Wenn die freie Presse rechtsstaatswidriges Verhalten verteidigt… – Update

Eigentlich wollte ich das Thema nicht noch mal aufgreifen, doch nachdem ich heute den Kommentar von Lars Hennemann (hier), immerhin Chefredakteur des Echos, gelesen habe, muss ich es doch noch mal thematisieren, weil ich nicht glaube, dass das Echo als einziges relevantes Medium der Stadt so einen Angriff auf die Grundprinzipien des Rechtsstaates durchführen sollte.

Zunächst jedoch muss noch einmal kurz auf Bürgermeister Reißer selbst eingegangen werden. Laut des Kommentars sagte dieser, als er letztendlich seine mehr als fragwürdige Verordnung aufhob:

„Wer sagt eigentlich, dass der Rechtsstaat nur das Grundrecht der Hooligans schützt, sich frei zu bewegen? Was ist mit den ganz normalen Menschen oder den Gewerbetreibenden?“

Dazu fallen mehrere Dinge auf. Zunächst: Einsicht, was falsch gemacht zu haben, sieht anders aus. Viel schwerer wiegt aber, dass er mit dieser Frage etwas suggeriert, was das Gericht ja gerade nicht gesagt hat. Einer der Gründe, weshalb diese Verordnung Grundrechte verletzte, war ja gerade, weil sie viel zu unbestimmt war und eben nicht nur auf Ultras zielte. Ganz nach Wortlaut hätte es ja sogar in letzter Konsequenz bedeutet, dass selbst in Darmstadt ansässige Eintracht-Fans sich nicht in der Stadt hätten aufhalten dürfen. Spätestens da hätte jedem auffallen müssen, dass mit dieser Verordnung irgendwas nicht stimmen kann.

Warum trifft Reißer also so eine Aussage? Mehrere Möglichkeiten kommen mir in den Sinn:

1. Reißer hat den Gerichtsbeschluss gar nicht gelesen. Das ist aber eher unwahrscheinlich.

2. Er war von dem Inhalt des Beschlusses kognitiv überfordert. Das wäre persönlich beleidigend und wird daher nicht von mir angenommen, zumal es inhaltlich keinen Unterschied machen würde.

3. Er hat das bewusst falsch dargestellt, um den Beschluss zu diskreditieren. Das wiederum wäre eine Unterstellung, die ich ebenso wenig machen dürfte. Das Einzige, was ich machen kann, ist die Frage stellen, warum man den Beschluss nicht auf dem Rechtsweg angefochten hat, wenn man ihn für so falsch hält. Ihn statt dessen mit einem formalen Trick ignorieren zu wollen, hatte absolut vorhersehbar (!) eine weitere Eskalation der Situation zur Folge. Und von daher ist es egal, warum Reißer das letztendlich so gemacht und gesagt hat, allein aufgrund des letzten Punktes kann es nur den Schluss geben, dass er von dem Amt, das er ausübt, überfordert ist. Ein Ordnungsdezernent, der dazu beiträgt, ordnungspolitisch gefährliche Situationen weiter eskalieren zu lassen, ist fehl am Platz. Er verschärft die Gefahr für die Bürger und hat dem Ansehen der Stadt geschadet, weil man sich deutschlandweit über das Verhalten der Stadt gerade sehr gewundert hat.

Wirklich schlimm ist, dass der Chefredakteur des Darmstädter Echos Reißer jetzt nach dem Mund redet. Er spricht bei der oben zitierten Tatsachenverdrehung von einer „berechtigten Frage, die nicht nur in Darmstadt einmal grundsätzlich geklärt werden sollte“. Er spricht von „abstrakten Verweisen auf Grundrechte“, die nur „denjenigen leicht von den Lippen gehen, die weit genug entfernt wohnen und keine Sorge haben müssen, dass ihnen ein Grundrechtsträger die Scheiben einwirft.“

Dieser Satz ist unerträglich! Es geht nicht um einen „abstrakten Verweis auf Grundrechte“, sondern dass eindeutig Grundrechte massiv verletzt worden wären, wäre die Verordnung aufrecht erhalten geblieben, und zwar nicht nur die Grundrechte gewaltbereiter Ultras. Er sollte sich mal in die Situation des „ganz normalen“ Eintracht-Fans hineinversetzen. Was würde er wohl davon halten, wenn er die Stadt Frankfurt nicht betreten dürfte, weil die das Auftauchen einer Gruppe gewaltbereiter Darmstädter befürchtet? Sippenhaft gibt es in einem Rechtsstaat eben nicht, und außerdem: nulla poena sine culpa, googlen sie’s, Herr Hennemann!

Im letzten Absatz suggeriert Hennemann dann statt dessen aber, dass es irgendeine Form von Rechtsunsicherheit in dieser Sache gäbe, wenn er von „notwendigen grundsätzlichen Betrachtungen“ spricht, die nun „Rechtsgelehrte“ übernehmen müssten. Dabei ist das längst geschehen, deshalb war der Beschluss des Verwaltungsgerichts ja auch so eindeutig.

