder: Wozu recherchieren, wenn wir schöne Bilder haben

Nach langem mal wieder etwas aus der Kategorie: Dinge, die man zufällig entdeckt und sich fragt, warum man sich das antut. Heute: Die Sendung Lost Places, die auf dem Spartensender Welt läuft, im Original kurioserweise Abandoned Engineering heißt und in beiden Fällen den Inhalt der Sendung nicht so recht beschreibt.

So erregte meine Aufmerksamkeit auch ein Bericht über die Burg Frankenstein, der vor Falschaussagen mal wieder nur so strotzt.

Mitwirkende sind:

  • Ralph Eberhardt, Pächter der Burggaststätte
  • Jim Meigs, Journalist und ehemaliger Herausgeber von Popular Mechanics, einem populärwissenschaftlichen Magazin aus den USA
  • Dominic Selwood, Historiker, dem unter anderem eine Fellow-Mitgliedschaft der Royal Historical Society verliehen wurde. Er sollte seinen Job also können. Spoiler: Er kann es nicht. Oder tut es zumindest in diesem Fall nicht.
  • Eine Frau, bei der zu keinem Zeitpunkt verraten wird, wie sie heißt, wer sie ist und warum sie kompetent sein soll, Aussagen zu dem Thema zu treffen. Weder der Abspann, noch der durchaus ausführliche Eintrag der Sendung auf IMDb haben das Rätsel lösen können.
  • Außerdem die Stimme von Norbert Langer, den Älteren unter uns vor allem als deutsche Synchronstimme von Tom Selleck bekannt.

Ich habe die Aussagen in vier Kategorien eingeteilt:

1) korrekt
2) im Prinzip korrekt, aber so wie es dargestellt wird, erweckt es einen falschen Eindruck.
3) geht auf einen oder mehrere Fakten zurück, die aber nur dazu dienen, einer dreisten Erfindung den Anschein von Seriosität zu verleihen.
4) Diese Kategorie möchte ich unter dem Kürzel POOYA zusammenfassen, ein Akronym für: Pulled out of your arse. Hier hat man sich nicht mal mehr die Mühe gemacht, irgendeinen historischen Fakt zu finden, den man entstellt, sondern hat einfach wild drauf los fabuliert. Hauptsache, es klingt gut.

Hier ein Link zu der Sendung: https://www.welt.de/mediathek/dokumentation/technik-und-wissen/lost-places/sendung245790348/Lost-Places-Folge-83.html
(nur für einen Monat verfügbar)

Der Teil über Burg Frankenstein beginnt bei ca. 33:50

[35.25]

  • [Dominic Selwood]
    „Um die Burg zu erreichen, wandert man durch einen düsteren, dichten Wald“.

Ähm, ja, wenn man den öffentlichen Parkplatz nutzt und nicht auf der Straße bis zur Burg fährt, kommt man auch ein paar Schritte durch den Wald. Keine 5 Minuten lang und entlang einer asphaltierten Straße. Hui, wie düster. Ich sage mal, das gehört in Kategorie 2.

[35.50]
Restaurant-Pächter Ralph Eberhardt tritt auf und wird als „Schloss-Manager“ vorgestellt. Er tut mir ein bisschen leid. Er wirkt sehr nervös, als er vermutlich versucht, sich an den lateinischen Wortlaut der Ersterwähnung zu erinnern (super castro in frangenstein) und irgendwas wie „Supero-Castle of Frankenstein“ stammelt. Später wird er so manipulativ geschnitten, dass es auf den Zuschauer so wirken muss, als hätte er Dinge behauptet, von denen ich vermute, dass er sie so gar nicht gesagt hat.

[36.03]

  • [Norbert Langer aus dem Off]
    „In der Kapelle des Schlosses steht eine Statue. Manche behaupten, sie repräsentiere kein Mitglied der Familie Frankenstein.“

Gezeigt wird das Grabmal von Philipp Ludwig von Frankenstein. Dass es kein Mitglied der Familie Frankenstein zeigen würde, ist ein klarer Fall von POOYA.

