Der Eselsritt des bösen Hunderts

Im September 1536 verlangten Bürgermeister und Rat der Stadt Darmstadt von den Herren von Frankenstein die Bereitstellung eines Esels, um „etliche Bürger […], die sich ungebührlich und übel gehalten haben“, am nächsten Aschermittwoch „nach unserm alten Herkommens und Gebrauch zu strafen“.

Dieses alte Herkommen ist als Frankensteiner Eselslehen (manchmal auch Bessunger Eselslehen) in die Geschichte eingegangen und wurde von solch prominenten Persönlichkeiten wie Georg Christoph Lichtenberg und Jacob Grimm bekannt gemacht. Bürger, die sich ungebührlich verhalten hatten, wurden demnach auf einen Esel gesetzt und unter dem Gespött der Menge durch die Stadt geführt.

1538 wurde der Esel von den Darmstädtern erneut verlangt, diesmal für „Weiber, die sich haben uff geworfen gegen ire mannen, und haben sich understanden, ire mannen zu schlagen“. Während 1536 nur allgemein von Bürgern, die sich ungebührlich verhalten, die Rede war, sind es hier ausdrücklich Frauen, die ihre Ehemänner geschlagen hatten.

Der Eselsritt war als Strafe über einen langen Zeitraum weit verbreitet. Nikolaos von Damaskus berichtete bereits im 1. Jahrhundert vor Christus von solch einem Brauchtum, das bei den Pisidern, einem antiken Volk in Kleinasien, üblich gewesen sein soll. Dort wurden Ehebrecher zusammen mit der Frau, mit der sie den Ehebruch begangen hatten, auf einen Esel gesetzt und durch die Stadt geführt. Es dürfte sich dabei um eine Ehrenstrafe gehandelt haben, der die Ehebrecher dem Gespött der übrigen Bevölkerung aussetzte. Solche Prangerstrafen hatten symbolischen Charakter. Der Esel wurde dabei möglicherweise deshalb genutzt, weil er sich auch mit Pferden, also einer anderen Tierart, paart und deshalb symbolisch für abnorme Sexualität stand.

Plutarch (ca. 45-125 n.Chr.) erwähnte einen ähnlichen Brauch bei den ebenfalls kleinasiatischen Kymern. Hier bezog sich die Strafe bereits allein auf Ehebrecherinnen, war also auf Frauen zugespitzt. Wurde eine Frau beim Ehebruch ertappt, brachte man sie auf den Marktplatz, wo sie zunächst auf einem Stein stehend der Menge vorgeführt wurde. Dann stieg sie auf einen Esel, wurde einmal um die Stadt geführt und musste sich anschließend wieder auf den Stein setzen, der von nun an als unrein galt. Die Frau dagegen nannte man Eselsreiterin. Sie galt als ehrlos. In der Folgezeit werden vergleichbare Bräuche immer wieder überliefert. Von Europa bis nach Indien scheint der Eselsritt verbreitet gewesen zu sein. So ist es nicht ungewöhnlich, dass ein solcher Brauch auch in Darmstadt existierte.

Kategorisierungen haben aber den Nachteil, dass die Besonderheiten des Einzelfalls in den Hintergrund geraten oder gar ignoriert werden. So heißt es schon bei Helfrich Bernhard Wenck, der 1783 als erster vom Frankensteiner Eselslehen berichtete, dass es zwei Varianten der Strafe gab: hatte die Frau ihren Mann durch hinterlistige Bosheit geschlagen, ohne dass dieser sich wehren konnte, so führte der Frankensteiner Bote, der den Esel überbrachte, diesen mit der Frau auf dem Rücken durch die Stadt. War es dagegen eine faire Keilerei zwischen den beiden gewesen, musste der Mann den Esel selbst führen. Jacob Grimm wählte dann in seinen Deutschen Rechtsalterthümern das Frankensteiner Eselslehen als erstes Beispiel für die weit verbreitete Ehrenstrafe des Eselsritts, mit Wenck als Quelle.

