Ein bisschen Kommunalwahlstatistik: Frauen und junge Leute

Ich hab mal ein bisschen gerechnet. Es gab vor ein paar Tagen die Meldung, dass der Anteil an weiblichen Kandidaten bei der Kommunalwahl in Hessen etwas gestiegen ist. Das hab ich zum Anlass genommen, bei den Darmstädter Wahlvorschlägen mal genauer hinzuschauen, welche Liste welchen Anteil an weiblichen Kandidaten hat.

Wichtig dabei ist, dass man das nicht überbewerten darf, weil da zu viele Hintergründe mit reinspielen können. Auch bedeutet ein besonders hoher Anteil an Frauen nicht, dass diese Partei/Liste mehr Politik für Frauen macht. Da ist der Anteil an Wählerinnen, die diese Partei wählen, deutlich aussagekräftiger. Und dann ist da ja auch die Frage, was Politik für Frauen überhaupt genau ist. Eine solche Geschlechterunterteilung suggeriert ja, dass das zwei politisch nahezu homogene, aber miteinander in Konkurrenz stehende soziale Gruppen wären. Wer in einem halbwegs gesunden sozialen Umfeld lebt, weiß, dass das nicht stimmt und dass das Geschlecht keine Rolle bei der Frage spielt, ob man mit jemanden politisch übereinstimmt. Und selbst bei speziellen, geschlechtsspezifischen Themen wie z.B. die Frauenquote ist es ja keineswegs so, dass da alle Frauen dafür und alle Männer dagegen wären. Eine klar definierbare „Politik für Frauen“ gibt es also nicht.

Aussagekräftig sind solche Statistiken allerdings in der Frage der politischen Struktur, also bei welchen Parteien engagieren sich Frauen eher und haben auch Chancen auf Erfolg. Um beides abzubilden, habe ich sowohl ausgerechnet, wie hoch der Prozentsatz von Frauen auf der jeweiligen Liste ist, als auch wie hoch der Prozentsatz auf aussichtsreichen Listenplätzen. An dem Punkt wird es natürlich etwas willkürlich, denn wie genau definiere ich, was ein aussichtsreicher Listenplatz ist? Da muss ich ja schon ein ungefähres Wahlergebnis abschätzen. Außerdem stellt sich die Frage, wer sein Mandat wirklich antritt. Listenplatz 1 und 2 bei der CDU (Schellenberg und Reißer) haben ja schon verkündet, dass sie das Mandat gar nicht annehmen werden. Und dann kann man ja durch das Kumulieren noch nach oben rutschen. Ich habe deswegen pauschal für die drei großen Parteien (also Grüne, SPD und CDU) bis zu Platz 25 als aussichtsreich definiert. Bei den kleinen hab ich 10 angenommen, sicher etwas zu viel, aber weniger als 10 Kandidaten in einer Statistik zu erfassen, würde kaum noch Sinn ergeben.

Und weil ich grad dabei war, hab ich das Ganze nicht nur für weibliche Kandidaten gemacht, sondern auch für junge, wobei ich „jung“ als frühestens Geburtsjahr 1976 festgelegt habe, also wer maximal 40 dieses Jahr wird.

(ich hab das ganze einfach gezählt, kann mich also möglicherweise auch mal verzählt haben, wer will kann ja selbst nachzählen – Ergänzung: ich hab mich an die zugelassenen Wahlvorschläge gehalten, wie sie die Stadt Darmstadt hier veröffentlicht hat. Laut dem zwischenzeitlich versandten Musterwahlzettel sind bei einigen Listen, namentlich der CDU, der SPD und den Grünen, weniger Kandidaten aufgeführt – wohl weil 71 Maximum ist. Dadurch kann sich die Prozentzahl natürlich leicht verändern.)

Anteil Frauen:
1. Grüne: 50,7%
2. SPD: 49,3%
3. CDU: 35,6%
4. Uwiga: 32,4%
5. Linke: 30,9%
6. Die Partei: 28,6%
7. Uffbasse: 26,7%
8. Piraten: 24,0%
9. FDP: 21,3%
10. AfD: 13,3%

Es fällt auf, dass die „drei Großen“ das mit dem Frauenanteil am besten hinzubekommen scheinen. Der Grund dafür könnte sein, dass diese drei genug Mitglieder haben, um da eine halbwegs ausgeglichene Liste zusammenzustellen, während die kleineren Liste um jeden froh sind, der sich engagiert. Große Listen können sich also „Alibi-Nominierungen“ erlauben. Interessanter ist daher, ob und wie sich diese Listen verändern, wenn man nur die aussichtsreichen Listenplätze berücksichtigt:

Anteil Frauen auf aussichtsreichen Listenplätzen:
1. Grüne: 52,0% (+1,3%)
= SPD: 52,0% (+2,7%)
3. Linke: 50,0% (+19,1%)
4. CDU: 32,0% (-3,6%)
5. Uwiga; 30,0% (-2,4%)
= Uffbasse: 30,0% (+3,3%)
7. Die Partei: 28,6% (die Partei hat nur 7 Kandidaten, daher hier keine Veränderung)
8. Piraten: 20,0% (-4,0%)
9. FDP: 10,0% (-11,3%)
10. AfD: 0% (-13,3%)

Am auffälligsten ist der Sprung der Linken nach oben. Auf den aussichtsreichen Plätzen war man offensichtlich sehr um eine ausgeglichene Verteilung bemüht. Ansonsten scheinen die Veränderungen typisch für die jeweiligen Parteien zu sein. Die FDP war für Frauen nie sehr attraktiv, deswegen stürzt sie bei den aussichtsreichen Plätzen auch sehr ab. Besonders auffällig ist natürlich die AfD, die keine einzige Frau auf einen aussichtsreichen Listenplatz gesetzt hat.

Anteil junger Kandidaten (frühestens 1976 geboren):
1. Piraten: 68,0%
2. Linke: 34,5%
3. SPD: 30,7%
4. CDU: 30,1%
5. Grüne: 27,4%
6. Uffbasse: 26,7%
7. AfD: 16,7%
8. Uwiga: 14,7%
9. Die Partei: 14,3%
10. FDP: 10,6%

Hier fallen mehrere Sachen ins Auge. Zunächst bestätigt sich, dass die Piraten vor allem für junge Leute attraktiv sind. Bei den anderen Parteien und Listen sind junge Leute aber teilweise noch schlechter repräsentiert als Frauen. Auffällig ist auch der für die Partei eher untypisch hohe Anteil junger Leute bei den Linken. Und der extrem niedrige Anteil in der FDP. Das offenbart ein großes Strukturproblem der Liberalen. Da scheint Nachwuchs zu fehlen. Und bei der PARTEI hätte ich erwartet, dass sie eher Interesse bei jungen Leuten weckt. Tatsächlich ist es umgekehrt.

Doch schauen wir auch hier noch auf den Anteil junger Leute auf aussichtsreichen Listenplätzen:

Anteil junger Kandidaten (frühestens 1976 geboren) auf aussichtsreichen Listenplätzen:
1. Piraten: 70,0% (+2,0%)
2. SPD: 44,0% (+13,3%)
3. Linke: 40,0% (+5,5%)
= Uffbasse: 40,0% (+13,3%)
5. Grüne: 32,0% (+4,6%)
6. Uwiga; 20,0% (+5,3%)
7. CDU: 16,0% (-14,1%)
8. Die Partei: 14,3% (identisch, s.o.)
9. FDP: 10,0% (-0,6%)
10. AfD: 0,0% (-16,7%)

Hier ist vielleicht zunächst zu erwähnen, was ich erwartet habe: ich habe erwartet, dass der Anteil junger Leute bei den großen Parteien signifikant ansteigt, weil es bei Kommunalwahlen üblich ist, dass altgediente und daher in der Stadt bekannte Parteimitglieder unten auf die Listen gesetzt werden, weil sie nicht mehr in der Stadtverordnetenversammlung sitzen wollen, ihre Namen aber für die Partei noch Stimmen bringen sollen. Bei der SPD passiert das, bei den Grünen bedingt auch, aber dass die CDU so deutlich abstürzt, ist auffällig. Gibt es da ähnlich wie in der FDP ein Nachwuchsproblem? Oder sind die Strukturen so verkrustet, dass man einfach viel länger in der Partei engagiert sein muss, bis man den Aufstieg schafft? Oder ist die CDU einfach eine Partei, in die man tendenziell erst eintritt, wenn man schon ein bisschen älter ist?

Auffällig ist außerdem erneut die AfD, die wie schon bei den Frauen auch keinen jungen Kandidaten auf einen aussichtsreichen Listenplatz gesetzt hat. Das bestätigt das Bild der Partei, das sie auch im Bund abgibt, als Sammelbecken unzufriedener älterer Herren. Knuffig, dass man mit so einem auf ein bestimmtes Milieu beschränktes Profil glaubt, man wäre eine ach so tolle Volksbewegung.

8 Responses to Ein bisschen Kommunalwahlstatistik: Frauen und junge Leute

  1. Sabine Crook says:

    Sehr interessant, danke für deine Rechnerei findet die Sabine

  2. spbrunner says:

    Sehr hilfreich und sehr aufschlußreich, danke sehr!

