Wie ein Historiker einmal Opfer zu Tätern gemacht hat

1861 veröffentlichte Johann Steiner, damals Historiograf des großherzoglichen Hauses, eine umfassende Biographie von Landgraf Georg I.

Das Ganze ist gewidmet „ihren Großherzoglichen Hoheiten, den Durchlauchtigsten Prinzen Karl und Alexander von Hessen und bei Rhein, den Beförderern vaterländischer Geschichte“, also den Brüdern des damals amtierenden Großherzogs Ludwig III. Alexander ist zudem der Begründer des Hauses Battenberg und damit der Urgroßvater von Prinz Philip, dem Ehemann Queen Elizabeths II.

Georg I. war der Dynastiegründer Hessen-Darmstadts, des Geschlechts der Prinzen Karl und Alexander. Es versteht sich daher fast schon von selbst, dass Steiner ihm an keiner Stelle wirklich kritisch gegenüberstehen konnte.

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Die irren Herrscher von Darmstadt (eine polemische Übersicht)

Manchmal ist es bemerkenswert, über welche Kleinigkeiten man sich immer wieder ärgern kann. Das harmlose Wörtchen „Zeithintergrund“ beispielsweise. Man müsse den Zeithintergrund beachten, das ist das immer wieder gebrachte Totschlagargument, wenn man auf Unmenschlichkeiten und Verbrechen von historischen Persönlichkeiten hinweist, auch dann wenn sich die Historikergemeinde dazu entschlossen hat, dass das „große Persönlichkeiten“ sind. Antisemitische Predigten Martin Luthers oder sein Aufruf Hexen zu verbrennen? „Das muss man vor dem Zeithintergrund sehen“. Das Blutgericht von Verden, bei dem Karl der Große der Überlieferung nach 4.500 Sachsen abschlachten ließ? Auch wenn die überlieferte Opferzahl umstritten ist (einige Historiker gehen von etwa einem Zehntel dieser Zahl aus), es war trotzdem Massenmord! Gleichwohl wird Karl der Große in modernen Geschichtsdokumentationen als vorbildlicher Herrscher dargestellt, der ein Weltreich schuf, das wahlweise – je nach politischer Botschaft – entweder die Wurzel Deutschlands oder Europas war.

Obwohl wir in unserer heutigen Gesellschaft solch irrationale Auswüchse brutaler Gewalt zutiefst ablehnen, hat man den Eindruck, als rufe gerade diese unmenschliche Skrupellosigkeit gegenüber seinen Feinden eine gewisse Faszination hervor, so als wären es die Kanten und Risse von dem Idealbild eines „guten Herrschers“, die die Person erst „echt“ und respektabel im Auge des Betrachters machen. Das kommt daher, dass das meiste, was wir über historische Persönlichkeiten erzählt bekommen, nicht Geschichte ist, sondern Geschichten.

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Die Verurteilung Margarethe Heils aus Arheilgen am 15.08.1586

Mit den Hexenverfolgungen 1582 habe ich mich ja schon ausführlich beschäftigt. Aber auch 1586 und 1590 gab es mehrere Opfer. Über die beiden Opfer 1590 lässt sich nicht viel sagen, da schlicht die Quellen dazu fehlen. Außer, dass es diese Opfer gab, wissen wir eigentlich nichts darüber. Auch viele der 17 nachweisbaren Opfer 1586 sind lediglich namentlich bekannt. Nur über den Fall der Witwe Margarethe Heil aus Arheilgen wissen wir etwas mehr, da der Wortlaut des Gerichtsprotokolls erhalten ist.

Tatsächlich war dies lange Zeit der einzige etwas näher untersuchte Darmstädter Fall. Der von mir ausführlicher behandelte Fall von Wolf Weber und Anne Dreieicher wurde erst in den 1960ern überhaupt bekannt, da sich die entsprechenden Quellen vorher nie jemand angeschaut hatte. Ich persönlich finde die 1582er-Fälle deutlich interessanter, da sie mehr über die tatsächlichen Lebenssituationen der Opfer verraten. Der Fall der Margarethe Heil offenbart dagegen eher etwas über die juristischen Zustände und die Vorstellungswelt der Täter.
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Der Eselsritt des bösen Hunderts

Im September 1536 verlangten Bürgermeister und Rat der Stadt Darmstadt von den Herren von Frankenstein die Bereitstellung eines Esels, um „etliche Bürger […], die sich ungebührlich und übel gehalten haben“, am nächsten Aschermittwoch „nach unserm alten Herkommens und Gebrauch zu strafen“.

Dieses alte Herkommen ist als Frankensteiner Eselslehen (manchmal auch Bessunger Eselslehen) in die Geschichte eingegangen und wurde von solch prominenten Persönlichkeiten wie Georg Christoph Lichtenberg und Jacob Grimm bekannt gemacht. Bürger, die sich ungebührlich verhalten hatten, wurden demnach auf einen Esel gesetzt und unter dem Gespött der Menge durch die Stadt geführt.

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Hexenverfolgungen 1582 – Teil 3

Teil 1 Teil 2

Traumwelten

Betrachtet man die Sache oberflächlich, so wird man vermutlich zu dem Ergebnis kommen, dass die beiden Kinder sich da etwas zusammengesponnen haben. Vieles in ihren Geständnissen kann man als typische Erzählmotive von Teufelstänzen identifizieren, wie sie damals weit verbreitet waren und deshalb nicht von Anne und Wolf erfunden wurden. Man könnte daher alles, was im Rahmen der mythologischen Erzählmotive von Anne und Wolf berichtet wird, als reine Fantasie betrachten, hervorgelöst durch den Druck des Verhörs.

Die Erzählmotive scheinen jedoch auch eine tiefenpsychologische Ebene zu haben. Sie verwenden Elemente, die der Traumsymbolik ähneln. Wolfs Katzen, die so groß wie Hammel gewesen sein sollen und ein seltsames Geschrei von sich gaben, sind sicherlich so zu interpretieren, und dass er seinen persönlichen Teufel als „schwarzen Bub“, also wohl als Gleichaltrigen beschreibt, könnte man als Schattenarchetyp deuten.

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Hexenverfolgungen 1582 – Teil 1

Es ist erstaunlich, dass die Hexenverfolgungen in Darmstadt nie auf sonderliches Interesse gestoßen sind, obwohl es doch an sich ein sehr populäres Thema ist. In dem umfangreichen Standardwerk Darmstadts Geschichte – Fürstenresidenz und Bürgerstadt im Wandel der Jahrhunderte nehmen die Darmstädter Hexenhinrichtungen gerade einmal einen einzigen Absatz ein. Zum Vergleich: die Gehaltslisten verschiedener städtischer Ämter werden über mehrere Seiten hinweg detailliert ausgebreitet.

Die stiefmütterliche Behandlung dieser an sich dramatischen Ereignisse ist eine Geschichte für sich. Von der Aufklärung inspiriert begann man im 19. Jahrhundert die Geschichte der Hexenverfolgungen kritisch aufzuarbeiten. So auch in Darmstadt. Dumm nur, dass der Hauptverantwortliche für die Hexenprozesse der damalige Landesherr Landgraf Georg I. war, denn Georg war auch Dynastiegründer der regierenden Herrscherfamilie. Ihn als religiösen Fanatiker darzustellen, der an Wahnvorstellungen litt, wie man es mit anderen Verantwortlichen gerne gemacht hatte, war da ausgeschlossen.

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