Da aus anderen Beispielen bekannt ist, dass der Delinquent verkehrt herum auf dem Esel sitzen und außerdem in manchen Fällen dessen Schwanz in der Hand halten musste, machte man dieses Detail zu einer grundlegenden Eigenschaft des Eselsritt und in dessen Folge stand es auch in jeder Erwähnung über das Frankensteiner Eselslehen. Aus den historischen Quellen geht allerdings nichts davon hervor. Zwar erscheint es nachvollziehbar, dass sich aus einer Strafe für Ehebrecherinnen eine Strafe für ihrem Mann gegenüber gewalttätige Ehefrauen entwickeln konnte, doch in der ältesten Quelle, der Brief des Darmstädter Stadtrats aus dem Jahr 1536, ist gar nicht von Ehefrauen die Rede, sondern nur von Bürgern. Das Eselslehen war also ursprünglich nicht auf prügelnde Ehefrauen bezogen. Auch die Formulierung ungebührlich verhalten kann viel bedeuten.

Es gibt anderenorts verschiedene Beispiele für den Eselsritt, die belegen, dass dieser keineswegs so eng definiert war wie Wenck, Grimm und in deren Folge nahezu jeder, der über das Frankensteiner Eselslehen berichtete, es darstellen. So soll beispielsweise der Gegenpapst Johannes XVI. nach seiner Absetzung im Jahre 998 verkehrt auf einem Esel sitzend durch die Straßen Roms geführt worden sein. Das zeigt, dass die Verbindung des Eselsritts mit Ehefrauen und Ehebrecherinnen, die Grimm herstellte, eine zu große Vereinfachung ist bzw. nur eine Variante von vielen.

Bleiben wir also enger an der Originalquelle. Neben der plötzlichen Zuspitzung auf prügelnde Ehefrauen, die keine zwei Jahre zuvor nicht einmal angedeutet wurde, fällt bei jenem zweiten Schreiben aus dem Jahr 1538 die merkwürdige Unterschrift auf: „Schultheis und Schöffen des bösen Hunderts zu Darmstadt.

Das Böse Hundert zu Darmstadt? In keinem anderen Zusammenhang tritt dieses Gremium auf. Lange Zeit herrschte die Meinung vor, beim Bösen Hundert muss es sich um ein Kriminalgericht gehandelt haben. Was das Frankensteiner Eselslehen betraf, schien das Böse Hundert sogar die alleinige Verfügungsgewalt zu haben, denn 1588, während eines Streites zwischen dem Landgrafen und den Frankensteinern, bestand Ludwig IV. von Frankenstein darauf, den Esel nur dann auszuhändigen, wenn er vom Bösen Hundert dazu aufgefordert würde. Was für ein merkwürdiges Gremium war das also, dass der Frankensteiner Ritter es in dieser Frage sogar über den Landgraf stellte?

Des Rätsels Lösung ist überraschend: „Datum uff der Herrn Vasennacht“ heißt es in dem Schreiben des Bösen Hunderts an die Frankensteiner. Es ist also Fastnacht. Außerdem verlangte die erste Quelle (nicht vom Bösen Hundert unterzeichnet) den Esel zu Aschermittwoch und deutet zudem an, dass der Eselsritt nur zu Aschermittwoch stattfinden könnte. Der seltsame Name, die Tatsache, dass es nur im Zusammenhang mit dem Eselsritt erwähnt wird und die ungewöhnliche Datierung auf Fastnacht, all das lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Das Böse Hundert war ein Narrengericht.

Ein Narrengericht war ein Fastnachtsbrauch, während dessen ein Gremium von Untertanen die Macht von der Obrigkeit übernahm. Wie an vielen anderen Orten auch findet heute noch in Darmstadt zu Fastnacht der Rathaussturm statt, bei dem die Narren dem (Ober-)Bürgermeister den Rathausschlüssel abnehmen und somit symbolisch die Herrschaft übernehmen. Auch wenn dies kein Überbleibsel des Bösen Hunderts ist, ist es dennoch vergleichbar.

Narrengerichte waren im Mittelalter weit verbreitet, einige, wie z.B. das Stockacher Narrengericht, haben sich bis heute erhalten. Heute wird dort jedes Jahr ein Politiker angeklagt und verurteilt. Im Mittelalter waren es aber einfache Bürger, deren Fehltritte öffentlich unter dem Spott der Gemeinde abgehandelt wurden. Diese Fehltritte waren das ganze Jahr über gesammelt worden und daher wohl überwiegend keine Taten, die nach Recht und Gesetz strafbar waren, eher Verhalten, Aussagen oder Missgeschicke, die für Spott sorgten.

