Das P Magazin über die Darmstädter Hexenverfolgungen

Ich schaue zurzeit nicht mehr regelmäßig nach Veröffentlichungen bzgl. der Geschichte Darmstadts. Deshalb ist mir erst jetzt aufgefallen, dass das P Magazin bereits im Oktober 2022 einen Beitrag zu den Darmstädter Hexenverfolgungen gebracht hatte: Darmstadts dunkle Seiten – Von Galgen, Hexen und Sündenböcken.

Aufhänger war Halloween, was ein bisschen schräg ist. Davon aber abgesehen scheint sich der Artikel über weite Strecken an der Arbeit von Thomas Lange und Jürgen Rainer Wolf zu orientieren, die nach wie vor die seriöseste zu dem Thema ist. Teilweise hat man Formulierungen von Lange/Wolf nahezu wörtlich übernommen.

Das hat man sicherlich gemacht, weil das Darmstädter Stadtlexikon auf die Arbeit verweist und es sonst nur sehr wenig zu dem Thema gibt. Daher ist der Artikel im Großen und Ganzen auch ganz okay.

Aber nicht nur. Denn abgesehen davon, dass die Autorin einige Schlussfolgerungen von Lange/Wolf als Fakt darstellt, obwohl sie lediglich Interpretationen der Autoren sind und von diesen nicht als Fakt gemeint waren, haben sich auch einige hartnäckige Klischees über die Hexenverfolgungen eingeschlichen, die Lange/Wolf sicher nicht verbreitet haben, weil es Behauptungen sind, die seit Jahrzehnten überholt sind, falls sie überhaupt je plausibel waren.

Und da der Artikel bei Google nach dem Stadtlexikon der 2. Treffer ist, wenn man nach Hexenverfolgung + Darmstadt sucht, will ich doch ein paar Anmerkungen dazu machen:

„Das Christentum, das Georg I. als Machtlegitimation diente, schrieb die Ausschließlichkeit des christlichen Gottes vor, weshalb es von großer Bedeutung war, alle anderen Vorstellungen religiöser Art im Keim zu ersticken.“

Der Hexenglauben ist aber gar keine „andere Vorstellung religiöser Art“. Es geht da um die Teufelsbuhlschaft. Der Teufel ist christliche Mythologie. Will man hier einen heidnischen Ursprung des Hexensabbats andeuten? Gar einen heidnischen Kult? Die der Hexerei Beschuldigten hatten keinen anderen Glauben. Das waren genauso Christen wie die Täter.

„Georg I. aber war radikal in seinen Überzeugungen, die stark von der Frauenfeindlichkeit des „Hexenhammers“ geprägt waren, dem 1486 erschienenen Werk des deutschen Theologen Heinrich Kramer, das über Jahrhunderte die Legitimationsgrundlage der Hexenverfolgungen darstellte.“

Der Hexenhammer hatte in protestantischen Gebieten, zu denen Hessen-Darmstadt gehörte, keinen nennenswerten Einfluss. Von Georgs Bruder Wilhelm IV. von Hessen-Kassel ist sogar die ausdrückliche Aussage überliefert, dass er den Hexenhammer in seinem Land nicht anerkennen werde.

Überhaupt wird der Einfluss des Hexenhammers maßlos überschätzt. Er spielte eine gewisse Rolle in den katholischen Gebieten. Die häufige Behauptung aber, dass er die Hexenverfolgungen quasi ausgelöst und legitimiert hätte, ist fragwürdig. Der Hexenhammer erscheint 1486. Und was passiert dann? Erst mal nicht viel. Er wird nicht ernst genommen. Es wird sich über ihn lustig gemacht. Es ist ein Werk für skurrile Fanatiker. Ja, es gibt auch zu dieser Zeit schon Hexenprozesse und sogar Hinrichtungen, doch diese waren regional, zeitlich sehr eingeschränkt und riefen sofort massive Kritik hervor. Es ist noch lange nicht das, was wir uns heute unter den Hexenverfolgungen vorstellen.

Das ändert sich erst nach 1560, als die erste große Welle der Hexenverfolgungen beginnt, zu der auch die Darmstädter Prozesse gehören. Das sind fast 80 Jahre nach dem Hexenhammer. Dieser spielt zwar ab jetzt durchaus eine Rolle, allerdings lediglich in katholischen Gebieten. Landgraf Georg I. war aber Protestant. Und das in einer Phase zwischen dem Schmalkaldischen und dem 30-jährigen-Krieg. Dass er vom Hexenhammer in irgendeiner Form „geprägt“ gewesen sein könnte, zeugt von einer völlig falschen Vorstellung von der Zeit.

