Kartengestöber – mit Nachtrag

Kristof hat die südhessische Straßenkarte von 1575 hochgeladen. Diese Karte kannte ich zwar schon seit geraumer Zeit, allerdings in geringerer Auflösung.

Diese Karte gehört aus verschiedenen Gründen zu den interessantesten überhaupt. Ein Grund ist, dass wir auf der Karte die älteste bildliche Darstellung Darmstadts überhaupt finden, auch wenn die Darstellung als schnelle Skizze nur wenig aufschlussreich ist.


Darmstadt 1575

Interessant an der Karte finde ich auch, welche Orte dargestellt wurden und welche nicht. Die Kriterien bei der Auswahl sind mir völlig unklar.

Schön ist, dass Kristof die Karte nicht nur veröffentlicht hat, sondern auch versucht hat, die teilweise schwer entzifferbare Schrift neu zu beschriften. Naturgemäß ist das nicht immer ganz einfach, weshalb einige Unklarheiten bleiben, Kristof schreibt:

Ich habe mir mal die Mühe gemacht, alle Orte zu beschriften (siehe „Beschriftete Karte“). Es gibt jedoch noch viele Fragezeichen. Ich würde mich freuen, wenn ich hier ein wenig QS bekommen könnte, ich bin ein lausiger Schriftenleser. Die Stellen sind meist mit einem „?“ gekennzeichnet. U.A.

  • Heisst das wirklich Kratzenau bei Nauheim?
  • Neben Bauschheim steht so etwas wie „Mörschheim“, zumindest hat auch jemand beim HStAD ein Mörschheim gelesen. Das sagt mir nichts …
  • Bei Geinsheim am Rhein ist das Ufer vollgekritzelt (?6)
  • Neben Stockstadt ist ein Ort (?1), den ich so nicht zuordnen kann. Beim HStAD ist ein „Hofheim“ in der Liste erwähnt, aber an der Stelle gibt es m.W. kein Hofheim
  • „Bickenbach auf dem Sand“ bei Bickenbach. Das Internet sagt mir, dass „B. uf dem Sand“ nur eine alte Bezeichnung für Bickenbach ist. Hier sieht das wie zwei separate Siedlungen aus.
  • „?2“  neben Frankenstein
  • „?Otzberg“
  • Die ganzen Straßenbeschriftungen (Straße nach soundso) sind sehr schwer lesbar
  • Auch die Beschriftungen ohne Frageteichen durfen gern kritisch beäugt werden …

Wer dazu Ideen hat bzw. die Schrift entziffern kann, kann sich gerne melden (Link: http://langen.ykom.de/serverlocal/diys_files//karten/str1575_labels_gross.jpg). Ein paar spontane Ideen hatte ich selbst schon:

3 heißt wahrscheinlich einfach Compaß.
Bickenbach auf dem Sande dürfte das eigentliche Bickenbach sein, während das nur „Bickenbach“ genannte wohl ein anderer Ort ist, er scheint nämlich auf der anderen Seite der Bergstraße zu liegen. Es könnte Jugenheim oder Seeheim sein. Kirchlich war Seeheim bis 1545 ein Filial von Bickenbach, vielleicht daher die Doppelbezeichnung.
„Mörschheim“ (oder wie auch immer) ist der Schönauer Hof, der hieß erst Megersheim, dann Mersheim, dann Mörßheim und aus Gründen, die ich nicht kenne ab dem 18. Jhd dann plötzlich Schönau.
1 ist vielleicht Leeheim? Die beiden Dinger beim Frankenstein sind zwei der Eberstädter Mühlen, muss ich mir mal genauer ansehn, ob man exakt identifizieren kann, welche beiden es sind.

Ursprüngliches Stadttor

Beim Herumstöbern in den Karten ist mir noch etwas aufgefallen, was im Bezug zu diesen Artikeln steht:

Kurz zusammengefasst geht es darum, wie der ursprüngliche Straßenverlauf im mittelalterlichen Darmstadt war und wo das nördliche Stadttor stand. Häufig liest man, die Überlandstraße wäre am heutigen Schlossgraben vorbeigelaufen, unmittelbar entlang einer Wildhube am heutigen Standort des Schlosses. Die Zeichnung im Altstadtmuseum haben sicher einige schon gesehen. Sie stellt das für das Jahr 800 oder 900 (weiß ich jetzt nicht mehr genau) so dar.

