Darmstadt im Krieg

Versucht man sich an einem Überblick der kriegerischen Konflikte, an denen Darmstadt in irgendeiner Weise beteiligt gewesen ist, so hat man für das Mittelalter wieder das generelle Problem der Quellenarmut. Die Ersterwähnung Darmstadts fällt beispielsweise in die Zeit des ersten Kreuzzugs. Ob sich jemand von der bäuerlichen Dorfbevölkerung damals auf den sogenannten Volkskreuzzug begeben hat, eine Art Himmelfahrtskommando, ausgelöst durch eine schiefgelaufene Propaganda? Wir wissen es nicht.

Im 13. Jahrhundert errichteten die Katzenelnbogener Grafen eine Wasserburg bei Darmstadt und Ritter siedelten sich an. Doch die Burg wies keine große Kampfstärke auf und hatte als Teil einer ganzen Burgenkette einen eher strategischen Nutzen. Die Katzenelnbogener wollten ihr Gebiet in der Fläche absichern, nicht einen einzelnen Ort. Letztendlich war eine Burg oft auch mehr Statussymbol als militärische Festung. Die Katzenelnbogener brachten damit zum Ausdruck, dass sie die tonangebende Macht in der Gegend waren. Darmstadt war in dieser Zeit insgesamt aber ein wohl sehr ruhiges, verschlafenes Nest, an dem die große Politik größtenteils ohne größere Folgen vorbeiging. Als Graf Wilhelm I. von Katzenelnbogen Anfang des 14. Jahrhunderts in Konflikt mit dem damaligen König Albrecht I. geriet, zerstörte dieser Zwingenberg und nahm Weinheim, Heppenheim und Bensheim ein. Darmstadt schien ihn nicht zu interessieren.

Die Stadtrechtsverleihung 1330 durch Kaiser Ludwig IV. ist immerhin indirekt eine Folge der „großen Politik“, war sie doch eine Belohnung für Graf Wilhelm von Katzenelnbogens Unterstützung des Kaisers in dessen Konflikten mit den Habsburgern und dem Papst. Deswegen galt die Privilegierung zunächst auch explizit nur für den Grafen und seine Erben. Die Stadt Darmstadt hätte von sich aus weder eine Stadtmauer bauen noch einen Wochenmarkt abhalten können, wenn die Grafen es nicht gewollt hätten. Das änderte sich erst, als Darmstadt Ende des 15. Jahrhunderts an Hessen fiel.

Damit wurde die Lage für Darmstadt selbst auch ungünstiger. Zum einen war man mittlerweile zum wichtigsten Ort der Region aufgestiegen, zum anderen lag man nun nicht mehr zentral in einem Herrschaftsgebiet, sondern am Rande, weitab des Machtzentrums. Bis 1500 wurde man von Marburg aus regiert, da Hessen damals in Nieder- und Oberhessen geteilt war, ab der Wiedervereinigung der beiden Landesteile dann aber von der eigentlichen hessischen Residenz in Kassel aus. Und das war für damalige Verhältnisse verdammt weit weg. Unter den Katzenelnbogener war man zum zweitwichtigsten Ort der Grafschaft aufgestiegen. Nun war man ein recht einsamer Vorposten in der Peripherie eines viel größeren Landes.

Außerdem war man von mächtigen Ländern umgeben, die der Landgrafschaft Hessen in einiger Regelmäßigkeit immer mal wieder feindlich gegenüberstanden. Darmstadt war ein naheliegendes Ziel für jeden, der die Landgrafschaft von Süden her angreifen wollte. Es war leicht zu erobern, ein Entsatzheer aus dem hessischen Kerngebiet wäre zu lange unterwegs, um der Stadt zu Hilfe zu kommen und auch wenn Darmstadt politisch für Hessen relativ unbedeutend war, so wäre es doch ein verheerendes Signal gewesen, wenn ein feindlich gesinntes Heer die Stadt einfach so erobern konnte, ohne dass die hessischen Landgrafen etwas dagegen unternehmen konnten. Kurz: für Hessen war die Erbschaft Darmstadt ein Klotz am Bein und für Darmstadt bedeutete es, in den Fokus großer Mächte zu geraten, die bislang an dem beschaulichen kleinen Städtchen eher vorbeigezogen sind. Es war sozusagen eine „lose-lose-Situation“.

