Die Verurteilung Margarethe Heils aus Arheilgen am 15.08.1586

Mit den Hexenverfolgungen 1582 habe ich mich ja schon ausführlich beschäftigt. Aber auch 1586 und 1590 gab es mehrere Opfer. Über die beiden Opfer 1590 lässt sich nicht viel sagen, da schlicht die Quellen dazu fehlen. Außer, dass es diese Opfer gab, wissen wir eigentlich nichts darüber. Auch viele der 17 nachweisbaren Opfer 1586 sind lediglich namentlich bekannt. Nur über den Fall der Witwe Margarethe Heil aus Arheilgen wissen wir etwas mehr, da der Wortlaut des Gerichtsprotokolls erhalten ist.

Tatsächlich war dies lange Zeit der einzige etwas näher untersuchte Darmstädter Fall. Der von mir ausführlicher behandelte Fall von Wolf Weber und Anne Dreieicher wurde erst in den 1960ern überhaupt bekannt, da sich die entsprechenden Quellen vorher nie jemand angeschaut hatte. Ich persönlich finde die 1582er-Fälle deutlich interessanter, da sie mehr über die tatsächlichen Lebenssituationen der Opfer verraten. Der Fall der Margarethe Heil offenbart dagegen eher etwas über die juristischen Zustände und die Vorstellungswelt der Täter.

Nachdem 1582 mindestens 18 Personen (mit einer Ausnahme nur Frauen) auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden waren, kehrte keineswegs Ruhe ein. Ganz im Gegenteil, Landgraf Georg wartete nicht mehr darauf, dass aus dem Volk Beschuldigungen zu ihm drangen, er ließ ganz konkret nach Hexen fahnden. Mit Hilfe des Instruments der Folter blieb es da natürlich nicht aus, dass er tatsächlich welche fand. Eine von ihnen war Margarethe Heil aus Arheilgen.

Was an der offenbar nur sehr kurzen Verhandlung auffällt, ist zunächst das Verhalten des Anwalts der Angeklagten. Dessen Meinung von seiner Mandantin ist keineswegs hoch, ganz im Gegenteil, er spricht von ihrer „weiblichen Schwachheit und Blödigkeit“. Dass diese „Blödigkeit“ eine natürliche Grundeigenschaft von Frauen ist, darin sind sich Anwalt wie Ankläger übrigens vollkommen einig. Abgesehen davon, dass sie damit letztendlich nur ihre eigene Blödheit für alle Zeiten dokumentiert haben, offenbart sich hier vor allem die massive Frauenfeindlichkeit dieser Zeit, die dazu führte, dass in Hessen-Darmstadt 97% der Todesopfer der Hexenverfolgungen Frauen waren, ein Verhältnis, das noch deutlich höher war als sonst üblich. Die massive Unterdrückung der Frauen gehört allgemein zum Zeithintergrund, aber dass es in Darmstadt offenbar besonders schlimm war, zeigt auch der Fall der Dorothea Daniel, die einige Jahre später aufgrund eines völlig anderen angeblichen Delikts ebenfalls hingerichtet wurde, obwohl sie eigentlich das Opfer war, während die Täter fröhlich als angesehene Mitglieder der Gemeinde weiterlebten.

Mit dem Hinweis auf ihre „Schwachheit und Blödigkeit“ bittet der Anwalt Margarethes um Gnade beim Gericht, nach dem Motto: sie kann ja nichts dafür, sie war einfach nur zu doof es zu verstehen. Außerdem weist er darauf hin, dass die Angeklagte zwar den Pakt mit dem Teufel eingegangen wäre, aber doch niemanden dabei geschadet hätte, da es zu keinem Schadenszauber gekommen wäre. Das war eine selten dämliche Strategie, denn der damit zugegebene Teufelspakt war vollkommen ausreichend für das Todesurteil. Mehr noch: der Teufelspakt war der Abfall von Gott, was nach damaliger Auffassung schlimmer war als die übelsten realen Verbrechen. Der Ankläger führt aus:

„so werden auch die Zauberinnen […] vornehmlich der Ursachen halber, dieweil sie Gottes und was Gottes ist, verleugnet und Bündniß mit leidigen Satan aufgerichtet. Denn solches Bündniß ist viel härter zu strafen, als wenn sie mit Feuer und Schwert, Mensch, Vieh oder die Frucht auf dem Lande beschädigt hätte“

Anders gesagt, nicht an Gott zu glauben ist weitaus schlimmer als mit dem Schwert in der Hand ein Massaker auf dem Dorfplatz anzurichten und danach den ganzen Ort niederzubrennen. Klar, dass man mit so einer Auffassung auch keine Hemmungen mehr hatte Menschen für ein Fantasieverbrechen bestialisch zu verbrennen. Die Brutalität der Hinrichtung hat, so betont der Ankläger ausdrücklich, auch den Zweck, anderen Menschen ein „abscheulich Exempel“ zu sein. Man will damit andere also davon abschrecken ein Verbrechen zu begehen, das in der Realität gar nicht möglich ist. Ein Argument, mit dem Landgraf Georg übrigens vier Jahre zuvor auch die Hinrichtungen der minderjährigen Wolf Weber und Anne Dreieicher rechtfertigte, obgleich die Gelehrten seines Bruders, Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, festgestellt hatten, dass die beiden auch nach damaliger Rechtsauffassung nicht hingerichtet hätten werden dürfen.

Hier noch das Gerichtsprotokoll des Falls der Margarethe Heil im Wortlaut:

Heute dato den 15. August 1586 ist Margaretha, weiland Peter Heils hinterlassene Wittwe in Arheilgen, peinlich vorgestellt und ihrer Mißhandlung wegen Halsgericht über sie gehalten worden.

Ehrenhafte, ehrsame und bescheidne Herrn Zentgraf und Gerichtsschöffen dieses löblichen peinlichen Halsgerichts allhier, erscheint beneben adeligem Herrn Oberamtmann und Kellner auch constituirter Fiscalis und bringt im Namen und auf Befehl des durchlauchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Georgen Landgrafen zu Hessen, Grafen zu Catzenelnbogen, zu Diez, Ziegenhain und Nidda etc. unsers gnädigen Fürsten und Herrn, gegen den wider Margarethe, weiland Peter Heils seligen hinterlassenen Wittwe, vorgestellte peinlich Beklagtin, zu Gewinnung der Zeit und Beförderung der Sachen seine peinliche Anklage hiermit in Schriften ein, mit Bitte und Begehr, dieselbige in Recht auf- und anzunehmen, der Beklagtin öffentlich vorlesen zu lassen, darüber zu befragen und, was alsdann durch sie oder ihren bestellten Anwalt dagegen eingewendet werden soll, will ein Fiscal, darauf zu procediren und ferner Nothdurft vorzubringen, hiermit vorbehalten haben.

Die Klage ist angenommen und der Beklagtin vorgelesen und darüber befragt. Ist derselben geständig und durchaus bejaht.

Anwalt der Beklagtin: Vor euch, den ehrenhaften und achtbaren Herrn Zentgrafen und Zentschöffen dieses löblichen Zent- und peinlichen Halsgerichts, erscheint gegenwärtig vorgestellte peinlich Beklagtin zum Recht gehorsamlich, und demnach sie genugsam und wohl verstanden, daß solche jetzt beschehene peinliche Anklage ihren Leib und Leben, Fleisch und Blut, Ehre und Glimpf, welches alles ihr höchstes Pfand, das sie auf dieser Welt zu versetzen hat, anlanget, und obwohl sie aus weiblicher Schwachheit und Blödigkeit in schweren Abfall ihres christlichen Glaubens gerathen und sich mit dem bösen Satan und leidigen Teufel, der dann ob ihr begehrt, wie ein brüllender Löwe und suchet die Menschen zu verschlingen, sich, wie sie selbst, geständig, ergeben, und sich verführen lassen; aber doch sonsten durch Zauberei oder andere boshaftige Werke Niemand beledigt, weder Menschen noch Vieh Schaden zugefüget, so verhofft sie, es sollen ihr die Herrn Zentschöffen und Zentrichter im Urtheilfassen in Gnaden erscheinen; dieweil Gott der Allmächtige allen Sündern Gnade und Barmherzigkeit zugesagt, die sich zu ihm bekehren, so verhofft auch diese arme Sünderin mit Gott dem Allmächtigen sich diesmal wieder versöhnt zu haben und Gnade vor ihm erlangen. Bitt nochmals, wie gemeldet, auch Herrn Zentschöffen, sie wollen ihr auch in Gnaden erscheinen. Also hiermit geschlossen, so weit nicht weiter Nothdurft.