In dieses Bild passt auch in Darmstadt das erste Schreiben aus dem Jahr 1536. Obwohl bereits im September datiert, sollen dort Bürger, die sich ungebührlich verhalten haben, erst zu Aschermittwoch nach altem Herkommen bestraft werden. Warum ausgerechnet Aschermittwoch? Die einzige Erklärung ist der Bezug zur Fastnacht. Auch die Verhandlung und Bestrafung durch das Stockacher Narrengericht fand ursprünglich am Aschermittwoch statt. Erst in späterer Zeit wurde es auf Faschingsdienstag verlegt.

Wieso dann innerhalb von zwei Jahren das Böse Hundert den Eselsritt auf prügelnde Ehefrauen zuspitzte, ist aus den Dokumenten nicht zu erklären. Man kann nur feststellen, dass es allem Anschein nach so war und es ist anzunehmen, dass es auf ähnliche Weise in den Folgejahren immer wieder praktiziert wurde. Noch 1587 bestätigten mehrere Darmstädter Bürger, dass der Esel von Ewalt Behem in dessen Zeit als Stadtschreiber (1562-1572) mehrfach angefordert worden war.

Spätestens 1574 muss dann aber Schluss gewesen sein. In diesem Jahr verbot Landgraf Georg in seiner Kirchenordnung neben Kirmessen und Sonntagstänzen auch „alle andere leichtfertige Uppigkeiten/so nach heidnischer weiß/zur Fastnacht/Walpurgis, Pfingsten/Johannis Tag/und andren Zeiten mehr“. Unter dieses Verbot muss auch das Böse Hundert  gefallen sein und da sich der Marktplatz, auf dem das Böse Hundert Gericht hielt, direkt vor Landgraf Georgs Schloss befand, ist davon auszugehen, dass das Verbot auch durchgesetzt wurde.

Mehr als 10 Jahre später geschah aber etwas Seltsames. Ausgerechnet Landgraf Georg versuchte, das Eselslehen wieder aufleben zu lassen. Nicht allein, dass er die erwähnten Zeugenaussagen über die Zeit des Stadtschreibers Ewalt Behem protokollieren lässt, er lässt auch nach Frauen fahnden, die sich ungebührlich ihren Ehemännern gegenüber verhalten hatten, ausdrücklich mit der Absicht, sie durch den Eselsritt dafür zu bestrafen.

Dabei kamen Vorfälle ans Tageslicht, die nun wirklich nichts mehr mit einem Fastnachtsspaß zu tun hatten. So ist für 1588 ein Fall in Pfungstadt dokumentiert, demzufolge eine Frau sich heftig gegen ihren prügelnden Ehemann gewehrt, ihm einen Topf an den Kopf geworfen und mit einem Messer in der Hand gedroht hatte ihn abzustechen, weil sie „Gott noch einen Toten schuldig“ sei.

Dass der Mann seine Frau verprügeln durfte, sie aber zur Verbrecherin wurde, wenn sie sich wehrte, mag aus heutiger Sicht undenkbar sein, war im doch sehr frauenfeindlichen 16. Jahrhundert aber keine ungewöhnliche Ansicht. Bemerkenswerter ist daher, dass der Landgraf eine Körperverletzung samt Morddrohung lediglich mit einem Eselsritt bestrafen wollte. Zur gleichen Zeit, in den Jahren 1582-1590, ließ Georg auch Dutzende von Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrennen, weil sie angeblich Hexen waren. Einige Jahre später wurde in einem Fall von Ehebruch und Inzest ebenfalls die Todesstrafe gegenüber einer jungen Frau vollstreckt. Mit einem Eselsritt kam man also alles in allem sehr glimpflich davon.