Sickinger Fehde

Es dauerte daher auch nur wenige Jahre, bis Darmstadt zum ersten Mal belagert wurde. Der Reichsritter Franz von Sickingen begann ab 1515 zahlreiche Fehden gegen verschiedene Länder und Städte, teilweise mit Unterstützung durch Götz von Berlichingen. Hintergrund war der stetige Machtverlust der Ritterschaft, deren Einfluss durch die Bildung der Territorialstaaten mehr und mehr sank. Militärisch ging ihre Zeit ohnehin zu Ende und die Besitztümer der meisten Ritter waren zu gering, um sich politisch gegen die mächtigen Landesherren oder die reichen Städte zu behaupten. Sickingens Handeln war ein letzter Versuch, dem Zahn der Zeit zu trotzen und den Status Quo für die Ritterschaft zu erhalten.

1518 zog er gegen Hessen, das im Besitz einiger Ländereien gelangt war, die früher einmal Sickingens Familie gehört hatten. Er hatte gerade Metz erfolgreich belagert und so war Darmstadt als erstes Ziel naheliegend. Sickingen plünderte das Umland, vor allem Bessungen und Arheilgen, und belagerte die Stadt. Angeblich soll Sickingen mit einem Aufgebot von 10.000 Mann erschienen sein. Auch wenn die Zahl wohl etwas übertrieben wurde, so war sein Heer dennoch der Stadt, die bestenfalls ein paar Hundert wehrfähige Männer aufzuweisen hatte, vollkommen übermächtig, zumal Teile der Verteidiger durchaus mit Sickingen sympathisierten, nämlich jene aus dem mehr und mehr entmachteten niederen Adel, vor allem eben jene im Ritterstand.

14 Tage dauerte die Belagerung. Sickingen ließ Darmstadt mit Kartaunen beschießen und beschädigte dabei das Schloss erheblich. Dann kaufte sich der Landgraf mit 50.000 Gulden Brandschatzung und 35.000 Gulden Kriegskostenentschädigung frei (die Gesamteinnahmen der Stadt dürften in dieser Zeit jährlich deutlich unter 1.000 Gulden gelegen haben). Das Geld wurde auf die Städte und Dörfer der ehemaligen Obergrafschaft Katzenelnbogen umgelegt, doch Darmstadt musste natürlich die Hauptlast tragen.

Der kurz darauf ausbrechende Bauernkrieg spielte in Darmstadt keine Rolle. Außer einigen Truppendurchzügen, die aufgrund der Einquartierungen für die Stadt immer mit Kosten verbunden waren, und der Verpflichtung gegenüber dem Landgrafen zur Denunziation jeglicher möglicher Unruhestifter blieb dieser Krieg für Darmstadt ohne Folgen.

Als fatal erwies sich dagegen der Schmalkaldische Krieg 1546/47.

Schmalkaldischer Krieg

Eine Folge der Reformation und der Aufgabe der Glaubenseinheit war eine Schwächung des Kaisers, der seine Legitimation nach wie vor zumindest teilweise durch den Papst erhielt. Der amtierende Kaiser Karl V. war noch vom Papst gekrönt worden. Der Papst ist aber bekanntlich katholisch und die neuen protestantischen Herrscher lehnten seine Autorität ab. Schließlich kam es zum offenen Krieg zwischen dem Kaiser und seinen Verbündeten und dem Schmalkaldischen Bund, einem Zusammenschluss protestantischer Herrscher unter der Führung von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Phillipp von Hessen. Wie schon bei der Sickinger Fehde war Darmstadt ein leichtes Ziel und so marschierte der kaiserliche General Maximilian von Egmont, Graf von Buren, im Dezember 1546 vor Darmstadt auf.

Darmstadt hatte sich notdürftig auf die Attacke vorbereitet: kampffähige Männer aus der Umgebung waren in der Stadt zusammengezogen worden, schnell hatte man noch einige Ausbesserungen an den Verteidigungsanlagen vorgenommen, vor allem am offenbar baufälligen Arheilger Tor, doch dass die Stadt den 6.000 Fußtruppen und 3.000 Reitern Egmonts standhalten könnte, war ausgeschlossen. Das erkannte auch der Oberamtmann Alexander von der Tann, der eigentlich für die Organisation der Verteidigung zuständig war. Er gab ein paar fadenscheinige Anweisungen zur Verteidigung und verschwand dann in einer Staubwolke Richtung Rüsselsheim, wo er sich in der dortigen Festung verschanzte, während er Darmstadt seinem Schicksal überließ.

