Riwwelmatthes

Im Darmstädter Herrngarten steht ein ulkiges Denkmal (das zu meinem Erstaunen sogar einen Wikipedia-Eintrag hat: link). In einem kleinen Turm aus rotem Sandstein steht ein vollbärtiger, germanischer Krieger mit obligatorischem, historisch aber ziemlich fragwürdigem Hörnerhelm. Dazu präsentiert der Germane seinen nackten Oberkörper, während er mit einem überdimensionalen Schild die untere Hälfte seines Körpers bedeckt. Das Schwert in seiner Hand wirkt dagegen etwas klein und wenig bedrohlich – und irgendwie fragt man sich, ob er wohl auch untenrum nackt ist.

Theorien zur Namensherkunft

Im Volksmund erhielt das Denkmal den Namen Riwwelmatthes, auch Riwwelmaddhes oder Riwwelmaddes geschrieben. Warum, da ist man sich nicht ganz einig. Es gibt viele Theorien, von denen keine so recht überzeugen kann. Am geläufigsten ist die Erklärung, dass ein Veteran namens Matthias Riebel Modell gestanden haben soll und dessen Gesichtszüge bei der Enthüllung des Denkmals von einem Kameraden erkannt wurden, der daraufhin laut im schönsten Darmstädter Dialekt gerufen haben soll: „Dess iss ja de Riwwel Maddes!“

Eine andere Theorie nennt einen angeblichen Bäcker namens Matthes, der für seinen Riwwelkuchen bekannt gewesen wäre und Modell für das Denkmal gestanden haben soll. Doch weder ein Matthias Riebel noch ein Bäckermeister mit dem Vornamen Matthes ist im Darmstädter Adressbuch aus dieser Zeit zu finden. Ohnehin klingen beide Theorien schon rein erzählerisch sehr nach später entstandenen, volkstümlichen Erklärungen.

Wieder andere Erklärungen behaupten, der Name stamme von dem Dialektbegriff „Riwwel kriege“ ab, was so viel wie eine Abreibung bekommen bedeuten soll, wohl eine Anspielung auf verlorene Schlachten.

Noch eine Theorie behauptet, dass das Schwert einmal abgebrochen war und die Hand des Riwwelmatthes allein aussah, als würde sie Geld zählen, was im Dialekt ebenfalls „riwweln“ heißen würde. Ich habe aber weder dafür, dass das Schwert einmal abgebrochen war, noch für die Bedeutung des Dialektbegriffs eine zuverlässige Quelle finden können.

Wann entstand der Name?

Als schwierig erweist sich schon die Frage, wann denn dieser Spitzname für das Denkmal überhaupt entstanden ist. Laut dem Stadtlexikon Darmstadt wurde der Begriff erst 1927 geprägt, doch schon eine einfache Suche bei Google Books bringt einen Treffer für das Jahr 1914. Da ging es in der Zweiten Kammer des Landtages um Darmstädter Denkmäler und dabei auch um den „sogenannte(n) Riwwelmatthes“. Karl Bader, der 1901 kein gutes Haar an dem Denkmal lässt, scheint den Namen Riwwelmatthes dagegen noch nicht gekannt zu haben, was wohl die Erklärungen, dass es auf den Namen des Modells zurückgeht, noch unwahrscheinlicher macht.

Von Anfang an ein Spottobjekt?

Die kurios unhistorische Darstellung eines Germanenkriegers folgt einigen typischen Klischees, die im 19. Jahrhundert vorherrschten und sich auch im Hermannsdenkmal oder in den Opern von Wagner widerspiegeln. Anders als es die spätere Legende behauptet, war man jedoch nicht schon bei der Enthüllung des Denkmals im Jahr 1852 über diese Präsentation amüsiert. Immerhin gedachte man mit diesem Denkmal den in den Koalitionskriegen (1792 – 1815) gefallenen großherzoglichen Soldaten, von denen gewiss eine Menge Angehörige noch in der Stadt lebten. Spott wäre da unangebracht gewesen, zumal die heute so komisch wirkende Darstellung des Germanenkriegers damals, lange Zeit vor Asterix, auf die Leute noch nicht so lustig wirkte.

Ein Monstrum von Hässlichkeit

Aber Meinungen können sich ändern. Und beim Riwwelmatthes geschah dies besonders schnell. Schon fünfzig Jahre nach seiner feierlichen Enthüllung war den Darmstädtern das Denkmal so peinlich geworden, dass sie es von seinem ursprünglichen Standort auf dem Marienplatz entfernten und in den Herrngarten verfrachteten, wo man hoffte, dass es zwischen den Bäumen nicht mehr so unangenehm auffallen würde. Ungewöhnlich hart für die damalige Zeit wurde der Riwwelmatthes als „schreiender Misston“, „Monstrum von Hässlichkeit“, „vollkommenes Schandmal“ und „bauliche wie geistige Missgeburt“ bezeichnet.