  • [Ralph Eberhardt]
    „Wenn man sich daneben stellt, ist der gute Mann 1 Meter 80 groß, also viel zu groß für seine Zeit. Diese Bedeutung, warum man das gemacht hat, oder er war wirklich so groß, das kann ja sein, das entzieht sich meiner Kenntnis.“

Mit 1 Meter 80 war man in der Zeit tatsächlich auffällig groß, aber auch kein Weltwunder oder Freak. Was Eberhardt mit der Aussage zum Ausdruck bringen will, bleibt völlig unklar. Er scheint suggerieren zu wollen, dass man Philipp Ludwig vielleicht größer dargestellt hat, als er war. Aber selbst wenn: So what?
Bedenkt man, wie wild solche Beiträge geschnitten werden, damit man alles in ein bestimmtes Zeitfenster bekommt, muss man sich schon fragen, warum man dieser Belanglosigkeit so viel Raum gönnt. Ich vermute, es soll beim Zuschauer den Eindruck erwecken, dass mit der Statue etwas nicht stimmt, weil man stellt kurz darauf folgende Behauptung auf:

[36.24]

  • [Norbert Langer aus dem Off]
    „Vermutlich stellt die 1 Meter 80 große Figur einen ehemaligen Bewohner des Schlosses dar: Johann Konrad Dippel.“

POOYA!

Daran ist so viel falsch, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Vielleicht nur die einfachsten Dinge:

1. Die Statue sieht Dippel überhaupt nicht ähnlich.
2. Warum sollte man ihn als Ritter in Rüstung darstellen?
3. Es ist ein Grabmal. Philipp Ludwig, den das Grabmal tatsächlich darstellt, starb mehr als 70 Jahre vor Dippels Geburt. Möglich, dass Dippel das Grabmal selbst mal gesehen hat.
4. Es steht erst seit 1851 in der Burgkapelle, vorher stand es in der Nieder-Beerbacher-Kirche.
5. Es hat eine zeitgenössische Inschrift, die die Figur als Darstellung von Philipp Ludwig identifiziert.

[36.38]

  • [Dominic Selwood]
    „Viele seiner Ahnen waren protestantische Geistliche.“

Dippel stammte aus einer Pfarrersfamilie, also, hey, da könnten wir tatsächlich eine Kategorie 1 haben!

  • „Sein Vater wollte unbedingt, dass er in deren Fußstapfen trat. Deshalb unterrichtete er ihn selbst, hier auf der Burg.“

Aber von Kategorie 1 direkt in ein POOYA geschlittert, Dippel besuchte zunächst die Lateinschule in Nieder-Ramstadt und ging dann auf das Pädagogium in Darmstadt, wo er am 27. März 1691 den Abschluss machte. Aber dazu müsste man ja mal in eine Quelle schauen. Ist wohl unter der Würde eines von der Royal Historical Society ausgezeichneten Historikers.

[36.55]

  • [Ralph Eberhardt]
    „Konrad Dippel war seiner Zeit schon wirklich gedanklich ein großes Stück voraus.“

Eberhardt steht immer noch vor dem Grabmal Philipp Ludwigs, was mich vermuten lässt, die Produzenten der Sendung haben ihn bewusst an dieser Stelle nach Dippel gefragt, um zu suggerieren, dass er immer noch über die Statue spricht.

Inwieweit Dippel seiner Zeit gedanklich voraus war, sei dahingestellt. Er war in erster Linie Theologe und schrieb daher hauptsächlich über Theologie. Als junger Mann hing er einem chiliastischen Weltbild an, lebte also in der Erwartung des nahenden Weltendes, mit dem er im Jahr 1700 rechnete. Er hielt Vorlesungen über Handlesen und Astrologie, versuchte sich an der Wandlung von Silber in Gold. Allein mit dem Hinweis, dass auch Newton an die Alchemie glaubte, kann man Dippel noch nicht als seiner Zeit voraus beschreiben. Aber vielleicht führt Eberhardt ja noch aus, was er genau meint.

  • „Das heißt, er hat sich öfter mit der Kirche angelegt, weil er gesagt hat zum Beispiel, die Erde ist ne Kugel und keine Scheibe.“

POOYA!