Eine erste Offensive Egmonts am 21. Dezember 1546 konnten die Darmstädter – wohl mit dem Mut der Verzweiflung – noch zurückschlagen, doch schon einen Tag später besetzte Egmont die Stadt. Spuren dieser beiden Kämpfe (oder einem davon) wurden beim Bau des Theaters, dem heutigen Staatsarchiv, Anfang des 19. Jahrhunderts gefunden. An der Stelle, wo heute die Säulen des Staatsarchivs stehen, befand sich offenbar ein Graben mit Zugbrücke und eine Mauer. Hierbei kann es sich nur um das Eingangstor des Vorwerks des Schlosses gehandelt haben. Man fand zerbrochene Klingen im Graben und das Holz der Zugbrücke war verkohlt, also eindeutige Kampfspuren, die nur von Egmonts Angriff stammen können.

Er ließ das Schloss niederbrennen und belegte die Stadt mit einer Brandschatzung von 7.000 Gulden, was anders als beim Angriff Sickingens diesmal von Darmstadt allein getragen werden musste. Das bedeutete, dass die Stadt über mehrere Jahre hinweg wirtschaftlich nahezu ruiniert war. Als Egmont am 23. Dezember 1546 weiterzog, hinterließ er ein Trümmerfeld. Erst 10 Jahre später begann man mit dem Wiederaufbau des Schlosses. Weitere 10 Jahre bestand es noch größtenteils aus Behelfsbauten in unmittelbarer Nachbarschaft von Schutthaufen.

In der Gesamtbetrachtung war die Schlacht um Darmstadt nur ein kleines, unbedeutendes Scharmützel. Der Krieg selbst wurde in Sachsen entschieden, wo am 24. April 1547 bei Mühlberg (heute Brandenburg) der Kaiser die kriegsentscheidende Schlacht gewann. Für Darmstadt selbst hatte jedoch auch dieses kleine Scharmützel große Folgen. Als die Schmalkalder den Krieg schließlich verloren, geriet Landgraf Philipp in mehrjährige Gefangenschaft, Darmstadt fiel vorübergehend an die Grafschaft Nassau-Dillenburg, die der ruinierten Stadt beim Wiederaufbau nicht helfen konnte.

War Darmstadt bis hierhin immer nur am Rande von Kriegen betroffen, geriet es im 17. Jahrhundert direkt ins Zentrum eines der grausamsten Konflikte aller Zeiten.

Der 30-jährige Krieg

Ab 1619, ein Jahr nach Ausbruch des Krieges, häufen sich Beschwerden der Stadtbewohner über die vielen Fremden in der Stadt, also über jene Landbevölkerung, die sich zum Schutz vor den umherziehenden Truppen hinter die Stadtmauer begeben hatten. 1620 stieg dieser Zustrom an Schutzsuchenden noch an, nachdem es bei einem Durchzug einer Reiterkolonne an der Bergstraße zu ersten gewalttätigen Übergriffen gegenüber der Zivilbevölkerung gekommen war.

Landgraf Ludwig V. versuchte dem Konflikt aus dem Weg zu gehen, doch eine vollkommen neutrale Haltung war in dieser Zeit nicht möglich. Trotzdem er selbst protestantisch war, stellte er sich an die Seite des katholischen Kaisers und geriet so in das Schussfeld der Protestanten. Graf Ernst von Mansfeld, ein Heerführer im Dienste der Protestantischen Union, zog 1622 brandschatzend durch die Landgrafschaft, um seinen Feldzug finanzieren zu können. Seine Truppen plünderten die Stadt, fischten die Teiche leer, schossen das meiste Wild in den Wäldern, raubten Proviant, Kutschen und Waffen und soffen den Wein. Im Umland wüteten sie noch viel mehr, in Bessungen wurde das Rathaus niedergebrannt, mehrere Zivilisten kaltblütig ermordet. Als der Landgraf sich weigerte, die Festung Rüsselsheim zu übergeben, wurde er gefangengenommen und verschleppt. Erst mehrere Wochen später konnte er durch Graf von Tilly, Heerführer der Katholischen Liga, befreit werden.

