Zur OB-Wahl (Teil 1): ein seltsames Konstrukt

Die anstehende OB-Wahl ist dieses Mal an mir bisher größtenteils vorbeigegangen. Ich habe die Berichterstattung im Echo und im Tagblatt verfolgt und natürlich sind mir die Plakate nicht entgangen, ansonsten aber war ich diesmal wohl etwas demokratiefaul.

Da ich aber die politischen Positionen der meisten Kandidaten kenne, weil sie schon lange in der Darmstädter Kommunalpolitik herumwerkeln, ist meine Meinungsfindung trotzdem nicht allzu kompliziert, so dass ich auch so nur noch zwischen zwei Kandidaten/innen schwanke.

Die Oberbürgermeister-Direktwahl in Hessen ist ein seltsames Konstrukt, das seinerzeit – so zumindest eine häufige Interpretation – ein Wahlkampfmanöver der CDU für die Landtagswahl 1991 war. Damit trug man zwar dem Wunsch der Bevölkerung nach mehr Mitbestimmung Rechnung, strukturell ist die ganze Geschichte aber, wenn man ehrlich ist, eigentlich Quatsch, denn in Hessen ist der Magistrat ein Kollegialorgan, d.h. der Oberbürgermeister muss auch Beschlüsse des Magistrats mittragen, die er selbst abgelehnt hat. Im Extremfall kann das dazu führen, dass der Oberbürgermeister politisch genau das Gegenteil von dem umsetzen muss, was er eigentlich machen wollte und der Bevölkerung im Wahlkampf versprochen hat.

Niemand hat mehr demokratische Legitimation als eine direkt gewählte Person. Genau aus diesem Grund wird ja die regelmäßig ins Gespräch gebrachte Direktwahl des Bundespräsidenten immer wieder abgelehnt, weil es ihm mehr Legitimation geben würde als dem indirekt über das Parlament gewählten Kanzler.

Politikwissenschaftlich stimmt das allerdings nicht, eine parlamentarische Demokratie ist nicht weniger Demokratie als eine direkte, lediglich die Methode der Feststellung des Willens des Souveräns ist anders. Während bei der direkten Demokratie die Meinung der Bevölkerung lediglich abgefragt wird, ohne zu klären, wie diese nun erst interpretiert und dann in politisches Handeln umgesetzt werden soll, ist es bei der parlamentarischen Demokratie so, dass die Bevölkerung Vertreter wählt, die in deren Namen und Auftrag einen Kompromiss aushandeln, der auch in praktisches politisches Handeln umgesetzt werden kann.

Beide Systeme haben Vor- und Nachteile, die direkte Demokratie gibt der Bevölkerung das Gefühl von mehr Einfluss und sorgt daher für größere Akzeptanz des politischen Handelns, birgt aber die größere Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft. Die parlamentarische Demokratie ist konfliktärmer, effektiver und berechenbarer, trägt aber die Gefahr oligarchische Züge anzunehmen und die Legitimation bei der Bevölkerung (sprich dem Souverän) zu verlieren.

Von daher spielt man mit der Dezernentenwahl über die Stadtverordnetenversammlung auf der einen und der Direktwahl des Oberbürgermeisters auf der anderen Seite eigentlich zwei Demokratiesysteme gegeneinander aus. Dass das nicht zu vollständigem Chaos führt, liegt lediglich daran, dass sich Mehrheitsverhältnisse in Städten nur selten von heute auf morgen ändern und so mit dem direkt gewählten Oberbürgermeister meist auch die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung leben kann.

Es gibt dennoch auch Dinge, die man an diesem an sich widersinnigen System positiv sehen kann. Zum einen repräsentiert der Oberbürgermeister die Stadt deutlich mehr als der Rest des Magistrats, er ist sozusagen das Gesicht der Stadt. Dass man da die Bevölkerung auch mal direkt fragt, ist durchaus sinnvoll. Das ist auch eine der wenigen Fragen, wo man nicht irgendeinen Kompromiss aushandeln sollte. Allerdings muss jedem dabei klar sein, dass das dann völlig frei von irgendwelchen politischen Inhalten ist.

Der wichtigere Punkt, der für die Direktwahl spricht, ist daher, dass man der Bevölkerung dadurch die Möglichkeit zu einem politischen Statement gibt. Das kann sowohl für oder gegen die bisherige Arbeit des Magistrats gewertet werden oder als Korrektur, wenn bestimmte Personen nur aus Partei- und/oder Koalitionsräson auf ihren Posten kommen oder bleiben sollen. Es wäre z.B. sehr spannend zu sehen, wie die Wahl ausgehen würde, würde Reißer wieder auf dem Zettel stehen.

Und was auch nicht unterschätzt werden darf, sind die nicht planbaren Entwicklungen. Würde es heute beispielsweise Uffbasse überhaupt geben, hätte Dillmann seinerzeit nach Einführung der Direktwahl nicht als Oberbürgermeister antreten können? Darmstadt wäre ohne die Direktwahl des Oberbürgermeisters heute eine andere Stadt. Nicht planbare Einflüsse dieser Art, die Änderungen rein formaler Entscheidungsfindungen mit sich bringen, sind schwer kalkulierbar und grundsätzlich unterschätzt.

So, und eigentlich sollte das alles nur als kurze Einleitung für einen Beitrag dienen, der sich damit auseinandersetzt, wie sich das Bürgermeisteramt in Darmstadt historisch seit dem Mittelalter entwickelt hat. Da die Einleitung aber jetzt zu lange für eine Einleitung geworden ist, kommt das in einem neuen Eintrag, den ich hoffentlich auch heute oder morgen noch fertig bekomme.

3 Responses to Zur OB-Wahl (Teil 1): ein seltsames Konstrukt

  1. Marc says:

    Der Bürgermeister oder Oberbürgermeister gilt immer als das Stadtoberhaupt. Aber das ist genaugenommen der Vorsitzende der Gemeindevertretung. Nur ist der offzielle Name „Stadtverordnetenvorsteher“ oder „Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung“ viel zu trocken. In Italien heißen die Posten „Presidente“ und das klingt ja schon ganz anders.

  2. Pingback: Bürgermeisterwahl Darmstadt 2017 | Neun Mal Sechs

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