Ich will nicht wieder damit anfangen, dass die Vorstellung, die Menschen im Mittelalter hätten die Erde für eine Scheibe gehalten, ein sich hartnäckig haltender Irrtum ist. Es reicht aus, auf die Lebensdaten Dippels hinzuweisen: 1673 bis 1734, also mehr als 150 Jahre nach der Weltumseglung der Magellan-Expedition. Man hat sich in dieser Zeit sicher mit absolut niemanden angelegt, wenn man gesagt hat, dass die Erde eine Kugel ist.

[37.30]

  • [Norbert Langer aus dem Off]
    „Ein Laborunfall bringt ein seltsames, blaues Pigment hervor.“

Wahrscheinlich eine Kategorie 2, wobei es keinen Beleg für die Anekdote gibt, nach der Berliner Blau, um das es hier geht, versehentlich entdeckt wurde.

[38.00]

  • [Norbert Langer aus dem Off]
    „Preußisch Blau, auch Berliner Blau genannt, macht Dippel bekannt. Bald ist er aber auch berüchtigt.“

Ich werte das mal als Kategorie 3 minus, denn eigentlich ist alles daran falsch und das Fünkchen Rest, das bleibt, basiert allein auf einer Anekdote des Chemikers Georg Ernst Stahl, von der niemand weiß, ob sie den Tatsachen entspricht. Demnach hätte Dippels Tieröl bei der Herstellung des Berliner Blaus eine Rolle gespielt. Mit der Herstellung selbst hatte Dippel aber nichts zu tun. Bestenfalls hat er Johann Jacob Diesbach, dem tatsächlichen Entdecker des Berliner Blau, einen chemischen Stoff geliefert, der versehentlich mit Dippels Tieröl verunreinigt war.

Völlig falsch ist, dass das Berliner Blau Dippel bekannt gemacht hätte. Das war er da längst. Eher dürfte seine Bekanntheit dazu beigetragen haben, dass er mit dem Berliner Blau in Verbindung gebracht wurde und nicht umgekehrt.

  • [Dominic Selwood]
    „Farben interessierten ihn gar nicht so sehr, sein eigentliches Interesse galt der Suche nach der Unsterblichkeit.“

Nochmal Kategorie 3 minus. Dippel war Theologe. Um Geld zu verdienen, war er nebenbei noch Arzt und Alchemist. Man kann unterstellen, dass ein Arzt darauf aus ist, seinen Patienten ein möglichst langes Leben zu verschaffen. Mit der Suche nach Unsterblichkeit hat das aber nichts zu tun.

[39.03]

  • [Dominic Selwood]
    „Seine Experimente kreisten um die Seelenübertragung. Er versuchte, die Seele von einem Tier auf ein anderes zu übertragen.“

POOYA.

In der Schrift „Die Kranckheit und Arzney des thierisch-sinnlichen Lebens“ macht Dippel lange Ausführungen über die Natur der Seele. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass es die Transmigration der menschlichen Seele gibt. Vermutlich beruht darauf die Behauptung. Aber abgesehen davon, dass das damals keine ungewöhnliche Ansicht war, schreibt er in demselben Werk auch:

  • „Sollte man aber muthmassen ich wolte etwa der Platonischen und Pythagorischen Philosophen Lehre / […] / daß die Seele aus einem Leib in den andern wandere / beypflichten / […] / so wisse man / daß ich dieser Meinung ganz und gar nicht zugethan bin.“

Das Grauen für schöne Narrative sind Originalquellen. Nie steht drin, was man gerne hätte.

[39.25]

  • [Norbert Langer aus dem Off]
    „Nach jahrelanger Arbeit gelingt Dippel der Durchbruch. Er stellt eine Substanz her, die er Dippels Tieröl nennt“

Eine Kategorie 2 würde ich sagen. Dippels Tieröl gibt es tatsächlich und es war am Ende seine größte Leistung. Nur war das ja die Substanz, die angeblich bei der Herstellung des Berliner Blau verwendet wurde. Die Reihenfolge der Erzählung ist also völlig durcheinander.