Nach einigen Jahren relativer Entspannung spitzte sich die Lage ab 1630 so sehr zu, dass der Landgraf, mittlerweile Georg II., Darmstadt verließ und von der Festung Gießen aus regierte. 1631 öffnete der Landgraf die Festung Rüsselsheim kampflos den Schweden, die daraufhin auch das Umland Darmstadts besetzten. Darmstadt selbst kaufte sich vor Einquartierung frei. Damit entging man zwar einem Angriff, andere Folgen des Krieges traf Darmstadt aber genauso hart: der Hunger und die Pest, die die Soldaten mitgebracht hatten und die sich im durch die Flucht der Landbevölkerung völlig übervölkerten Darmstadt prächtig ausbreiten konnte.

Im Spätherbst 1634 „befreiten“ kaiserliche Truppen das Darmstädter Land. Für die einfache Bevölkerung machte diese Wendung im Kriegsgeschehen aber keinen Unterschied. Denn auch die mit Hessen-Darmstadt verbündeten kaiserlichen Truppen wollten versorgt werden. In Arheilgen nistete sich kurz darauf Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar ein, der mal für die Schweden, mal für die Franzosen zu Felde zog, und forderte von der hungernden Bevölkerung allein am 28. Dezember diesen Jahres 80.000 Pfund Brot zur Versorgung seiner Truppen.

Wenige Tage später wurden die kaiserlichen wieder von französischen Truppen abgelöst. Jedoch nicht, um sich den kaiserlichen Truppen in einer offenen Schlacht zu stellen. Die beiden eigentlich verfeindeten Armeen kümmerten sich kaum umeinander. Der Krieg dauerte bereits so lange an, dass die umherziehenden Armeen die meiste Zeit damit beschäftigt waren, sich selbst zu versorgen. Und da den Herrschern längst die Mittel mehr oder weniger ausgegangen waren, nahmen sich die Soldaten mittels Faustrecht einfach, was sie benötigten. Mittlerweile war es eher eine militärische Terrorherrschaft gegen die Zivilbevölkerung als ein Krieg zwischen verfeindeten Armeen. Die Soldaten waren vom Kämpfer zur sozialen Schicht mit Gewaltmonopol geworden, was sie schamlos zur Ausbeutung der wehrlosen Bevölkerung nutzten.

Und so standen bereits am 3. Januar 1635 wieder französische Truppen vor der Stadt, die gerade noch 200 Soldaten zur Verteidigung aufweisen konnte. Während sich der Landgraf und sein Hof im sicheren Gießen versteckten, war seine Regierung (also die höchsten Beamten) immer noch in Darmstadt. Und weil es diese Beamte beim Anblick der französischen Truppen mit der Angst zu tun bekamen, befahlen sie den Darmstädter Soldaten sich ins Schloss zurückzuziehen und die Stadt den Franzosen zu überlassen. Diese zogen dann auch kampflos ein und quartierten sich mit bis zu 30 Mann pro Haus bei den Bürgern ein.

Vier Tage lang dauerte das bizarre Nebenher der französischen Besatzung in der Stadt und der Regierung plus 200 Soldaten, die sich im Schloss zusammenrotteten, dann wurde es den Franzosen zu blöd. Sie marschierten mit mehreren Kompanien auf dem Marktplatz auf und drohten die ganze Stadt niederzubrennen. Die Regierung und die Soldaten im Schloss handelten einen freien Abzug zur Festung Rüsselsheim aus und überließen die Stadt gänzlich den Franzosen, die sich mit 14 Kompanien und etwa 1.500 Pferden von der Bevölkerung bewirten ließen. Dagegen starben jeden Tag 10 bis 20 Darmstädter. Und das war erst der Anfang.

Die Truppen Herzog Bernhards kehrten am 18. Januar 1635 zurück und legten das Umland in Schutt und Asche. In Griesheim brannten sie insgesamt 114 Häuser nieder, in Arheilgen entgingen nur 8 oder 9 den Flammen. Die wenige Bevölkerung, die immer noch auf dem Land ausharrte, zog es spätestens jetzt hinter die Mauern Darmstadts, was angesichts der Erfahrungen der letzten Monate eine Verzweiflungstat war, wusste doch jeder, dass die Mauern keiner Armee standhielten. Lediglich gegen kleine Trupps umherziehender Marodeure boten sie einen gewissen Schutz.

Auch Darmstadt wäre beinahe in Flammen aufgegangen, doch die an vier Stellen gezielt gelegten Brände konnten in letzter Sekunde gelöscht werden, bevor sie großen Schaden anrichten konnten. Hinzu kam, dass es ein bitterkalter Winter war und so verfeuerten schwedische und französische Soldaten alles Holz, was sie in die Finger bekommen konnten, zum Heizen: Weinpfähle, Einfriedungen und sogar Fensterläden.