Tatsächlich war Georgs Vorgehen auf dem ersten Blick sehr seltsam, und zwar nicht nur, weil er damit eine Tradition wieder aufleben ließ, die auf sein eigenes Betreiben hin verschwunden war. Georg war sehr engagiert bei der Modernisierung der Verwaltung in seinem Land. Von Dorf zu Dorf unterschiedliche Gewohnheitsrechte schaffte er ab und zentralisierte das Rechtssystem und die Gerichtsbarkeit. Das Eselslehen passt da nicht ins Bild.

Georgs Beweggründe dürften daher weit darüber hinausgegangen sein, die Rechte von Ehemännern zu wahren. Es war ein Trick. Die Frankensteiner, die laut dem Eselslehen verpflichtet waren, den Esel an Darmstadt zu liefern (und dafür erstaunlich gut entlohnt wurden), waren die letzte katholische Herrschaft von Bedeutung, die sich im protestantischen Hessen-Darmstadt hatte halten können. An einer Mauer auf Burg Frankenstein kann man heute noch, wenn auch mit etwas Mühe, die Inschrift Anno Domini 1528 – zu got stet min tru (also: Im Jahre des Herrn 1528 – Zu Gott steht meine Treue) lesen. Die Jahreszahl 1528 deutet darauf hin, dass die Frankensteiner damit ihren katholischen Glauben zur Schau tragen wollten, denn genau in dieser Zeit hatte Landgraf Georgs Vater Philipp der Großmütige begonnen, die auf der Homberger Synode 1526 beschlossene Einführung der Reformation in Hessen umzusetzen.

Die Frankensteiner blieben katholisch, mussten aber damit leben, dass die Landgrafen von Hessen bzw. Hessen-Darmstadt über die meisten Frankensteiner Gebiete die Zentgerichtbarkeit innehatten. Zwar nicht formal, aber doch praktisch bedeutete das eine Unterordnung der Frankensteiner in diesen Gebieten unter den hessischen Landgrafen. Etwas frei interpretiert könnte man sagen: die Frankensteiner selbst blieben zwar unabhängig von den Landgrafen, ihre Untertanen und ihre Ländereien aber nicht. Da am katholischen Glauben festzuhalten, nachdem Hessen protestantisch wurde, barg natürlich Zündstoff. Der Dauerkonflikt war vorprogrammiert.

Über Generationen hinweg stritten sich die Darmstädter Landgrafen und die Frankensteiner Herren unter anderem auch vor dem Reichskammergericht darüber, wer wo welche Rechte hatte und wer wem wo seine eigenen Vorstellungen aufdrücken durfte. Und man war keineswegs zimperlich. Als sich Ludwig IV. von Frankenstein einmal darüber beschwerte, dass Landgraf Georg I. Eberstädter Bauern zum Wachdienst verpflichtet hatte, erwiderte der Landgraf, Ludwig solle sich mit seiner Beschwerde den Hintern abwischen.

Das Eselslehen nicht nur wieder einzuführen, sondern es vor allem – entgegen der Tradition – nicht auf Darmstadt zu beschränken, sondern auf alle Dörfer des Landes auszuweiten, hätte in gewisser Weise die Anerkenntnis der Oberherrschaft Darmstadts über alle Frankensteiner Gebiete bedeutet, denn die Frankensteiner hätten damit das neue territoriale Herrschaftsverständnis bejaht, das ein einheitliches Gesetz vorsah, welches überall in einem Land galt. Und zwar das Gesetz des Landgrafen. Ihre eigenen Rechte in ihren Besitztümern wären damit weiter zu Gunsten der Landgrafschaft eingeschränkt worden.

Die Frankensteiner konnten trotz mehrfacher Anrufung des Reichskammergerichts an der normativen Kraft des Faktischen nichts ändern. Trotzdem sie es versuchten, hatten sie nicht die Möglichkeiten, ihre Besitztümer auf ähnliche Weise zu einem einheitlichen Territorialstaat zusammenzuziehen, wie das die hessischen Landgrafen taten und gingen so nach und nach in Hessen-Darmstadt auf.