Ich habe das in der Vergangenheit immer wieder stark angezweifelt, sowohl den Verlauf der Straße als auch die Wildhube. Die Straße verlief vermutlich entlang der heute nicht mehr vorhandenen Langegasse, also etwa quer durch die Stadtbibliothek und dann zwischen Fraunhofer Institut und Darmstadtium vorbei Richtung Arheilgen. Und die in Dokumenten erwähnte Wildhube Darmstadt stand wohl eher in Kranichstein.

Darmstadt hatte ursprünglich nur zwei Stadttore, eines im Süden und eines im Norden. Es ist zwingend, dass die Standorte dieser Tore auch angeben, wo die Überlandstraße entlanggelaufen ist. Das Problem ist nun aber, dass erste Stadtpläne aus einer Zeit stammen, zu der bereits mehr Tore, nämlich drei, an der Nordseite der Stadtmauer existierten.

Dachte ich zumindest.

Der älteste Plan Darmstadts ist die Sternschanzen-Projektion Ludwigs VI. (die beste Auflösung hiervon findet sich ebenfalls bei Kristof:  

Die drei Durchbrüche im Norden sind gut zu erkennen: das Arheilger Tor im Osten (ist links, da die Karte nach Süden ausgerichtet ist), das Frankfurter links neben dem Schloss und das Neue Tor rechts neben dem Schloss.

Was den Plan allerdings schwierig macht, ist, dass er eine Projektion ist, die Bestand und Planung mischt. So ist ja die geplante Sternschanzenfestung eingezeichnet, obwohl diese nie umgesetzt wurde.

Es gibt allerdings auch einige Vorabskizzen, die größtenteils den Bestand und nicht die Planung zeigen, z.B. folgende:

Und hier gibt es ein bemerkenswertes Detail: alle Tore sind durch Quadrate mit einem Kreuz im Inneren gekennzeichnet, da haben wir das Arheilger Tor:

arheilger

Das Bessunger Tor:

bessunger

Das neue Tor:

neue

Und sogar die beiden, logischerweise später entstandenen Vorstadttore Jäger- und Sporertor:

jäger sporer

Beim Standort des Frankfurter Tors findet sich aber das:

frankfurter

Das heißt, es befand sich dort irgendwas, vielleicht eine Art Turm oder ähnliches, aber eben kein Tor.

Für mich ist die Sache daher endgültig geklärt. Das älteste Nordtor war das Arheilger Tor und folglich führte die ursprüngliche Landstraße auch nicht am Schlossgraben vorbei, weshalb es vor dem Bau der Wasserburg Mitte des 13. Jahrhunderts auch nichts am Standort des Schlosses gab. Sämtliche Darstellungen, die es hierzu in unzähligen Veröffentlichungen, Zeitungsartikeln, Illustrationen und auch dem Stadtlexikon gibt, sind falsch.

Nachtrag:

In diesem Stich von 1606 hier:

1606

kann man auch erkennen, was sich an der Stelle des späteren Frankfurter Tors befindet:

1606-Ausschnitt

Die Stadtmauer ist dort offensichtlich überbaut worden. Gründe dafür kann es viele geben, sind aber rein spekulativ. Vielleicht hatte man einen direkten Weg vom Schloss auf die Stadtmauer geschaffen, der Strich, den Ludwig VI. in seiner Skizze durch den Schlossgraben gezogen hat, könnte darauf hindeuten.

Wenn in der Literatur das Frankfurter Tor bereits ins Mittelalter verlegt wurde, wurde dieser Stich von 1606 normalerweise einfach ignoriert. Allenfalls wurde argumentiert, dass der Stich fehlerhaft sein muss, weil es so aussieht, als stieße dieser Überbau direkt an das Schloss, was wegen dem Schlossgraben nicht sein kann. Oder es wurde gar als etwas ungenau gezeichnetes Tor interpretiert, dessen Eingang durch die Bäume im Vordergrund verdeckt ist. Wenn man genau hinseht, bemerkt man aber, dass der Eindruck, dieser Überbau würde direkt ans Schloss anschließen, perspektivische Gründe hat. Und selbst wenn man das als eine Art Torhaus interpretiert (wogegen aber die Skizze Ludwigs VI. spricht), dann ist es stilistisch „moderner“ als das Arheilger Tor, das auf dem Stich links ebenfalls sehr gut zu erkennen ist, d.h. selbst wenn das ein Tor sein sollte, was ich bezweifle, dann ist es jünger als das Arheilger Tor.