Kaum, dass die französischen und schwedischen Truppen abgezogen waren, folgten ihnen erneut die kaiserlichen. Mitten in der Nacht fielen sie in der Stadt ein, schlugen Haustüren mit Gewalt auf, plünderten, raubten, folterten und vergewaltigten. Die Verbündeten quälten die leidende Bevölkerung also noch mehr als es die Feinde getan hatten.

Nach dem Abzug der Franzosen lagen etwa 500 Tierkadaver verwesend vor den Toren der Stadt, Vieh, das nicht mehr versorgt werden konnte und eine fassbare Zahl des Nahrungsmangels. Trotzdem verlangte der Kommandant der kaiserlichen Truppen von der Stadt jede Woche eine ganze Palette verschiedener Fleisch- und Geflügelsorten, um standesgemäß verköstigt zu sein.

Und dann kam die Pest zurück, stärker als je zuvor. Schon von Jahresbeginn bis zum 19. Februar waren ihr rund 600 Menschen erlegen, mit steigender Tendenz. In manchen Häusern lagen mehr als 10 Kranke, allein im ersten Halbjahr 1635 starben etwa 2.200 Menschen innerhalb der Stadtmauern an der Pest, mehr als die Stadt unter normalen Umständen an Einwohnern hatte. Die Toten konnten nicht mehr regulär bestattet werden, landeten in Massengräbern oder wurden auf dem Feld Opfer von Aasfressern.

Erst nachdem der kaiserliche General Gallas am 22. August 1635 eine Schutztruppe in Darmstadt stationierte, verbesserte sich die Lage etwas. Die Folgen dieses dramatischsten Jahres in der Geschichte Darmstadts wirkten aber noch mehrere Jahre nach, die Vorräte waren gänzlich aufgebracht und vermutlich war 1635 auf keinem Feld die Saat ausgebracht worden, so dass Hunger und Armut auch in den Folgejahren zum Darmstädter Alltag gehörten. Als es bei Truppendurchzügen 1639 erneut zu Plünderungen kam, waren die Schäden gering, einfach weil es nicht mehr viel gab, was man noch hätte zerstören können.

Danach erholte sich die Stadt langsam. Zwar stand der Hessenkrieg um das Marburger Erbe noch bevor, doch Darmstadt lag hierbei abseits des eigentlichen Kriegsgeschehens und war nur indirekt davon betroffen. Im Juni 1645 marschierten noch einmal französische und schwedische Truppen vor Darmstadt auf und richteten große Schäden in der Stadt an, doch das Ende des Krieges zeichnete sich endlich ab und so muss es wohl als ein Indiz für eine Normalisierung der Verhältnisse angesehen werden, dass man 1646 Zeit und Nerven dazu hatte, sich höchst offiziell über ein Ratsmitglied zu beschweren, nur weil dieser in weißen Socken vor Gericht erschienen war.

Im April 1647 besetzten noch einmal französische Truppen die Stadt. Es muss den Darmstädtern wie ein Déjà-vu vorgekommen sein. Wieder verkrochen sich die Darmstädter Soldaten im Schloss, wieder wurde die Stadt kampflos den Franzosen übergeben, wieder drohten sie das Schloss zu beschießen, wieder gaben die Darmstädter Soldaten nach einigen Tagen auf, wieder wurde die Stadt mit unbezahlbaren Forderungen belegt.

Weil Darmstadt nicht bezahlen konnte, wurden der Bürgermeister, die Ratsmitglieder und eine ganze Reihe Beamter verhaftet, bei Wasser und Brot im Keller des Kanzleibaus eingesperrt und geschlagen. Schließlich verschleppte man einige der landgräflichen Beamten nach Speyer und verlangte Lösegeld. Nach und nach wurde Geld aufgetrieben, die eigentlichen Forderungen konnten aber gerade einmal zur Hälfte erbracht werden. Schließlich aber endete der Krieg 1648 endlich und für einige Jahrzehnte kehrte Ruhe in Darmstadt ein.