Es ist auch keineswegs so, wie Reißer und Hennemann suggerieren, dass die Grundrechte „normaler Menschen und Gewerbetreibende“ (wie Reißer es formulierte) weniger geschützt werden würden als die von „Hooligans“. Die Polizei hat auch ganz ohne diese rechtsstaatswidrige Verordnung bereits am Hauptbahnhof eine ganze Gruppe als gewaltbereit bekannte Frankfurter Ultras wieder zurückschicken können. Auch ohne diese Verordnung hatte man also die notwendigen Mittel zur Gefahrenabwehr. Dass es trotzdem gewaltbereite Ultras in die Innenstadt geschafft haben, zeigt dagegen, dass auch diese rechtsstaatswidrige Verordnung das nicht hätte verhindern können, weil das Leute sind, die sich über so was ohnehin hinwegsetzen. Man hätte den Rechtsstaat also für rein gar nichts aufgegeben.

Letztendlich aber gibt Hennemann allen anderen die Schuld außer Reißer: dem DFB, Eintracht Frankfurt und selbst die 98er-Fans und zwar ausdrücklich nicht nur die Ultras, sondern – noch mal Sippenhaft – alle auf der Haupttribüne, denen er „Paviangehabe“ unterstellt. Das ist in meinen Augen eine eindeutige Beleidigung von Leuten, die sich einfach nur ein Fußballspiel angesehen haben.

Sicherlich kann man darüber diskutieren, ob das Stadionverbot nicht eher kontraproduktiv war. Man kann auch darüber diskutieren, ob die Vereine und die Fanorganisationen mehr tun könnten, um die Sache zu deeskalieren. Aber das Widersinnige dabei ist, dass man solche Forderungen stellt, kurz nachdem man Reißer für Handlungen, die zweifelsfrei zur Eskalation beigetragen haben, noch verteidigt hat. Man verlangt mehr Bemühungen zur Deeskalation und propagiert gleichzeitig die Eskalation. Das Stadionverbot war falsch, aber das Innenstadtverbot richtig? Das gibt keinen Sinn. Der Kommentar hat also schon in seiner eigenen Argumentation keinerlei Logik. Gut, ein Kommentar muss das nicht unbedingt haben, wenn es dabei aber um so etwas Elementares wie den Rechtsstaat geht, sind solche Argumentationen gefährlich.

Etwas bizarr ist der Hinweis im letzten Satz auf den Oberbürgermeister. Der zuständige Dezernent ist Reißer. Und auch wenn der Oberbürgermeister eine hervorgehobene Stellung hat, Hessen hat eine Magistratsverfassung. Vielleicht sollte man sich erst mal darüber informieren, was das bedeutet, bevor man politische Kommentare schreibt.

Nachtrag 18.30 Uhr: wem das alles – wie Herrn Hennemann – zu abstrakt ist, für den gibt es jetzt auch eine ganz konkrete Zahl des Schadens, den in erster Linie Reißer zu verantworten hat: auf mindestens 120.000,00 Euro an Anwalts- und Gerichtskosten muss sich die Stadt einstellen, meldet die Hessenschau. Da dort von etwa 250 Anträgen die Rede ist, ist nur ein kleiner Bruchteil davon Kosten für die 6 zunächst stattgegebenen Anträge. Der Rest ist allein dadurch verursacht, dass Reißer nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts an der Verordnung festhielt. Aus dem Bericht der Hessenschau lässt sich auch vermuten, dass es nur der Druck der Polizei war, der Reißer dazu brachte, am Samstag Morgen umzuschwenken. Sonst wären noch viel mehr Kosten entstanden. 120.000,- Euro, was man damit alles hätte machen können? Wenn das für Reißer keine Konsequenzen hat, ist das ein Skandal. Und mit Konsequenzen meine ich nicht die angekündigte Aussprache mit dem Verwaltungsgericht.

Nachtrag 03. Mai 2016: Das Verwaltungsgericht hat die vermutlichen Kosten zwischenzeitlich präzisiert. Demnach gab es insgesamt 303 Eilanträge, wobei 8 davon doppelt waren (also keine Kosten für die Stadt verursachen). Die Kosten für die Stadt liegen bei knapp 165.000,- €. Also, wenn ein Normalbürger in einem Beruf so einen Schaden verursachen würde, wäre es mit einer Aussprache mit dem Verwaltungsgericht allein wohl nicht getan. Aber sind ja nur Steuergelder…

7 Responses to Wenn die freie Presse rechtsstaatswidriges Verhalten verteidigt… – Update

  1. Vollkommen richtig, eine Ansammlung von Dilettantismen.

    Zu vertiefen bleibt die Frage nach der Zuständigkeit der Verursacher, und da fällt es mir leicht zu fordern, Veranstaltungen, die derartige Randale zur Folge haben, wenn schon nicht abzusagen, dann doch jedenfalls ihre Veranstalter mit allen Konsequenzen haftbar zu machen (ich weiß kaum, wie ein Fußball aussieht, es interessiert mich auch nicht).