Dennoch wehrte sich Ludwig von Frankenstein dagegen, so gut er konnte. Für ihn war es weder politisch noch ökonomisch sinnvoll, den Esel in alle Orte der Landgrafschaft zu schicken und so bestand er zunächst darauf, dass der Esel nur nach Darmstadt geliefert werden würde, so wie es seit alters her Brauch war. Der Landgraf andererseits, der um ein auch in der Gesetzgebung und der Gerichtssprechung einheitliches Herrschaftsgebiet bemüht war, konnte wiederum kein altes Brauchtum als Sonderrecht nur in Darmstadt bestehen lassen, hätte dies doch jener Form von Herrschaft widersprochen. Folglich ignorierte er den Einwand der Frankensteiner und bestand darauf, dass der Esel auf Verlangen in jedes Dorf geliefert werden müsste.

Vielleicht war es ein bisschen Verzweiflung, wohl eher aber machte sich Ludwig von Frankenstein über den Landgrafen lustig, als er daraufhin erklärte, er werde den Esel erst herausgeben, wenn er vom Bösen Hundert dazu aufgefordert würde. Als junger Mann musste der Ritter das Narrengericht noch selbst erlebt haben und er wusste, dass der für seine Frömmigkeit bekannte Landgraf mit solchem, in seinen Augen heidnischen Brauchtums auf Kriegsfuß stand. Da bemühte sich Georg I. seine gesamte Regierungszeit hindurch darum, innerhalb seiner Landesgrenzen in allen Fragen die höchste Instanz zu sein und auf dem Frankenstein erklärte man, wenn auch nur in einer einzigen Frage, ein Narrengericht als dem Landgrafen übergeordnet. Der für seinen Jähzorn berüchtigte Landgraf dürfte getobt haben.

Und Ludwig von Frankenstein konnte sich zumindest für einen kleinen Moment noch einmal als Sieger fühlen, denn offenbar fand bis zu seinem Tod 1606 kein Eselsritt mehr statt. Danach scheint es allerdings vereinzelt noch dazu gekommen sein, wenn auch überraschenderweise nicht in Darmstadt, sondern in kleinen Dörfern wie Nieder-Ramstadt, Ober-Ramstadt und Eberstadt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Landgraf (mittlerweile Georgs Sohn Ludwig V.) de facto die territoriale Oberherrschaft über die Frankensteiner Gebiete durchgesetzt. Nicht zuletzt auch, weil die Erben des kinderlosen Ludwig von Frankenstein in Ockstadt lebten, maßen sie dem einstigen Zentrum ihrer Herrschaft immer weniger Bedeutung zu. Der Konflikt mit den Landgrafen war damit verloren, auch wenn die Herrschaft formal noch bis 1662 bestand.

Der letzte dokumentierte Fall des Eselsritts stammt aus dem Jahr 1617 in Ober-Ramstadt. Kurz darauf brach der 30-jährige Krieg aus und hat dem Eselslehen wohl endgültig ein Ende bereitet. Danach war es in Vergessenheit geraten. Das Besondere daran bleibt die Entwicklung, die es durchgemacht haben muss. Ganz ursprünglich, vielleicht bereits zu Zeiten, bevor das damalige Dorf Darmundestat aus dem Dunkel der Geschichte trat, muss es durchaus einen ernsten Charakter als Prangerstrafe gehabt haben. Dafür spricht der Lehenscharakter und die Tatsache, dass die Frankensteiner für dieses Lehen aus den Einkünften des Dorfes Bessungen bezahlt wurden, nicht aus den Einkünften Darmstadts.

Einziger plausibler Grund hierfür ist, dass Bessungen einstmals der Hauptort einer Grafschaft gewesen ist, zu der auch Darmstadt gehörte. Diese Grafschaft hörte aber spätestens im 13. Jahrhundert auf zu existieren und Darmstadt wurde zum bedeutensten Ort der Region. Dass eine Vereinbarung zwischen den Darmstädtern und den Frankensteinern die Bessunger zu bezahlen hatten (und das nicht zu knapp), kann nur erklärt werden, wenn man annimmt, dass das Eselslehen noch aus der Zeit stammt, als Bessungen der Verwaltungsmittelpunkt der Gegend war, also etwa bis zum Bau der Katzenelnbogener Wasserburg in Darmstadt Mitte des 13. Jahrhunderts.

