Es wirkt ein bisschen unwirklich, aber die Hindenburgstraße wird jetzt offiziell und auch faktisch umbenannt, zusammen mit einigen anderen Straßen.
Ich glaube, ich habe in der Vergangenheit alles dazu gesagt, was ich dazu zu sagen habe, deshalb mache ich mal einen kleinen Nebenkriegsschauplatz auf. Das Echo versteckt die neuen Namen hinter einer Bezahlschranke, selbst der Teaser ist im Clickbaitstil gehalten, d.h. statt eine Information, die dort Platz hätte, zu geben, teast man sie lediglich an: „Nach dem jahrelangen Streit ist nun klar, wie die Straße künftig heißt.“
Die ARD zeigt am Montag, den 21. März eine vom hr produzierte Dokumentation über die Diskriminierung von Sinti und Roma in der Bundesrepublik. Ein nicht unerheblicher Teil dazu nimmt auch auf Darmstadt Bezug, zunächst mit dem 1979 auf dem Messplatz veranstalteten „Musikfest der Zigeuner“, von dem auch einige Filmaufnahmen gezeigt werden, einschließlich einer gut gemeinten, im Nachhinein aber zynisch wirkenden Ansprache des damaligen Oberbürgermeisters Heinz Winfried Sabais. Anschließend ist ein Interview mit Gianni Jovanovic zu sehen, der 1982 als Kind bei einem Anschlag in der Wormser Straße schwer verletzt wurde. Bis heute sind die Täter nicht ermittelt. Ich habe schon damals nicht weit davon entfernt gewohnt und bin etwa 2 Jahre älter als Gianni Jovanovic. Wir Kinder wurden vor den „Zigeunern“ gewarnt und ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, dass ich einmal daran vorbeiging, ein Kind vor der Haustür stehen sah und mich fragte, was an diesen Leuten so schlimm sein soll. Tatsächlich ist es eine von einer Handvoll früher Kindheitserinnerung, die aus irgendeinem Grund in meinem Kopf haften blieben.
Die Dokumentation ist bereits jetzt in der ARD-Mediathek zu sehen:
Zur Geschichte der Roma und weiterer als „Zigeuner“ bezeichneter Volksgruppen in Darmstadt hatte ich bereits vor einigen Jahren hier im Blog einen Beitrag veröffentlicht:
Im Zuge der großen Auswanderungswellen nach Russland bzw. der Ukraine und den USA im 18./19. Jahrhundert entstanden etliche Orte mit dem Namen Darmstadt, die von Siedlern aus dem Großherzogtum Hessen gegründet wurden.
In Russland und der Ukraine gab es 5 oder 6.
1. Region Saratow
Die erste größere Auswanderungsgruppe aus Darmstadt gab es bereits Mitte des 18. Jahrhunderts und im späten 18. Jahrhundert soll es im Wolgagebiet zwei Orte namens Darmstadt gegeben haben. Die beiden Orte sind etwas rätselhaft. Das Stadtlexikon schreibt, dass sie nördlich und westlich von „Tamborowka“ gelegen hätten und sonst nichts über sie bekannt wäre. Einen Ort namens Tamborowka habe ich aber nicht ausfindig machen können. Vermutlich ist es ein veralteter und zudem falsch eingedeutschter Name. Im Internet habe ich eine Quelle gefunden, die behauptet, die Orte hätten sich 15 bzw. 25 km östlich von Mariental (heute Sowetskoje) befunden. Lokalisieren konnte ich beide Orte nicht.
2. Am Asowschen Meer 1
In der Nähe von Melitopol entstand bis 1840 ein Ort namens Darmstadt. Die Siedler kamen nicht direkt aus Darmstadt oder dem Großherzogtum, sondern lebten vorher bereits in einer anderen Siedlung, vermutlich in der Nähe des heutigen Pryschyb. 1858 hatte dieses Darmstadt 636 Einwohner, 1926 nur noch 385. Unter Stalin wurden die deutschstämmigen Siedler deportiert.
1945 wurde der Ort in Peremozhnoe umbenannt (Transkription per Google, bin nicht sicher, ob das so korrekt ist). Heute heißt die Siedlung Romaschky, nicht Tschabanowka, wie im Stadtlexikon zu lesen ist. Hier wurde leider mal wieder etwas aus älterer Literatur ungeprüft übernommen.