Übrigens: die berüchtigte Frauenfeindlichkeit des Hexenhammers. Ja, das ist er. Massiv. Und dabei unfassbar dumm. Auffällig ist allerdings, dass der Anteil an männlichen Opfern der Hexenverfolgungen in den katholischen Gebieten deutlich höher war als in den protestantischen Gebieten. Es gibt Studien, die in katholischen Gebieten von einem Anteil männlicher Opfer in Höhe von 30% ausgehen, während die protestantischen Gebiete 10% bis 20% aufweisen (In Darmstadt sogar nur 3%!). Auch das zeigt, dass der Hexenhammer nicht den großen Einfluss hatte, der ihm zugeschrieben wird. Die Zuspitzung auf weibliche Opfer war dort größer, wo der frauenfeindliche Hexenhammer wenig bis gar keinen Einfluss hatte, als dort, wo er ein Standardwerk war. Andere Aspekte waren offenbar wichtiger für die Frage, wer warum Opfer wurde.

Der größere Anteil an weiblichen Opfern in den protestantischen Gebieten dürfte eher von Luther beeinflusst sein, der den weiblichen Aspekt der Hexerei hervorhob und zeitlich näher an den Hexenverfolgungen ist als Heinrich Kramer. Außerdem musste er keine abstrusen Argumentationen bemühen wie das Kramer zum Beispiel mit der berühmten Ableitung des Wortes femina von fides und minus (=weniger Glauben) tat. Luther berief sich auf die Autorität der Bibel. Das war weitaus gefährlicher als Kramer. Die von Luther als „Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen“ übersetzte Bibelstelle (die die von den Katholiken benutzte lateinische Vulgata männlich übersetzte) hat die Zuspitzung der Hexenverfolgungen auf weibliche Opfer wohl deutlich mehr gefördert als der gesamte Text des Hexenhammers.

„1582 kam es in Darmstadt zu einer regelrechten „Hexenhysterie“, sodass Georg I. ab 1586 eine systematische Verfolgung anordnete.“

Hysterie ist ein Begriff, den die Forschung so nicht verwendet, weil er der Realität nicht gerecht wird. Aber okay, ich selbst habe ihn auch schon in diesem Zusammenhang benutzt ;-). Man sollte den Begriff aber vermeiden. Nicht nur, weil er das Phänomen falsch beschreibt. Begriffsgeschichtlich geht das Wort Hysterie auf das altgriechische Wort für Gebärmutter zurück. Merkt ihr? Gebärmutter? Im Zusammenhang mit Hexen? Das ist problematisch. Vorsichtig ausgedrückt.

„Systematisch“ finde ich auch einen schwierigen Begriff. Ja, Georg ließ Nachforschungen anstellen, wer bei der Bevölkerung als Hexe galt. „Systematische Verfolgung“ klingt aber wie ein von Staats wegen durchgeführter Aufspürprozess, um die Leute dann abzuurteilen. So war es wohl nicht. Georg betonte in der Anordnung sogar, dass er nicht gleich gegen jeden prozessieren wolle, sondern lediglich wissen, wer in der Bevölkerung im Verdacht steht. Das spricht eher für einen Kontrollzwang, der bei Georg auch bei anderen Anordnungen zutage trat.

„Historischer Hintergrund war höchstwahrscheinlich eine Pest-Epidemie,…“

Lange/Wolf vermuten, dass das eine Rolle gespielt haben könnte. Allerdings nur für Georgs Anweisung, in der Bevölkerungen nachzuforschen, wer im Ruf stand eine Hexe zu sein. Es hat nichts mit dem Phänomen an sich zu tun. Es ist ja auch keine plausible Vorstellung: Eine Seuche bricht aus und alle drehen so durch, dass sie Leute verbrennen. Es gab immer mal wieder Pestwellen in Darmstadt und zwar deutlich extremere als die von 1584/85, die schlimmste war 1635, mitten in der zweiten Welle der Hexenverfolgungen. Da gab es in Darmstadt aber keine Hexenprozesse. Da passt was nicht zusammen. Zumindest als alleinige Ursache ist die Pestwelle, die zudem erst nach den ersten Prozessen von 1582 stattfand, nicht plausibel.

„Hauptzielgruppe der Verfolgungen waren oft Hebammen oder heilkundige sowie alte, arme, alleinstehende oder verwitwete Frauen.“

Die Kräuterfrau darf natürlich nicht fehlen. Dabei schreiben Lange/Wolf ausdrücklich, dass es dafür kaum Andeutungen gibt. Unter allen Opfern gibt es lediglich eine Hebamme, die allerdings nicht zum Tode verurteilt, sondern lediglich ausgewiesen wurde.

Ich finde das sehr interessant, dass dieser Mythos, der in der Forschung schon lange keine Rolle mehr spielt, weil er aus den Quellen klar widerlegbar ist, hier aufploppt. Völlig unmotiviert. Hebammen waren dringend benötigte Fachkräfte. Sich auf Kräuter verstehende Heilkundige oft Nonnen. Das heißt, die einen brauchte man, die anderen gehörten zur gesellschaftlichen Oberschicht. Die Idee, Hexenverfolgungen wären ein gezielter Angriff auf Hebammen und Heilkundige gewesen, ist unplausibel und widerlegt.