  3. R.A. says:

    In Bezug auf die Altersstatistik ist die Frage wohl weniger: „Ist die Partei attraktiv für junge Leute?“ sondern „Ist kommunalpolitisches Engagement machbar für junge Leute?“.
    Schließlich bedeutet eine Kandidatur, daß man sich verpflichtet fünf Jahre lang sehr viel zeit zu investieren. Es ist daher eigentlich kaum möglich, daß sich ein Student (oder gar Schüler) für eine Kommunalwahl aufstellen läßt.
    Auch später ist es von Beruf und anderen Lebensumständen abhängig, ob ein kommunalpolitisches Engagement möglich ist. Am leichtesten haben es da Parteien, deren Kandidaten im öffentlichen Dienst arbeiten.

    Einen anderen Effekt gibt es bei den Kandidaturen von Frauen. Es ist extrem selten, daß eine junge Frau mit Kindern sich ein Stadtverordnetenmandat zumutet.
    Junge Frauen auf Kommunalwahllisten sind daher überwiegend solche, die keine Kinder haben und auch nicht (in den nächsten fünf Jahren) bekommen möchten. Es ist durchaus denkbar, daß diese Lebensplanung ganz gut zur politischen Einstellung mancher Parteien paßt, bei anderen aber weniger.

  4. Uli Franke says:

    DIE LINKE hatte auch 2011 schon 50% Frauen auf den ersten 10 Plätzen, da muss dem Autor ein Fehler unterlaufen sein. Und was DIE PARTEI betrifft: von der Darmstädter Liste hat man sich seitens der Landes-PARTEI aufgrund des Rechtsdralls distanziert – das erklärt vielleicht die Anomalie.

  5. R.A. says:

    > Und was DIE PARTEI betrifft: von der Darmstädter Liste hat man
    > sich seitens der Landes-PARTEI aufgrund des Rechtsdralls distanziert …
    Ist das inzwischen eigentlich bestätigt worden?
    Ich kenne dazu nur den Echo-Artikel. Da war die „Distanzierung“ ja noch recht vage, weil der Landesverband gar nicht wußte, was hier los sein soll.

    Und der vom Echo diagnostizierte „Rechtsdrall“ hat mich nicht überzeugt. Die zitierten Stellen könnten genausogut zu linksextremen Positionen passen – in vielen Bereichen geben sich links- und rechtsaußen ja nicht viel.
    Einige Formulierungen (z. B. „Spalter“) sind eigentlich nur im K-Gruppen-Umfeld üblich. Auch der genannte „Partei“-Vertreter, der früher bei den Grünen-Fundis war, läßt eher nach links schließen.

    Wenn das überhaupt ernst gemeint war – eigentlich liegt bei der „Partei“ ja satirische Karikatur des Polit-Sprechs anderer Parteien nahe.

  6. Udo says:

    Wesentlich für die Stimmabgabe sollte ja das Wirken sein – auch das Beabsichtigte, vor dem Hintergrund würde ich mir etwa von der Stadt Darmstadt wünschen, auch mal die Aktivität der einzelnen Abgeordneten verfolgen zu können, mit anderen Worten: Wenn ich bei der Kommunalwahl Maxi Mustermann wähle, weil die mir ihr Wirken für ein bestimmtes Thema in meinem Sinne zusagt, dann würde ich gern bequem verfolgen können, was diejenige über die Wahlperiode hinweg dazu – meinetwegen auch zu dem ganzen in Ausschüsse eingehegten Themenfelder – beigetragen hat. Viele, auch gerade die führenden Köpfe so mancher Oppositionsfraktion, wirken ja vor allem indem sie nach Aussen wirken. Mit Pressemitteilungen, Positionspapieren und Propaganda kann ich mir den Arsch abwischen, und allein voom Alter oder Geschlecht lässt sich nicht Für und Wider ableiten. Aber wenn Leute ihren Mund aufmachen, selbst wenn es die Fraktionsdisziplin verbietet, oder wenn Stadtverordnete in ihrem Feld Fachkompetenz mitbringen, oder wenn sie sich ausweislich ihrer qualifizierten Forderungen beweisen, dann würde ich das gern belohnen – naturgemäß mit möglichst wenig Aufwand, sonst würde man das Ehrenamt ja selbst anstreben. Glaube das wäre auch der größte Antrieb wieder zur Wahl zu gehen. Die immer selben Hackfressen sind es ja eher weniger.

    (Entschuldigt, hab mich in Rage geschrieben.)

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