Und nebenbei bemerkt, bin ich momentan nicht einmal mehr sicher, dass es überhaupt irgendeine bildliche Darstellung des „Frankfurter Tors“, wie es in der Literatur bezeichnet wird, gibt. Möglich, dass es ohnehin nur ein Durchbruch durch die Mauer war, nachdem der Verteidigungsnutzen an der Stelle durch die Vorstadtmauer obsolet geworden war. Aber da muss ich noch mal genauer schauen, ob es da was gibt. Vielleicht waren einige Autoren auch nur darüber verwirrt, dass das Arheilger Tor in einigen wenigen Dokumenten auch Frankfurter Tor genannt wird. Unterschiedliche Bezeichnungen für dasselbe Objekt sind aber keineswegs ungewöhnlich.

Nachtrag II:
Bei Rodingh, ca. 1676 (siehe hier: https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/digitalisatViewer.action?detailid=v3243977) kann man einen Torturm an der Stelle des Frankfurter Tors sehen. Der passt mit seinem quadratischen Grundriss und seiner deutlich über die Stadtmauer hinausragenden Höhe aber nicht zu den älteren Stichen, muss also später entstanden sein. Möglich aber, dass dieser Stich der Grund ist, warum man dort ein Stadttor annahm.

Nachtrag III:
Also, ich habe mir jetzt noch mal verschiedene Quellen zum Frankfurter Tor (bei Battenberg heißt es übrigens kleines Arheilger Tor) angesehen und kann nur feststellen, dass sich alle so eklatant widersprechen (zum Teil sogar sich selbst), dass man es wohl als pure Fiktion ansehen muss, die – wie auch beim Wildhübner Darimund – wohl dadurch entstanden ist, dass der eine vom anderen abgeschrieben hat und dadurch einer reinen Spekulation immer mehr Gewicht gegeben hat.

Ein paar Beispiele:

  • Battenberg spricht in Darmstadts Geschichte vom Arheilger Tor und vom ursprünglichen Straßenverlauf über die Langegasse, so wie ich es auch sehe. Jürgen Rainer Wolf erwähnt im selben Buch ein Frankfurter Tor erstmals für 1645, wobei unklar bleibt, ob damit nicht das Sporertor gemeint, da es aus einer Aufzählung der Pförtner stammt, bei der alle außer der vom Sporertor erwähnt werden. Gleichzeitig findet sich in Darmstadts Geschichte aber auch eine Zeichnung, die den Plan der Stadt Anfang des 17. Jahrhunderts zeigen soll. Hier findet sich das Frankfurter Tor als „Kleines Arheilger Tor“.
  • Karl Ackermann spricht in „Von der Wasserburg zur Großstadt“ von drei ursprünglichen Toren, was schon angesichts der Bezeichnung eines der Tore als „Neues Tor“ ziemlicher Unfug ist.
  • Georg Haupt dagegen sieht in „Die Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Darmstadt“ das Tor als einen 1675 erfolgten Durchbruch.
  • Georg Zimmermann wiederum führt in „Das Darmstädter Schloß und seine Baugeschichte“ das Tor am Schlossgraben schon für das Jahr 1377.
  • Stadtarchivar Peter Engels schließlich spricht im Darmstädter Stadtlexikon unter dem Schlagwort Stadttore ebenfalls vom Arheilger Tor als ursprünglichem Nordtor, widerspricht dem aber selbst regelmäßig, wenn er behauptet, die ursprüngliche Überlandstraße wäre direkt am Schloss vorbeigelaufen, was unmöglich ist, wenn da kein Tor war.

4 Responses to Kartengestöber – mit Nachtrag

  1. Vielen Dank, hilfreich wie immer.

    Der Ort unterhalb von Stockstadt ist das Landeshospital Hofheim; ich habe ihm das grade geschrieben.

  2. Kristof says:

    Ja, danke. Es kommen viele hilfreiche Hinweise rein … 🙂
    Genaugenommen steht da wohl sogar „Hoffheim“, so steht’s auch auf anderen Karten manchmal.

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