„Im Zweifel gegen die Angeklagte

Äh, nee, grade nicht. Die Brutalität der Folter entstand gerade aus dem Wunsch Zweifel zu beseitigen, weil man der Meinung war, dass nur ein Geständnis alle Zweifel beseitigt. Dass eine Folter falsche Geständnisse hervorbringen kann, vermutete man zwar schon damals (tatsächlich war es eines der Hauptargumente der Kritiker der Hexenverfolgungen), aber es war keineswegs so, dass man sagte: „Ich bin nicht sicher, ob sie es wirklich war… verbrennt sie!“

Von den Frauen, die einmal in die Mühlen der Verfahren geraten waren, wurden 75 Prozent verurteilt, davon rund 30 Prozent zum Tode, wobei anzunehmen ist, dass auch hier die Dunkelziffer höher liegen mag. „

Warum? Die Dunkelziffer entsteht dadurch, dass bei Weitem nicht alle Dokumente überliefert sind. Es könnte also deutlich mehr Fälle gegeben haben, als wir nachweisen können. Warum aber die vielen, vielen Dokumente, die überliefert wurden, nicht repräsentativ dafür sein sollten, wie viele Prozesse relativ zu Verurteilungen und Hinrichtungen führten, bedürfte einer Begründung.

„In Darmstadt hatte man versucht, Einschränkungen für Ankläger zu errichten, um Massen-Anklagen entgegenzuwirken. So mussten Ankläger für die Versorgung der Verhafteten und auch für Schadensersatz bei einem Freispruch selbst aufkommen.“

Das ist nichts Darmstadt-Spezifisches, das war allgemein üblich, weil es so in der Carolina, der Halsgerichtsordnung von Kaiser Karl V., stand.

„All das fand im Rathaus am Darmstädter Marktplatz statt, das zwar noch ein anderes Gebäude war, jedoch schon an derselben Stelle stand wie das heutige Alte Rathaus (mit Standesamt und „Ratskeller“). Im „Arme-Sünder-Stübchen“, das direkt unter dem Dach lag, mussten die zum Tode Verurteilten auf ihre Hinrichtung warten.“

Die der Hexerei Beschuldigten? Klingt fast so, wenn man das Arme-Sünder-Stübchen erwähnt. Ansonsten wäre das eine ziemlich wahllos eingeworfene Information. Das Arme-Sünder-Stübchen war aber logischerweise erst im Neubau vorhanden. Sonst wüssten wir nichts von ihm.

Nach 1596 sind keine Hexenhinrichtungen aus Hessen-Darmstadt mehr bekannt.

Ähm, nee, nach 1590 sind keine mehr bekannt. Okay, ja, nach 1596 ist natürlich auch nach 1590 ;-). Der Fehler stammt wohl aus dem Stadtlexikon, obwohl den Text Thomas Lange selbst verfasst hat. Keine Ahnung, ob das bloß ein Tippfehler ist. 1596 ist das Todesjahr von Georg I. Vielleicht war es in einer älteren Fassung darauf bezogen, dass die Landgrafen nach ihm keine Hexenverfolgungen durchgeführt haben.

Dann springt der Artikel zu Halloween über.

Der bedrückende Blick in die Vergangenheit Darmstadts soll nicht verstören oder gar dazu aufrufen, an Halloween keine Hexenkostüme mehr zu tragen. „

Äh, watt? Wieso? Wo ist da der Zusammenh… ach so, ja, wird dann natürlich klar. Eigentlich soll der Artikel für Halloween auf Burg Frankenstein Werbung machen. Da darf die Überleitung auch mal holpern.

„Ursprünglich hat sich der Brauch von Halloween in Irland entwickelt“

Kommt drauf an, was man unter Halloween versteht. So wie wir heute Halloween verstehen, hat es sich erst in den USA entwickelt. Die Vorformen haben eine stetige Entwicklung, die nicht nur bis zu den irischen Auswanderern, sondern bis zu mittelalterlichen Heischegängen, die in vielen Teilen Europas verbreitet waren, zurückführen.

„Seit den 90er-Jahren verbreiten sich amerikanische Halloweenbräuche auch in Europa.“

Es geht um Halloween auf Burg Frankenstein. Das gab es dort seit den 1970ern.

Das Halloweenfest in der 1.000 Jahre alten Burgruine Frankenstein

Nicht mal ganz 800 Jahre. Himmelarschund… Das war jetzt wohl ein Fall von: Der Artikel ist eh gleich fertig, jetzt kuck ich nicht mal mehr bei Wikipedia nach.

Hätte man keinen Platz verschwendet, um Werbung für eine Veranstaltung zu machen, die so bekannt ist, dass sie keine Werbung gebraucht hätte, hätte man vielleicht noch ein paar interessante Aspekte über die Darmstädter Hexenverfolgungen erwähnen können, gerade mehr Details über den Fall von Anne Dreieicher und Wolf Weber. Statt dessen weicht man auf durchgekaute Klischees aus, die schon seit Jahrzehnten überholt sind.

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