[39.37]

  • [Jim Meigs]
    „Einmal versuchte er, die Burg gegen die Formel einzutauschen. Er behauptete auch, dank seines Elixiers 130 Jahre alt werden zu können.“

Kategorie 2, weil ich annehme, dass es bewusst schlecht geschnitten ist, und Meigs mit „Formel“ nicht Dippels Tieröl meint. Tatsächlich versuchte Dippel kurz vor seinem Tod eine alchemistische Formel, die Silber in Gold verwandeln könnte, an den Landgrafen zu veräußern. Zunächst wollte er dafür die Burg als Lehen, vielleicht um sich durch den damit verbundenen rechtlichen Status seinen Gläubigern leichter entziehen zu können. Der Landgraf ließ sich darauf aber nicht ein und bot Dippel lediglich Geld für die Formel. Dippels Tod verhinderte den Abschluss der Verhandlungen darüber.

Die Sache mit den 130 Jahre alt werden, wird immer wieder ausgegraben. Er hat das auch einmal so ähnlich geschrieben, allerdings nicht im Zusammenhang mit irgendeinem Elixier und auch nur als ironische Erwiderung auf weit verbreitete Gerüchte, er sei gestorben.

  • [Norbert Langer aus dem Off]
    „Doch dann gibt es neue Gerüchte. Dippel experimentiert angeblich mit den Körpern Verstorbener.“

POOYA.

Dass es diese Gerüchte gegeben hätte, ist irgendwann in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts erfunden wurden, um Dippel an Victor Frankenstein anzunähern. Es gab diese Gerüchte nicht.

  • [Ralph Eberhardt]
    „Es soll angeblich einen Gang geben, der direkt runterführt nach Beerbach. Der Gang, den es hier oben geben sollte, [soll] auch natürlich dafür gedient haben, Leichenteile zu besorgen.“

Kategorie 2. Gerüchte dieses Geheimgangs gab es tatsächlich, was aber für viele alte Burgen der Fall ist. Manchmal hat es solche Gänge auch tatsächlich gegeben. Für die Burg Frankenstein ist das aber wegen der Bodenbeschaffenheit eher unwahrscheinlich. Im 18. Jahrhundert haben zudem insgesamt drei Grabungskampagnen versucht, diesen Gang zu finden. Ohne Erfolg.

Aber selbst wenn es diesen Gang gegeben hat, war er zu Dippels Zeit längst verschüttet. Abgesehen davon hatte er überhaupt kein Labor auf der Burg und die Burg war in dieser Zeit auch denkbar ungeeignet dafür. Warum hätte er dorthin Leichenteile schaffen sollen?

[40.50]

  • [Anonyme Frau]
    „Dippel starb 1734 an einem Schlaganfall.“

Yeah, eine Kategorie 1, Glückwunsch! Wobei man anmerken muss, dass Schlaganfall damals weiter gefasst war als heute. Aber es war ein plötzlicher Tod ohne Fremdeinwirkung.

  • „Einige behaupteten jedoch, er sei vergiftet worden.“

Und wir reisen weiter in Kategorie 2. Es gab Gerüchte, er hätte sich versehentlich selbst vergiftet. Und es gab Gerüchte, er sei ermordet worden. Außerdem gab es auch Gerüchte, er lebe noch.

  • „Denn er war bei den Einheimischen wohl sehr unbeliebt.“

Und schon sind wir bei Kategorie 3 angekommen, es geht weiter abwärts. Zum einen suggeriert die Sendung, dass alles immer noch in der Region der Burg Frankenstein stattfand, Dippel starb aber auf Schloss Wittgenstein. Zum anderen verteilte er in der Zeit, nachdem er beim Landgraf in Ungnade gefallen war und sich im Odenwald auch der Alchemie widmete, viel Geld unter der armen Bevölkerung dort. Die hatten nicht viel Grund, sauer auf ihn zu sein. Dippels Probleme bestanden vor allem mit Autoritäten.

  • [Norbert Langer aus dem Off]
    „Nach Dippels Tod gerät Burg Frankenstein in Vergessenheit.“

Nicht mehr als vorher. Definitionssache, ob das unbekannt genug ist, um „vergessen“ zu sein. Goethe zumindest kannte sie noch.