Fiscalis: Ehrenhafter günstiger Herr Richter! Es thut Fiscal der Beklagtin selbst eignes wiederholtes Bekenntniß und was ferner von dem Anwalt gerichtlich vorgetragen und ihm, Fiscal, zur Beweisung seiner Klage dient, und nützlich, hiermit annehmen; das übrige und widerwärtige will er mit gemeinen Einreden kürzlich abgelehnt und widerfochten haben.

Insonderheit aber ist Fiscalis der Beklagtin nichts geständig, daß sie von deßwegen leiblicher Strafe zu überheben sei, dieweil sie als eine weibliche Person aus Blödigkeit ihrer Natur durch den verführerischen Geist des leidigen Satans hätte leichtlich verführt und zu Fall gebracht werden können; denn sonst auch alle Uebelthäter, so von dem bösen Feind zu allerlei Sünde und Schande gereizt und verführt werden, aller Leibestrafe müßten entledigt werden, welches alsdann einen seltsamen Anschein in der Welt geben würde, sintemal auch in solchen hochärgerlichen Lastern Blödigkeit weiblichen Geschlechts nicht gesucht wird, noch auch Keck- oder Kühnheit etwas schaffet.

Denn der böse Geist, wie listig er auch immermehr ist, kann die christliche gläubige Personen zu keinem Abfall nöthigen oder zwingen; ob er gleich dazu Anreizungen giebt. Ueberdieß ist gemeldet Beklagtin vor 40 Jahren und nachdem sie in diese schwere Sünde gefallen, aus ihren unvollkommenen Jahren allbereits getreten gewesen und hätte aus ihrem Catechismolehren und täglichen Predigten behalten sollen, daß sie einen einigen Gott habe, den sie und keinen andern in allen Nöthen anzurufen, dem zu gehorchen, Lied und Wort zu halten und außerhalb dem Gott keinem andern Moloch nachzufolgen.

Dieweil dann diese Beklagtin nicht aus Unverstand, sondern wissentlich ihres wahren Gottes vergessen, den verachtet und verlassen und den leiblichen Satan, der doch Gottes und der ganzen Christenheit abgesagter Feind ist, an Gottes Statt anzurufen und zu dienen, beigepflichtet, sich ihm mit Leib und Seele ergeben, auch ihren Körper, der doch billig ein Tempel des heiligen Geistes sein soll, demselben zu der allerschändlichsten Unzucht unterzogen, so werden auch die Zauberinnen nicht von deßwegen allein am Leben gestraft, weil sie weder Menschen, Vieh oder sonsten Schaden gethan, sondern vornehmlich der Ursachen halber, dieweil sie Gottes und was Gottes ist, verleugnet und Bündniß mit dem leidigen Satan aufgerichtet.