17. und 18. Jahrhundert

Nach Ausbruch des Pfälzischen Erbfolgekriegs 1688 erschienen erneut französische Reiter vor der Stadt und forderten die Schleifung der Stadtmauern. Herannahende Entsatzheere aus Hessen-Kassel und Kursachsen vertrieben sie zunächst wieder, doch im Sommer 1693 kehrten sie zurück und zerstörten bei ihrem Angriff eine Reihe von Häusern. Die Schleifung der Mauer begann nun, wurde aber nur westlich des Schlosses bis zum Weißen Turm durchgeführt, also dort, wo kurze Zeit später die Neue Vorstadt entstehen sollte.

Darmstadt selbst blieb danach für lange Zeit von den direkten Folgen des Krieges verschont, am Spanischen Erbfolgekrieg waren zwar auch landgräfliche Truppen beteiligt und die Stadt musste erneut Einquartierungen und Brandschatzungszahlungen erdulden, der eigentliche Krieg erreichte die Stadt jedoch nicht. Auch an den übrigen europäischen Kriegen des 18. Jahrhunderts waren landgräfliche Truppen (und folglich auch Darmstädter) meistens beteiligt, von den obligatorischen Einquartierungen und den üblichen Folgen von Truppendurchzügen abgesehen, blieben diese Konflikte aber folgenlos für die Stadt. Allerdings litten die Dörfer des Umlandes sehr unter diesen Truppendurchzügen. Am Siebenjährigen Krieg beteiligte sich von den landgräflichen Truppen nur das Gießener Kreisregiment, an Darmstadt ging dieser Krieg also praktisch spurlos vorüber.

Mit dem Ausbruch der Französischen Revolution wurden auch in Darmstadt die Zeiten wieder unruhig. An der zeitweisen Rückeroberung Mainz waren Darmstädter Regimente beteiligt. Im August 1796 besetzten französische Truppen erneut, wenn auch nur kurzzeitig, Darmstadt, verschleppten einige Bürger der Oberschicht und verlangten Lösegeld in Millionenhöhe. Entscheidender war aber die erneute Besetzung unter Napoleon 10 Jahre später. Um Hessen-Darmstadt dazu zu bewegen, sich dem frankreichnahen Rheinbund anzuschließen, rückte Marschall Augereau mit 20.000 Mann in Südhessen ein und machte Darmstadt zu seinem Hauptquartier. Verglichen mit früheren Besetzungen war das Verhältnis zwischen den Besatzern und der Bevölkerung wohl relativ entspannt, lediglich abendliche Auseinandersetzungen in Wirtshäusern zwischen französischen und Darmstädter Soldaten machten ein allgemeines Ausgehverbot nötig. Diese kurze Besatzungszeit trug zum örtlichen Sprachschatz bei, die Phrase „so’n Oscherooh“, eine geheinerte Verballhornung des Namens Augereau, wurde in den Folgejahren eine geläufige Beleidigung.

Nachdem Hessen-Darmstadt dem Rheinbund beigetreten war, zogen die Franzosen wieder ab. Allerdings bedeutete der Beitritt eine Verpflichtung, sich mit Truppen an den Feldzügen Napoleons zu beteiligen. Darmstädter Soldaten kämpften in den Folgejahren in Preußen, in Spanien, in Österreich und schließlich 1812 auch in Russland, in jenem fatalen Feldzug, von dem nur jeder Zehnte nach Hause zurückkehrte.

Nach Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig wechselte Hessen-Darmstadt die Seiten, ohne jedoch auf den Großherzogtitel, den man Napoleon zu verdanken hatte, zu verzichten. Truppen rückten nun gegen die Franzosen aus, nahmen jedoch an keinen Kampfhandlungen teil. Auch die Truppendurchzüge hielten sich in Grenzen. Es kehrte wieder Ruhe ein und man konnte sich dem Stadtausbau widmen. Von dem Einsatz Darmstädter Truppen bei verschiedenen Aufständen im Rahmen der Revolution 1848/49 abgesehen, blieb Darmstadt wieder für Jahrzehnte von kriegerischen oder kriegsähnlichen Auseinandersetzungen verschont.

Trotz der enormen Folgen, die der Deutsche Krieg 1866 für Darmstadt hatte, war es an den Gefechten und den Kriegshandlungen kaum beteiligt. Lediglich bei einem relativ kleinen Gefecht nahe Aschaffenburg kämpften auch Darmstädter Regimenter, fielen Darmstädter Soldaten. Ein sinnloser Kampf, denn der Krieg war da schon längst entschieden. Zwei preußische Bataillone besetzten kurz darauf für einige Monate die Stadt und obwohl das Großherzogtum formal unabhängig blieb, gehörte die Provinz Oberhessen von nun an dem Norddeutschen Bund an und die hessischen Regimente wurden der preußischen Armee eingegliedert. Man blieb also in etwa genauso „unabhängig“ von Preußen wie man seinerzeit nach Gründung des Rheinbundes „unabhängig“ von Napoleon blieb und so kämpfte man bereits im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 an der Seite Preußens. Vor allem die Belagerung von Metz forderte einen hohen Blutzoll.