[41.17]

  • [Dominic Selwood]
    „Auf der Reise übernachteten sie [gemeint sind Mary & Percy Shelley] auch in Gernsheim, nur 15 km von Burg Frankenstein entfernt.“

Aaaah, ich sage mal fast Kategorie 1, sie haben nicht wirklich dort übernachtet, sondern hatten 3 Stunden Aufenthalt bei Nacht.

  • „Man kann die Burg von dort aus sogar sehen.“

Nicht bei Nacht.

  • „Es ist gut möglich, dass sie von Einheimischen und Mitreisenden Geschichten über die Burg und ihrer einstigen Bewohner gehört hat.“

Warum erwähnt sie sie dann nicht in ihrem Tagebuch? Zusammen mit dem Tagebuch ihrer Stiefschwester Claire Clairmont ist das die einzige Quelle, die wir über Mary Shelleys Kurzbesuch in Gernsheim haben. Man kann nicht einmal eine Quelle heranziehen, um sie im nächsten Satz zu ignorieren, Herr Historiker.

[42.00]

  • [Norbert Langer aus dem Off]
    „Shelleys Wissenschaftler, der einem Toten neues Leben einhaucht, erinnert an Johann Konrad Dippel.“

POOYA.

Victor Frankenstein hat weder in seiner Biographie, noch in seiner Charakterzeichnung irgendeine Ähnlichkeit mit Dippel.

[42.10]

  • [Jim Meigs]
    „Einiges spricht dafür, dass sie Teile der Geschichte aufgeschnappt hat. Der Name Frankenstein ist auf jeden Fall ein Hinweis darauf. „

Aber kein sehr guter, weil er gar nicht so ungewöhnlich war, wie man heute vielleicht meint.

Neue Straßennamen (und die Unsitte des Clickbait)

Es wirkt ein bisschen unwirklich, aber die Hindenburgstraße wird jetzt offiziell und auch faktisch umbenannt, zusammen mit einigen anderen Straßen.

Ich glaube, ich habe in der Vergangenheit alles dazu gesagt, was ich dazu zu sagen habe, deshalb mache ich mal einen kleinen Nebenkriegsschauplatz auf. Das Echo versteckt die neuen Namen hinter einer Bezahlschranke, selbst der Teaser ist im Clickbaitstil gehalten, d.h. statt eine Information, die dort Platz hätte, zu geben, teast man sie lediglich an: „Nach dem jahrelangen Streit ist nun klar, wie die Straße künftig heißt.“

Was mich zunehmend ärgert, ist, dass das Echo der Meinung ist, Informationen ohne zusätzlichen redaktionellen Inhalt hinter Bezahlschranken zu verstecken. Clever ist das nicht, es führt lediglich dazu, dass ich immer öfter statt beim Echo zentral die Meldungen zu lesen (und der Zeitung so zumindest noch Clicks bringe, die faktisch auch Geld sind, wenn auch nicht meins), direkt die Seiten abklappere, von denen das Echo sich die Infos holt. In diesem Fall ist das die Seite der Stadt: https://www.darmstadt.de/nachrichten/darmstadt-aktuell/news/hindenburgstrasse-heisst-kuenftig-fritz-bauer-strasse-magistrat-beschliesst-insgesamt-acht-strassenumbenennungen

Und ohne Clickbait liste ich sie hier nochmal auf:

Hindenburgstraße – Fritz-Bauer-Straße

Alarich-Weiss-Straße – Peter Grünberg-Straße

Brandisstraße – Jonathan-Heimes-Straße

Georgiiplatz – wegen städtebaulicher Neugestaltung vorübergehend ohne Namen

Grundstraße – Mirjam-Pressler-Straße

Kleukensweg – Elizabeth-Duncan-Weg

Kuhnweg – Ruth-Horn-Weg

Von-der-Au-Straße – Milli-Bau-Straße

Der lange Weg der Sinti und Roma

Die ARD zeigt am Montag, den 21. März eine vom hr produzierte Dokumentation über die Diskriminierung von Sinti und Roma in der Bundesrepublik. Ein nicht unerheblicher Teil dazu nimmt auch auf Darmstadt Bezug, zunächst mit dem 1979 auf dem Messplatz veranstalteten „Musikfest der Zigeuner“, von dem auch einige Filmaufnahmen gezeigt werden, einschließlich einer gut gemeinten, im Nachhinein aber zynisch wirkenden Ansprache des damaligen Oberbürgermeisters Heinz Winfried Sabais. Anschließend ist ein Interview mit Gianni Jovanovic zu sehen, der 1982 als Kind bei einem Anschlag in der Wormser Straße schwer verletzt wurde. Bis heute sind die Täter nicht ermittelt. Ich habe schon damals nicht weit davon entfernt gewohnt und bin etwa 2 Jahre älter als Gianni Jovanovic. Wir Kinder wurden vor den „Zigeunern“ gewarnt und ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, dass ich einmal daran vorbeiging, ein Kind vor der Haustür stehen sah und mich fragte, was an diesen Leuten so schlimm sein soll. Tatsächlich ist es eine von einer Handvoll früher Kindheitserinnerung, die aus irgendeinem Grund in meinem Kopf haften blieben.

Die Dokumentation ist bereits jetzt in der ARD-Mediathek zu sehen:

https://www.ardmediathek.de/video/geschichte-im-ersten/der-lange-weg-der-sinti-und-roma/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2dlc2NoaWNodGUtaW0tZXJzdGVuLzczYWU0NTU4LWIzZWUtNDFjNi1hMjY3LTNjOTBhYzMzM2EwNQ

Zur Geschichte der Roma und weiterer als „Zigeuner“ bezeichneter Volksgruppen in Darmstadt hatte ich bereits vor einigen Jahren hier im Blog einen Beitrag veröffentlicht:

Andere Orte namens Darmstadt

Im Zuge der großen Auswanderungswellen nach Russland bzw. der Ukraine und den USA im 18./19. Jahrhundert entstanden etliche Orte mit dem Namen Darmstadt, die von Siedlern aus dem Großherzogtum Hessen gegründet wurden.

In Russland und der Ukraine gab es 5 oder 6.

1. Region Saratow

Die erste größere Auswanderungsgruppe aus Darmstadt gab es bereits Mitte des 18. Jahrhunderts und im späten 18. Jahrhundert soll es im Wolgagebiet zwei Orte namens Darmstadt gegeben haben. Die beiden Orte sind etwas rätselhaft. Das Stadtlexikon schreibt, dass sie nördlich und westlich von „Tamborowka“ gelegen hätten und sonst nichts über sie bekannt wäre. Einen Ort namens Tamborowka habe ich aber nicht ausfindig machen können. Vermutlich ist es ein veralteter und zudem falsch eingedeutschter Name. Im Internet habe ich eine Quelle gefunden, die behauptet, die Orte hätten sich 15 bzw. 25 km östlich von Mariental (heute Sowetskoje) befunden. Lokalisieren konnte ich beide Orte nicht.

2. Am Asowschen Meer 1

In der Nähe von Melitopol entstand bis 1840 ein Ort namens Darmstadt. Die Siedler kamen nicht direkt aus Darmstadt oder dem Großherzogtum, sondern lebten vorher bereits in einer anderen Siedlung, vermutlich in der Nähe des heutigen Pryschyb. 1858 hatte dieses Darmstadt 636 Einwohner, 1926 nur noch 385. Unter Stalin wurden die deutschstämmigen Siedler deportiert.

1945 wurde der Ort in Peremozhnoe umbenannt (Transkription per Google, bin nicht sicher, ob das so korrekt ist). Heute heißt die Siedlung Romaschky, nicht Tschabanowka, wie im Stadtlexikon zu lesen ist. Hier wurde leider mal wieder etwas aus älterer Literatur ungeprüft übernommen.

Romaschki ist der russische Name für Kamille. Bei Google Maps kann man eine Fotoreihe von der Umgebung des Ortes sehen, auf denen auch viele Kamillenblüten zu sehen sind.

Romaschky, das ehemalige Darmstadt heute
historische Postkarte als Romaschky noch Darmstadt war
historische Postkarte als Romaschky noch Darmstadt war
historische Postkarte als Romaschky noch Darmstadt war

3. Am Asowschen Meer 2

Nicht weit entfernt entstand 1842/43 bei Mariupol ein weiterer Ort namens Darmstadt, der im frühen 20. Jahrhundert immerhin 400 Einwohner hatte. 1918 wurde der Ort in Nowgorod/Novhorod umbenannt, auch hier wurden die meisten deutschstämmigen Siedler unter Stalin vertrieben.

