Der Ursprung Darmstadts – Teil 2

zu Teil 1

Bewaffnete Förster

Nachdem man Darmstadt – rein spekulativ – zur Gründung eines Franken namens Darmund erklärt hatte, ließ man der Fantasie nun völlig freien Lauf. Darmund wurde bald – ohne Erklärung warum – meistens Darimund geschrieben. Und man beließ es keineswegs bei dieser kleinen Variation. Darimund wurde zum Wildhübner des Wildbanns Dreieich erklärt, dessen Wildhube dort gestanden haben soll, wo heute das Schloss steht. Darmstadt hätte damit seinen Ursprung nicht etwa in einer gezielten Besiedlung, mit der die Franken ihr neu erobertes Gebiet sichern wollten, sondern in der königlichen Freizeitgestaltung. Darmstadt wäre entstanden, weil der König bzw. Kaiser hier auf die Jagd gehen wollte.

Diese Auffassung hält sich hartnäckig. Auf der offiziellen Internetpräsenz der Stadt Darmstadt liest man:

Wahrscheinlich bedeutet der Name: „Wohnstätte des Darmund“, unter dem wir uns einen bewaffneten kaiserlichen Forstbeamten vorstellen können.
(http://www.darmstadt.de/en/standort/stadtportraet/geschichte/index.htm)

Darmund, ein bewaffneter kaiserlicher Forstbeamte? Eine genaue Analogie für das, was ein Wildhübner war, ist schwierig. Das Bild eines bewaffneten Forstbeamten ist aber eher schräg. Dem Wildbann stand ein Vogt vor und die Wildhübner kann man am ehesten als politische Einheit unterhalb des Vogtes sehen, deren Aufgabe in erster Linie darin bestand, auf den ihnen zugeteilten Landstrichen dafür Sorge zu tragen, dass der König (und zwar nur der König) dort auf die Jagd gehen konnte und niemand die Rechte des Königs an dem Landstück und den dort befindlichen Tieren und Rohstoffen (vor allem das Holz der Bäume) verletzte. Das klingt zwar tatsächlich ein bisschen nach einem Förster, doch die moderne Vorstellung von einem Förster vermittelt ein falsches Bild. Die Wildhübner waren nicht einfach Beamte, sie waren Lehnsmänner des Kaisers und damit in ihrem kleinen Landstrich die höchste politische Instanz.

Das Weistum von 1338

Tatsächlich wird Darmstadt in einem Weistum als Wildhube des Wildbanns Dreieich genannt. Allerdings stammt dieses Weistum aus dem Jahr 1338, also aus einer Zeit, da der Ort bereits Stadtrechte hatte und am angeblichen Standort der Wildhube die Wasserburg der Katzenelnbogener Grafen stand, die – im Gegensatz zur Wildhube – nachweisbar ist, weil einige wenige Reste noch in der Bausubstanz des Schlosses vorhanden sind.

Zwar sind große Teile des Weistums 1338 lediglich erneuert worden und der Wildbann selbst oder ein Vorläufer davon bestand vermutlich schon im 10., vielleicht sogar im 9. Jahrhundert, wenn die Wildhube jedoch dort stand, wo heute das Schloss steht, dann existierte sie 1338 längst nicht mehr.

Was aber meinte das Weistum dann, als es von der Wildhube Darmstadt sprach? Da in dem Weistum auch die Herren von Münzenberg eine zentrale Rolle spielen, obwohl es diese seit 1255 gar nicht mehr gab (wohl aber Rechtsnachfolger), könnte man annehmen, dass auch die Aufzählung der Wildhuben älter ist. Der Abschnitt scheint sprachlich zwar tatsächlich erst ins 14. Jahrhundert zu gehören, die Ortsnamen könnten jedoch lediglich an die aktuelle Schreibweise angepasst worden sein und somit ebenfalls viel ältere Verhältnisse dokumentieren.

Wenn aber die Wildhube im 14. Jahrhundert nicht mehr zwangsläufig existiert haben muss und somit auch am Standort des Schlosses gestanden haben könnte, so wären dann demnach die Wildhübner im 14. Jahrhundert die Grafen von Katzenelnbogen gewesen und die Wasserburg quasi die Wildhube, die man dem Kaiser dann für dessen Jagdleidenschaft hätte öffnen müssen und die den Regelungen des Weistums unterworfen gewesen wäre. Das jedoch ist ausgeschlossen!

Wo aber stand die Wildhube dann?

Sofern wir nicht davon ausgehen, dass die 1338 erwähnte Wildhube nur „virtuell“ als Relikt in einer anachronistischen Aufzählung existierte, kann sie nicht im mittelalterlichen Darmstadt gestanden haben. Der wahrscheinlichste Kandidat dürfte vielmehr das 1399 erwähnte Einsiedel-Rod gewesen sein. Dieses befand sich dort, wo heute das Jagdschloss Kranichstein steht und damit auf Darmstädter Gemarkung. Schon bei der Ersterwähnung 1399 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der dort mit dem Einsiedel-Rod belehnte Henne Cranich von Dirmstein, nach dem der Ort daraufhin Kranichsrod genannt wurde, als Jäger für die Grafen von Katzenelnbogen tätig gewesen ist. Man kann also von einer konstanten Nutzung als Jagdhaus ausgehen und da es keinen anderen plausiblen Kandidaten für die Darmstädter Wildhube gibt, erscheint es schlüssig, dass die Wildhube Darmstadt mit dem späteren Einsiedel-Rod identisch ist.

