Blöde Details

Ich hab grad mal wieder einen Blick in Wikipedia geworfen und mir den aktuellen Stand der Artikel rund um den Frankenstein/Dippel-Mythos angesehen, was immer wieder irgendwo zwischen haarsträubend und urkomisch ist. Man wundert sich aber schon ein bisschen, wie scheißegal manchem Geisteswissenschaftler offenbar schnöde Fakten sind. So liest man auf Wikipedia unter anderem:

Die Literaturwissenschaftlerin Miranda Seymour weist darauf hin, dass Mary Shelley in ihrem Tagebuch kurz nach ihren Reisen durch die Region um Burg Frankenstein von „gods [making entirely] new men“ spricht. Sie hält den Zusammenhang für mehr als lediglich zufällig.
http://de.wikipedia.org/wiki/Frankenstein_(Roman)#cite_ref-21

Mal abgesehen davon, dass es mir sehr schwerfällt, irgendeinen Zusammenhang zwischen der Aussage: „Gott schafft völlig neue Menschen“ und „Johann Konrad Dippel ist das Vorbild Frankensteins“ zu sehen, stimmt die Behauptung einfach nicht. Shelley schreibt am 28. August 1814 (also bereits Tage bevor sie den viel diskutierten Aufenthalt in Gernsheim hat):

[…] and there surveyed at our ease the horrid and slimy faces of our companions in voyage; our only wish was to absolutely annihilate such uncleanly animals, to which we might have addressed the boatman’s speech to Pope: „‚Twere easier for God to make entirely new men than attempt to purify such monsters as these.“ After a voyage in the rain rendered disagreable only by the presence of these loathsome creepers we arrive, Shelley [Anm.: gemeint ist Percy Shelley] much exausted, at Dettingen [Anm.: gemeint ist Dottingen im Schwarzwald Korrektur: gemeint ist natürlich Döttingen in der Schweiz, sorry] our resting place for the night.

Man sieht also: der Satz hat gar nichts mit einem monstererschaffenden Frankenstein zu tun. Shelley bezeichnete ein paar Mitreisende aufgrund ihres heruntergekommenen Erscheinungsbilds als „Monster“. Außerdem ist es ein Zitat und stammt ursprünglich gar nicht von ihr. Und dann ist die Behauptung, Shelley hätte diese Aussage „kurz nach ihren Reisen durch die Region um Burg Frankenstein“ getroffen, schlicht falsch. Es war vorher.

Es ist schon reichlich verwunderlich, wie sehr offenbar so viele Menschen krampfhaft wollen, dass Shelleys Roman ein konkretes historisches Vorbild hat. Als wenn sich dadurch etwas an der Qualität des Werkes ändern würde…

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