Romaschki ist der russische Name für Kamille. Bei Google Maps kann man eine Fotoreihe von der Umgebung des Ortes sehen, auf denen auch viele Kamillenblüten zu sehen sind.
Romaschky, das ehemalige Darmstadt heutehistorische Postkarte als Romaschky noch Darmstadt warhistorische Postkarte als Romaschky noch Darmstadt warhistorische Postkarte als Romaschky noch Darmstadt war
3. Am Asowschen Meer 2
Nicht weit entfernt entstand 1842/43 bei Mariupol ein weiterer Ort namens Darmstadt, der im frühen 20. Jahrhundert immerhin 400 Einwohner hatte. 1918 wurde der Ort in Nowgorod/Novhorod umbenannt, auch hier wurden die meisten deutschstämmigen Siedler unter Stalin vertrieben.
Nowgorod heute
4. Auf der Krim
Als Tochtersiedlung einer der beiden Orte am Asowschen Meer entstand 1883 auf der Krim-Halbinsel Neu-Darmstadt. 1887 leben 59 Menschen in dem Ort, der nur wenige Jahre Neu-Darmstadt hieß. Danach hieß die Siedlung bis 1948 Cholbashi und seither Dokhodne/Dohodne. Im Stadtlexikon steht, sie würde heute Tscholbaschi heißen, wohl die eingedeutschte Schreibweise des transkripierten Cholbashi. Quellenhinweis ist hierbei Ulrich Mertens „Handbuch Russland-Deutsche“, herausgegeben vom Historischen Forschungsverein der Deutschen aus Russland e.V., Nürnberg 2000. Offenbar hat da 52 Jahre lang niemand eine aktuelle Landkarte angeschaut, sondern bloß aus alten Büchern abgeschrieben.
Dokhodne heute
5.Baschkortostan
Nahe der Stadt Ufa, der Hauptstadt der Wolgarepublik Baschkortostan, gab es ab 1905/06 ein weiteres Neu-Darmstadt, in dem 1926 135 Menschen lebten. Es ist mir leider nicht gelungen, den genauen Standort zu lokalisieren.
Während all diese Darmstadts ihren Namen spätestens nach dem 2. Weltkrieg verloren, existieren in den USA bis heute 2 Siedlungen mit dem Namen Darmstadt.
6. Illinois
Darmstadt in Illinois wurde 1816 gegründet, erhielt den Namen Darmstadt jedoch erst am 01.02.1855. Es wird vermutet, dass die hauptsächlich aus Dietzenbach stammenden Auswanderer, die die ursprünglichen Siedler ab 1830 verdrängten, dem Ort den Namen der Hauptstadt des Großherzogtum Hessens gaben, um weitere Siedler aus dem Großherzogtum anzulocken. 1880 hat die Siedlung 350 Einwohner, 1977 130 und 2010 lediglich noch 68.
Darmstadt, Illinois
7. Indiana
Darmstadt, Indiana wurde 1822 gegründet. Ab 1848 siedeln sich deutsche Auswanderer an. Den Namen Darmstadt erhielt es 1867, vermutlich vom Besitzer des Dorfladens als Hommage an seine aus Ingelheim stammende Frau. Ingelheim gehörte damals zum Großherzogtum Hessen.
Darmstadt in Indiana hat knapp 1.500 Einwohner und seit 1973 Stadtrechte.
Ortseingang Darmstadt, IndianaDas Darmstadt InnEinfahrt zum „Bauerhaus“
01. Oktober 1806 Großherzog Ludwig I. hebt den Landtag auf und schafft damit die Landstände faktisch ab. „In mir ist alles Recht und der ganze Staat“, so ein Zitat des als aufgeklärt geltenden ersten Großherzogs. Faktisch ist sein Herrschaftsverständnis noch absolutistisch, äußere Umstände zwingen ihn 1820 zur Einführung einer landständischen Verfassung.
01. Oktober 1905 Das „Neue Justizgebäude“ wird eröffnet. In den Räumlichkeiten kommt das Amtsgericht unter. Die sogenannte „Seufzerbrücke“ verbindet es mit dem bereits gut 30 Jahre stehenden Gebäude des Landgerichts.