    Offenbar hat ja Stadionverbot nicht die erwünschte Wirkung, wirkt vielleicht sogar kontraproduktiv (weil die Hooligans dann in Fußgängerzonen Passantinnen belästigen statt sich miteinander im Stadion zu prügeln). Dann muss es halt Spielverbote geben.

  2. Peter Edelmann says:

    Vereine wie Eintracht Frankfurt und der SV Darmstadt 98 sind, was die Profisparte Fußball angeht, in allererster Linie Wirtschaftsunternehmen, die in der Regel ohnehin stark subventioniert werden. Alleine die Übertragungsrechte durch die „öffentlich-rechtlichen“ TV-Sender verschlingen Unsummen öffentlicher Gelder. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, daß das Recht auf frei zugängliche Fußballübertragungen im Grundgesetz festgeschrieben wird.
    Nur so ist, denke ich, nachvollziehbar, daß Grundwerte kurzerhand außer Kraft gesetzt werden sollen, um ein Fußballspiel zu ermöglichen. Es hätte schlicht auch abgesagt werden können (und müssen), war denn die Gefahrenlage für die Normalbevölkerung derart groß.
    Der Ordnungsdezernent der Stadt Darmstadt traute sich an den hochgehypten SV 98 wohl nicht heran. Aus guten Gründen, wie zu vermuten ist. Denn es gilt schon als sehr unfein, nicht Fan der „so tapfer kämpfenden Außenseiter“ zu sein, die das Original St. Pauli anscheinend beerben wollen, ohne ausgerechnet links zu sein.
    Vom Echo anderes zu erwarten, lieber Bernd, zeugt von einer hohen Leidensfähigkeit. Respekt! Meine Erwartungen, so es sie denn gab, hat der Herr Chefredakteur in vollem Umfang erfüllt.

  3. Carsten says:

    Jenseits der Abwägung der Grundrechte und der fachlich-juristisch magelhaftigen Arbeit des Ordnungsamtes gibt es meine Meinung nach ein noch schwerer wiegendes Problem: Das ein hauptamtlicher Ordnungsdezernent und CDU-Mitgleid die Prinzipien des Rechtsstaats enfach vom Tisch wischt und dagegen polemisiert (und damit AfD und NPD zuarbeitet):

    http://neunmalsechs.blogsport.eu/2016/die-selektive-rechtsstaatlichkeit-des-rafael-reisser/

  4. R.A. says:

    Es ist insgesamt schwierig zu sagen, wie man am besten mit dem Randalierer-Problem umgehen kann. Man muß leider konstatieren, daß es da in Deutschland generell ein Defizit beim Gesetzesrahmen und dem Vollzug gibt (siehe an eben diesem Wochenende in Plauen und Stuttgart).

    Man kann also auch diskutieren, ob ein besser formuliertes Stadtverbot möglich oder sinnvoll gewesen wäre. Man könnte auch noch zugestehen, daß Reißer mit seinem Verbot wenigstens versucht hat, das Problem anzugehen – dann bliebe höchstens Kritik an der fachlichen Umsetzung.

    Aber der Knackpunkt ist, KEINE Berufung einzulegen und dann am Verbot festhalten zu wollen.
    Das bedeutet nämlich daß die Stadt anerkennt, daß das Gericht recht hat. Und daß der Ordnungsdezernent ganz bewußt und in Kenntnis der Unrechtmäßigkeit ein illegales Vorgehen anordnet.
    Und da bin ich bei Carsten: Ein Ordnungsdezernent (egal welcher Partei) darf nicht so krass gegen die Regeln des Rechtsstaats verstoßen.

    • Man kann also auch diskutieren, ob ein besser formuliertes Stadtverbot möglich oder sinnvoll gewesen wäre.

      Ein reines „Stadtverbot“ sicher nicht, aber es wäre wohl möglich gewesen, z.B. provokantes Zeigen von Fanutensilien oder provokante Sympathiebekundungen für die Eintracht zu verbieten – allerdings eher auch nicht für 36 Stunden, sondern nur im unmittelbaren Zeitraum um das Spiel herum. So hätte man im Prinzip dasselbe erreicht wie das, was mit der Verordnung bezweckt war. Sinnvoll wäre aber auch das nicht gewesen, denn die Ultras sind ja organisiert und wären dann natürlich ohne offen getragene Fanutensilien nach Darmstadt gekommen. So ein Verbot ist doch für so Leute eher eine Herausforderung als eine Abschreckung.

      Ein vorübergehender Platzverweis gegenüber einschlägig bekannte Ultras wäre auch ohne jede Verordnung drin. Das hätte natürlich auch eine Art Innenstadtverbot für diese Person zur Folge. Nur allgemein auf eine unbestimmte Gruppe geht einfach nicht.

  5. Stefan Opitz says:

    Nur ein Kommentar zum Oberbürgermeister: Der weilt seit Mittwoch morgen ganz offiziell u.A. in San Antonio zum Abschluß einer Städtefreundschaft. Nicht ganz aus der Welt, aber auch nicht permanent am Handy.

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