Nowgorod heute

4. Auf der Krim

Als Tochtersiedlung einer der beiden Orte am Asowschen Meer entstand 1883 auf der Krim-Halbinsel Neu-Darmstadt. 1887 leben 59 Menschen in dem Ort, der nur wenige Jahre Neu-Darmstadt hieß. Danach hieß die Siedlung bis 1948 Cholbashi und seither Dokhodne/Dohodne. Im Stadtlexikon steht, sie würde heute Tscholbaschi heißen, wohl die eingedeutschte Schreibweise des transkripierten Cholbashi. Quellenhinweis ist hierbei Ulrich Mertens „Handbuch Russland-Deutsche“, herausgegeben vom Historischen Forschungsverein der Deutschen aus Russland e.V., Nürnberg 2000. Offenbar hat da 52 Jahre lang niemand eine aktuelle Landkarte angeschaut, sondern bloß aus alten Büchern abgeschrieben.

Dokhodne heute

5. Baschkortostan 

Nahe der Stadt Ufa, der Hauptstadt der Wolgarepublik Baschkortostan, gab es ab 1905/06 ein weiteres Neu-Darmstadt, in dem 1926 135 Menschen lebten. Es ist mir leider nicht gelungen, den genauen Standort zu lokalisieren.

Während all diese Darmstadts ihren Namen spätestens nach dem 2. Weltkrieg verloren, existieren in den USA bis heute 2 Siedlungen mit dem Namen Darmstadt.

6. Illinois

Darmstadt in Illinois wurde 1816 gegründet, erhielt den Namen Darmstadt jedoch erst am 01.02.1855. Es wird vermutet, dass die hauptsächlich aus Dietzenbach stammenden Auswanderer, die die ursprünglichen Siedler ab 1830 verdrängten, dem Ort den Namen der Hauptstadt des Großherzogtum Hessens gaben, um weitere Siedler aus dem Großherzogtum anzulocken. 1880 hat die Siedlung 350 Einwohner, 1977 130 und 2010 lediglich noch 68.

Darmstadt, Illinois

7. Indiana

Darmstadt, Indiana wurde 1822 gegründet. Ab 1848 siedeln sich deutsche Auswanderer an. Den Namen Darmstadt erhielt es 1867, vermutlich vom Besitzer des Dorfladens als Hommage an seine aus Ingelheim stammende Frau. Ingelheim gehörte damals zum Großherzogtum Hessen.

Darmstadt in Indiana hat knapp 1.500 Einwohner und seit 1973 Stadtrechte.

Ortseingang Darmstadt, Indiana
Das Darmstadt Inn
Einfahrt zum „Bauerhaus“

Der 2. Oktober in Darmstadt

02. Oktober 1850
Alle politischen Vereine werden verboten.

Der 1. Oktober in Darmstadt

01. Oktober 1806
Großherzog Ludwig I. hebt den Landtag auf und schafft damit die Landstände faktisch ab. „In mir ist alles Recht und der ganze Staat“, so ein Zitat des als aufgeklärt geltenden ersten Großherzogs. Faktisch ist sein Herrschaftsverständnis noch absolutistisch, äußere Umstände zwingen ihn 1820 zur Einführung einer landständischen Verfassung.

01. Oktober 1905
Das „Neue Justizgebäude“ wird eröffnet. In den Räumlichkeiten kommt das Amtsgericht unter. Die sogenannte „Seufzerbrücke“ verbindet es mit dem bereits gut 30 Jahre stehenden Gebäude des Landgerichts.

01. Oktober 1938
Darmstadt wird zur kreisfreien Stadt erhoben.

01. Oktober 1952
Einweihung des neuen Gewerkschaftshauses in der Rheinstraße.

01. Oktober 1997
Aus der Technischen Hochschule Darmstadt wird die Technische Universität Darmstadt. Das Ganze ist Namenskosmetik. Das Promotionsrecht hat die TH bereits seit 1899.