01. Oktober 1938 Darmstadt wird zur kreisfreien Stadt erhoben.
01. Oktober 1952 Einweihung des neuen Gewerkschaftshauses in der Rheinstraße.
01. Oktober 1997 Aus der Technischen Hochschule Darmstadt wird die Technische Universität Darmstadt. Das Ganze ist Namenskosmetik. Das Promotionsrecht hat die TH bereits seit 1899.
30. September 1905 Einweihung der St. Elisabeth-Kirche am Herrngarten, nach der St. Ludwigs-Kirche die zweite katholische Kirche in Darmstadt.
30. September 1915 Der Fischdampfer „Darmstadt“, der 1896 als erstes Schiff mit diesem Namen gebaut wurde, wird von britischen Seestreitkräften versenkt.
30. September 1986 Das seit 1738 erscheinende Darmstädter Tagblatt wird endgültig eingestellt.
29. September 1573 Aufgrund der desolaten Wehrfähigkeit der Landgrafschaft lässt Landgraf Georg I. alle Büchsenschützen zur Musterung nach Bessungen laden. Das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche sorgt dafür, dass fast alle dem Aufruf folgen. Entgegen seiner eigentlichen Agenda erlaubt der Landgraf Glückspiele während der Veranstaltung und stiftet einen Ochse und eine Decke im Wert von 30 Gulden. Jeder, der der Veranstaltung unentschuldigt fernblieb, musste 10 Gulden Strafe zahlen. Das entsprach etwa der jährlichen Aufwandsentschädigung für das Amt des Bürgermeisters, war für einen Durchschnittsbürger also viel Geld.
28. September 1880 Reinhard von Dalwigk stirbt. Von Dalwigk war von 1850 bis 1871 Ministerpräsident des Großherzogtums Hessen. In dieser Funktion war er der Organisator der Reaktion. Mit einer simplen Verordnung setzte er praktisch alle neu erworbenen Rechte von Bürgern und Ständen außer Kraft und berief eine neue, regierungsnahe Ständeversammlung ein, die praktisch alle Entscheidungen aus der Revolutionszeit wieder aufhob und außerdem ein Dreiklassenwahlrecht einführte, um zukünftig die Regierungsmehrheit im Landtag abzusichern. Für Dalwigk war Demokratie eine staatsgefährdende Vorstufe des Kommunismus. Weil er ein entschiedener Gegner der kleindeutschen Lösung war, musste er 1871 nach der Reichsgründung zurücktreten.
28. September 1913 Der Zeppelin „Viktoria Luise“ landet auf dem Exerzierplatz.
28. September 1969 Bei der Bundestagswahl erhält die SPD mit 51,3% die absolute Mehrheit in Darmstadt. Es ist das einzige Mal, dass ihr das bei einer Bundestagswahl in diesem Wahlkreis gelingt.
27. September 1907 Erstausgabe der in Darmstadt herausgegebenen und gedruckten SPD-Tageszeitung „Hessischer Volksfreund“. Die Zeitung erschien bis zu ihrem Verbot im Frühjahr 1933.
26. September 1688 Landgraf Ernst Ludwig unterzeichnet ein Privileg für eine Waldenser Kolonie in Hessen-Darmstadt. Die ursprünglich aus dem Pragela-Tal stammenden Religionsflüchtlinge sollen zunächst zwischen Arheilgen und Messel angesiedelt werden. Letztendlich siedeln sie sich vor allem in dem nach ihnen benannten Walldorf (heute Teil von Mörfelden-Walldorf) und im Odenwald in Rohrbach, Wembach und Hahn an. Später plant der Landgraf eine Hugenottensiedlung direkt vor den Toren des Darmstädter Schlosses. Die überambitionierten Planungen, die auch einen schiffbaren Kanal vorsehen, der den Darmbach mit dem Rhein verbinden soll, werden zugunsten der Neuen Vorstadt aufgegeben (heute etwa der Bereich zwischen Schloss und Luisenplatz).
26. September 1959 Verschwisterungsfeier mit den Städten Alkmaar, Troyes und Chesterfield.
26. September 1975 Ludwig Engel stirbt. Der zweite Oberbürgermeister der Nachkriegszeit war genau 20 Jahre lang Stadtoberhaupt. Seine Amtszeit steht vor allem für die Zeit des Wiederaufbaus, der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und größerer Bürgerbeteiligung, aber auch für einige städtebauliche Fehlplanungen
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