Denn solches Bündniß ist viel härter zu strafen, als wenn sie mit Feuer und Schwert, Mensch, Vieh oder die Frucht auf dem Lande beschädigt hätte. Dieweil nun dem also, dann das factum notorisch und bekannt, so thut Fiscal seine vor eingelegte Anklage und was darin gebeten, anhero reptiren, mit Bitte, die Herren Schöffen wollten mit Recht erkennen, daß diese Beklagtin ihrer Mißhandlung halber wider Gottes und weltliche Satzungen sich höchlich vergriffen und sich deren verleibten Straffen dadurch theilhaftig gemacht hat und sonderlich dem Artikel 106, Gotteslästerung belangend und dem Art. 116, Unkeuschheit gegen die Natur betreffend, der Peinlichen Halsgerichtsordnung einverleibt, eingedenk sein und daraus erkennen, mit welcher Straffe, gegen männiglich, Mann- und Weibspersone, Jung und Alt, zum abscheulichen Exempel, vorzugehen sei. Und dieweil Anwalt der Beklagtin seines Theils zum Schließen geneigt, so will auch Fiscal, so fern nichts Erhebliches vorgebracht oder Neues eingeführt, auch seines Theils geschlossen haben.

Anwalt: Die arme Beklagtin läßt es bei vorigem Einbringen und bittet Euch, Herrn Zentschöffen, nochmals um Gotteswillen, Gnade in die Sache zu wenden.

Fiscalis: Läßt es auch bei seinem vorigen Schließen bleiben und erwartet, was zu erwarten.

Das Urteil wird dann schnell gefunden und knapp erläutert:

In Sachen fürstlichen Fiscalis, Anklägers, an einem, und wider Margarethen, weiland Peter Heils seelig hinterlassenen Wittwe, Einwohnerin allhier zu Arheilgen, ist auf Klage, Antwort und alles gerichtliches Vorbringen, nothdürftige Erfahrung und Erfindung, auch selbst eigenes Bekenntniß, vermöge Kaiser Karl des Fünften hochlobseligen Gedächtnisses und des heiligen Römischen Reiches, wie auch Fürstlich Hessischer Peinlicher Halsgerichtsordnung durch Urtheiler und Schöffen dieses Gerichts zu Recht erkannt, daß gemeldte Beklagtin, so gegenwärtig vor diesem Gericht steht, ihres schweren Abfalls halber gegen Gott und verbotener Bündnisse gegen den Satan und übernatürlicher Weise schändlichen Vermischungen und demselben durch den Scharfrichter auf die Richtstätte geführt und mit dem Feuer vom Leben zum Tod gebracht und zu Asche verbrannt werden soll, deren Seele Gott den Allmächtigen zu Gnaden empfehlend.

7 Responses to Die Verurteilung Margarethe Heils aus Arheilgen am 15.08.1586

  1. Lutz says:

    Wäre das nicht ein Grund, die Umbenennung der Landgraf-Georg-Straße zu fordern? Doch ich befürchte, dass die meisten Anlieger den Namen dieser Unrechtsperson auf ihrer Visitenkarte tolerieren, um ein paar Euro zu sparen 😦

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  3. PeLoo says:

    … dann gäbe es ja einen triftigen Grund, nach der Umbenennung der Hindenburgstrasse wegen aus heutiger Sicht eher zweifelhaften Verdiensten auch die Landgraf-Georg-Str. umzubenennen…

    • Jörg says:

      Peter Engels hatte, als die Straßenumbenennungen beschlossen wurden, explizit Georg I. und seine Hexenverfolgungen erwähnt, als er gefragt wurde, ob weitere Straßenumbenennungen denkbar wären. Aber das wird wohl mehr Zeit brauchen, wenn man schaut, wie lange die Diskussion um die Hindenburgstraße ging – und faktisch ist sie ja immer noch nicht umbenannt. Außerdem sollte man aus der Diskussion lernen und die Aufklärungsarbeit vor einer Diskussion um die Umbenennung setzen. Die meisten Darmstädter wissen doch nicht einmal, dass es hier überhaupt Hexenverfolgungen gab. Da könnte und müsste die Stadt eigentlich mehr machen, wenn sie die Stadtgeschichte ernst nehmen würde, nicht nur dann, wenn es dem Stadtmarketing dient.

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