Das aber bedeutet, dass die Wildhube nicht die Keimzelle des Ortes Darmstadt gewesen sein kann, denn dazu war das Einsiedel-Rod viel zu weit vom mittelalterlichen Ort entfernt. Dass Darmstadt aus einer Wildhube des Wildbanns Dreieich entstanden ist, ist also auszuschließen. Bleibt die Frage, ob dann nicht wenigstens der Ortsname auf einen Adligen namens Darmund zurückgeht.

Zweifelhafte Zirkelschlüsse

Ohne den Wildhübner gibt es dafür natürlich deutlich weniger Argumente. Im Kern bleiben nur zwei. Das eine ist, dass der Name Darmund in dem Namen Darmundestat enthalten zu sein scheint. Wie wir später (in Teil 3) sehen werden, ist das aber keineswegs ausschließlich als Personenname deutbar. Außerdem waren althochdeutsche Personennamen keine willkürliche Anordnung von Buchstaben gewesen, sondern meist aus zwei Gliedern zusammengesetzt, die eine ganz konkrete Bedeutung hatten (hier eine Seite zu dem Thema). Statt des Personennamens könnte also auch die ursprüngliche Bedeutung der Namensglieder gemeint gewesen sein.

Das zweite Argument ist, dass es geläufigen Ortsnamenskonventionen in Südhessen entspräche, d.h. dass die meisten -stat-Orte Südhessens nach der Formel Personenname + stat gebildet worden sind.  Tatsächlich finden sich in Südhessen eine ganze Reihe eng beeinander liegende Orte, die allesamt diese Endung aufweisen und deren Namen auf Personennamen zurückgeführt werden: neben Darmstadt gehören dazu Pfungstadt (Ersterwähnung 785 als Phungestat), das auf einen Pungo zurückgehen soll, Weiterstadt (948 Widerestat), gegründet von einem Wido, Eberstadt (782 Eberstat), gegründet von einem Ebar oder Ebur, eine Kurzform von Eberhard, (Nieder-)Ramstadt (1194 Ramestat), gegründet von einem Ramis oder Hramis und der heute verschwundene Ort Otterestat (modern müsste man es wohl Otterstadt nennen), gegründet von einem Otto.

Das Ganze ist aber ein Zirkelschluss: der Name Pfungstadt soll auf einen Personennamen zurückgehen, weil die Namen Darmstadt, Eberstadt und Weiterstadt auf Personennamen zurückgehen. Der Name Darmstadt soll auf einen Personennamen zurückgehen, weil die Namen Eberstadt, Weiterstadt und Pfungstadt auf Personennamen zurückgehen. Und so weiter. Außerdem ist diese These inkonsequent. So soll beispielsweise der jeweilige Fugenlaut e grammatikalisch auf einen Personnamen schließen lassen. Es heißt nicht Darmundstat, sondern Darmundestat, nicht Pungostat, sondern Phungestat, nicht Widostat, sondern Widerestat, nicht Ottostat, sondern Otterestat. Wären z.B. bei den beiden letzteren die Tiere Widder und Otter gemeint gewesen, wäre eher Widerstat und Otterstat zu erwarten, ohne e.

Keine eindeutige Namenskonvention

Doch gerade bei Eberstadt, dem am frühsten erwähnten dieser Orte fehlt der Fugenlaut. Trotzdem soll ein Ebar den Ort gegründet haben. Das aber ist keine schlüssige Argumentation, sondern Willkür. Außerdem stimmt auch an der Prämisse etwas nicht. Analog zu Babenhausen, das auf den Personennamen Babo zurückgehen soll, wäre bei nach einem Otto und einem Wido benannten Orten eher Oddenstat und Widenstat zu erwarten. Eberstadt, Otterstadt, Weiterstadt und vielleicht auch Ramstadt (hram/althochdeutsch = der Rabe) könnten genauso gut auf Tiernamen zurückgehen, ähnliche an Tiernamen erinnernde Namensformen bei auf -stat endenden Orten finden sich in der Wetterau nahe des Glaubergs, unter anderem auch ehemaliges alemannisches Siedlungsgebiet (aber auch keltisches und fränkisches).

Pfungstadt ist ebenfalls keineswegs eindeutig auf einen Personennamen zurückzuführen. Die älteste Namensform Phungestat erinnert mit ihrem ph-Laut eher an das althochdeutsche phung (Geldbeutel) als an den Namen Pungo und bezieht sich vielleicht auf einen Handelsplatz oder ähnlich wie bei Crumstadt auf die ursprüngliche „Form“ des dörflichen Grundrisses. Außerdem war Pungo auch der geläufige Name der Bachbunge, deutlich geläufiger jedenfalls als der Personenname Pungo. Und zwei weitere stat-Orte in unserer Gegend, Stockstadt und Crumstadt, haben eindeutig Sachbezug und gehen zweifelsfrei nicht auf Personnamen zurück.

[weitere, neuere Ausführungen zu den Ortsnamen, auch zu Darmstadt, gibt es -> hier]

Aber was ist dann der oder das oder die Darmund? Um Alternativen zur Personennamenhypothese wird es in Teil 3 gehen, festzustellen ist, dass das Argument, Darmstadt müsse auf einen Personennamen zurückgehen, weil das den Gepflogenheiten für Orte mit dem Suffix -stat in unserer Gegend entsprach, bei naher Betrachtung fragwürdig ist: Stockstadt, Crumstadt, Pfungstadt, Eberstadt, Weiterstadt, Otterstadt, Ramstadt, die Orte in direkter Umgebung Darmstadts sind alles andere als eindeutig auf Personennamen zurückgehend. Das Hauptargument, Darmstadt würde sich mit einer Ableitung von einem Personennamen einer allgemeinen Norm unterwerfen, ist daher nichtig.

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