Die beiden Weltkriege

Das Jahr 1914 wurde zum Darmstädter Kunstjahr erklärt und war in den ersten Monaten geprägt von einer Vielzahl von Kunstausstellungen. Dann brach der 1. Weltkrieg aus und über Nacht änderte sich alles. Ein Foto aus der Zeit der Mobilmachung zeigt den heutigen Friedensplatz, auf dem sich eine Menschenmenge versammelt hat, um die Fahnen-Eskorte der Gardedragoner, eine zu dieser Zeit schon völlig anachronistische Reitereinheit, zu beobachten. Im Hintergrund kann man ein Schild erkennen, das am Schloss angebracht wurde und das eine „Jahrhundert Ausstellung Deutscher Kunst“ ankündigt. Mit der Kunst aber war es von diesem Tag an vorbei. Mehr als 2.000 Darmstädter starben in diesem Krieg, 2.500, wenn man Eberstadt und Arheilgen bereits dazurechnet, darunter etliche Schüler, die man mit Sonderprüfungen ihren Schulabschluss schneller hatte abschließen lassen.

Von einigen wenigen Luftangriffen gegen Ende des Krieges abgesehen, denen mindestens vier Menschen zu Opfer fielen, war Darmstadt selbst kein Kriegsschauplatz, dennoch hatte der Krieg die Stadt fest im Griff: nahezu die komplette Wirtschaft wurde auf die Rüstungsindustrie umgestellt, das Jugendstilbad wurde geschlossen und zu einem Nähsaal umgestaltet, am Rande der Stadt befand sich ein Lager für französische Kriegsgefangene und je länger der Krieg dauerte, desto mehr machte sich Hunger breit.

Ein ähnliches Bild hinterließ zunächst auch der letzte Krieg, bei dem Darmstadt Schauplatz von Kampfhandlungen war, der 2. Weltkrieg. Vor allem Nahrungsrationierung, Luftschutzübungen, Verdunkelung der Stadt, Familienmitglieder und Freunde, die von der Front nicht zurückkamen, Verhaftung und Hinrichtung Oppositioneller und die jüdische Gemeinde, die erst äußerlich durch das Niederbrennen der Synagogen und dann auch tatsächlich durch Flucht, Deportation und Ermordung verschwand, prägten diese Jahre, auch wenn man immer wieder versuchte, den Schein der Normalität aufrecht zu erhalten.

Ab Mitte 1943 nahmen die Fliegerangriffe enorm zu, manchmal heulten die Sirenen mehrmals täglich. Am 23. September 1943 starben 149 Menschen bei einem Angriff der Royal Air Force. Etwa 5.000 wurden obdachlos. Am 25. August 1944 scheiterte ein Vernichtungsangriff auf Darmstadt, etwas mehr als 2 Wochen später, in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 zerstörte dann in der sogenannten Brandnacht ein gezielter Angriff der Royal Air Force Darmstadt nahezu vollständig. Etwa 10.000 Menschen starben, verbrannten, erstickten, gingen festgeklebt am in der Hitze schmelzenden Teer der Straße zugrunde. Darmstadt lag in Trümmern, die gesamte Altstadt war über Nacht für immer verschwunden.

Auch in den Folgemonaten gingen die Luftangriffe noch weiter. Am 12. Dezember 1944 zerstörten US-Flieger das Darmstädter Industriegebiet, vor allem die Anlagen von Merck. Noch einmal kamen mehr als 300 Menschen ums Leben. Danach wurden die Angriffe langsam weniger, das Ende des Krieges zeichnete sich ab.

5 Responses to Darmstadt im Krieg

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  2. jörg d. says:

    Boah, mal wieder ein sehr beeindruckender artikel!
    Menno, menno und da meckern und winseln so viele rum wie schlecht es uns heute geht.
    Wir sollten so dankbar sein, das die meisten von uns keinen krieg und solches elend erlebt haben.
    Beste grüße, der jörg d.

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