Warum dieses scharfe Urteil? Weil das Denkmal tatsächlich abgrundtief hässlich ist? Der Meinung kann man sein, doch auch andere Denkmäler in Darmstadt sind nicht gerade eine Offenbarung der Schönheit. Die Statuen der beiden Landgrafen Philipp und Georg beispielsweise zeugen auch nicht von überwältigendem Geschmack und man ist schon ganz froh, dass die da in einer ziemlich dunklen Ecke unauffällig vor sich hin modern statt irgendwo, wo einem dieser Anblick ständig ins Auge stechen würde. Darüber gab es aber keine Beschwerden. Warum war man also ausgerechnet beim Riwwelmatthes so aufgebracht?

Es gibt einen großen Unterschied zwischen der heutigen Beurteilung des Riwwelmatthes und jener im späten 19./frühen 20. Jahrhundert. Heute wirkt das Denkmal eher skurril und unfreiwillig komisch. Das liegt allerdings hauptsächlich daran, dass der Riwwelmatthes uns irgendwie an den Zeichenstil der Asterix-Comics erinnert, was daran liegen könnte, dass sich Albert Uderzo, der Zeichner von Asterix, beim Aussehen seines gallischen Kriegers an Vercingetorix-Denkmälern aus dem 19. Jahrhundert orientierte, die einem ähnlichen Darstellungsstil folgten wie der Riwwelmatthes.

Die ursprüngliche Kritik an dem Denkmal klingt aber nicht wie ein sich über ein misslungenes Kunstwerk lustig machen, sondern es klingt nach großer Wut. Das Denkmal wurde nicht nur beschimpft, sondern es wurde auch regelmäßig mit Steinen beworfen. Woher kam diese Wut?

Kein Kuriosum, sondern ein Politikum

Bei der Beantwortung dieser Frage verlassen wir plötzlich den Schmunzelbereich und sind unversehens in den düstersten Gefilden. Karl Bader zitiert 1901 nämlich nicht nur die oben genannten abschätzigen Bemerkungen über das Denkmal, sondern auch das gefordert wurde, das „Rheinbund-Denkmal“ zu entfernen. Viele der Schlachten, denen der Riwwelmatthes gedenkt, waren Schlachten zu der Zeit, als das Großherzogtum Hessen als Mitglied des Rheinbundes an der Seite Frankreichs kämpfte, dessen Hauptgegner in dieser Zeit Preußen war.

Der Riwwelmatthes war in einer Zeit der antipreußischen Stimmung in Darmstadt entstanden, die auch für einige Jahre noch anhielt. 1866 waren im Rahmen des Deutschen Krieges großherzogliche Truppen gegen Preußen in die Schlacht gezogen, Darmstadt von preußischen Truppen besetzt und der Hof vorübergehend nach München geflohen. Obwohl das Großherzogtum formal unabhängig blieb, wurde die Provinz Oberhessen dem von Preußen dominierten Norddeutschen Bund eingegliedert und großherzogliche Truppen mussten fortan an der Seite Preußens kämpfen. Die antipreußische Stimmung in Darmstadt hielt trotzdem weiter an, pro-preußische Abgeordnete im Landtag wurden bei Wahlen abgestraft, der Wahlkampf auf die Formel hessisch oder preußisch zugespitzt. Es ist von daher auch sehr unwahrscheinlich, dass das Denkmal schon zu dieser Zeit Spott auf sich zog. Im Gegenteil, es dürfte als erhobener Mittelfinger in Richtung Preußen wahrgenommen worden sein.

Mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der Reichsgründung 1871 änderte sich die Stimmung schlagartig. Frankreich wurde als äußere Gefahr stilisiert und das preußische System stieß urplötzlich auf breite und nachhaltige Zustimmung, so dass man den einst verhassten Bismarck 1890 sogar zum Ehrenbürger Darmstadts ernannte und ihm 1906 (also nur kurz nach der Verbannung des Riwwelmatthes in den Herrngarten) gar ein Denkmal an prominenter Stelle setzte. Der Riwwelmatthes stand nun aber für die franzosenfreundliche Vergangenheit Darmstadts, mit der man im neu gegründeten Reich nichts mehr zu tun haben wollte.

Daher also kam die große Wut gegenüber dem Denkmal, eine Wut, die sich schon bald im 1. Weltkrieg entladen sollte.

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