Irgendwann verlor der Eselsritt als ernst gemeinte Strafe seine Bedeutung. Zeiten ändern sich eben. Manchmal bleiben alte Traditionen aber als Verballhornung erhalten, so hier offenbar auch, und zwar als Fastnachtsbrauch. Bemerkenswert ist, dass selbst in der frühesten Form dieses Brauchtums keine Zuspitzung auf Ehefrauen, die ihre Männer verprügelt haben, stattfand. Vielleicht entstand dies spontan aus der konkreten Situation der ausgelassenen Karnevalsstimmung heraus und hatte mit dem ursprünglichen Brauchtum gar nichts zu tun.

Georg I. verbot dieses Brauchtum zunächst, gab dann aber aus einer konkreten politischen Situation heraus der Sache wieder einen ernsten Charakter, was er allerdings nur tun konnte, weil nirgendwo genau festgehalten worden war, was das Eselslehen beinhaltete. Wieviel Georgs Vorstellungen vom Eselslehen mit den Vorstellungen der mittelalterlichen Darmstädter gemeinsam hatte, ist nicht mehr zu ermitteln. Allein die Wahrscheinlichkeit lässt vermuten, dass es abgesehen davon, dass jemand auf einem Esel durch die Stadt geführt wurde, zwei völlig unterschiedliche Dinge waren.

Zum Abschluss die beiden Briefe aus den Jahren 1536 bzw. 1538 im Wortlaut (zitiert nach Wenck)

Unsern freundlichen Dienst zuvor, Ehrenveste besonders gute Freunde. Wir wissen euch nicht zu verhalten, wie daß etliche Bürger unter uns haben, die sich ungebürlich und übel gehalten haben, daß wir sie sind Willens uff nechst Aschermittwochen nach unserm alten Herkommens und Gebrauch zu straffen. Dieweil nun allewegen zu solcher Straffe uff Eschermittwochen die von Frackenstein, oder ihre Lehenträger, so das Lehen ingehabt haben genannt Eselslehen, davon dann etlich Korn zu Bessungen fällig; und haben auch solch Lehen Amptleute und andere ingethan, die allewegen zu solchem Tag uns zu unser bürgerlicher Straff uff genannten Tag einen Esel oder Eselinnen stellen müssen, sambt einem Mann dazu geschickt, auch solche ungeweigert gethan, so seind wir auch jetzo ohnwissend, die weil solch Lehen Johann von denen zu Franckenstein zu Lehen geht, wem solch Lehen ingethan; derhalben er Euch unser freundlich Gesinnes und Begehren, Ihr wollt uns uff genannten Tag solchen Esel sambt den Mann zu früher Tageszeit zuschicken, damit wir an unser Sachen und Fürnehmen ohngehindert bleiben, wollen wir also unserm alten Gebrauch nach gäntzlich zu Euch versehen, und in gleichen und mehreren umb Euch zu verdienen geneigt sein,
Darmstadt uff Montag Mathei Apostoli. Anno 1536.

Unsern willigen Dienst mit Fleiß zuvor. Erbarer und vestigen lieben Junker. Es hat sich by unsern Nachbaren zu Darmstat Zweidracht, Zanck, Uneinigkeit zwischen etlichen übermütigen, stoltzen, pistigen und bossen Weibern erhoben, die sich haben uffgeworffen gegen yren Männern, und haben sie understnden yre Männer zu schlagen, undt deren auch etlich das vollbracht haben. Sollicher Gewalt, Frebel und Uebermuth ist ider ein ganzen Samlung einer Gemein, auch sonderlich wider das Burglehen, und das bose Hundert, und dieweil es dann in unser Straff so hart vervallen ist, und uns in keinen Wegk wil geburen nachzulassen, – so ist es unser ernstlicher Fursatz dieselben zu straffen, bit und ansinnen Ewer Veste, uns zu Hilff zu kommen nach altem Herkommen, wegen als mit dem Esel und dem Mann daruff zu schicken, und wolt uns nit säumen oder verhindern sunderlich den Esel uff neste Dinstage mit dem Mann zu schicken, so wollen wir uff genannten Dinstag Morgen fru unseren Statboten zu euch schicken, der sol den Esel und den Mann geletten gein Darmstat.
Datum uff des Herrn Vasennacht.“

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