Der Ursprung Darmstadts – Teil 4 und Fazit

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Was lässt sich nun aus all diesen Ideen und Spekulationen schlussfolgern?

Zunächst, dass es eine eindeutige Antwort auf die Frage, wer Darmstadt wann gegründet hat, nicht gibt. Die Informationen aus dieser Zeit sind einfach zu spärlich. Dennoch ist es nicht so, dass man diese Frage mit einem Schulterzucken und einem „Nix-genaues-weiß-man-nicht“ abtun muss, denn einiges ist schon mit einem ausreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit festzustellen.

So lässt sich Darmstadt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entweder den Alemannen oder den Franken zuordnen. Beide Kandidaten erklären aber nicht alle Fakten. Bei den Franken ist es vor allem die auffällige Tatsache, dass das stat-Suffix gar nicht fränkisch zu sein scheint. Bei den Alemannen ist das Problem, dass diese ursprünglich auch dort in Südhessen siedelten, wo auffälligerweise keine Stat-Orte existieren. Hier mal eine Skizze zur Verdeutlichung (zum Vergrößern anklicken):

Die rot markierten Orte sind Orte, die ursprünglich auf das Suffix -stat endeten, die schwarzen sind nur zur besseren Orientierung eingezeichnet. Offensichtlich später entstandene „Tochtersiedlungen“ wie beispielsweise Klein-Umstadt habe ich weggelassen, dafür Wüstungen (also „verschwundene“ Orte) soweit möglich hinzugefügt. Man sieht deutlich, dass in dem Gebiet nördlich von Königstädten, Weiterstadt, Darmstadt, Langstadt, etc. eine auffällige Lücke ist. Auch dieser Abschnitt gehörte aber zum alemannischen Gebiet.

Auch nach Süden dünnen die Stat-Orte schnell aus. Teilweise scheinen sie im Vorfeld von Königspfalzen zu liegen, Worms, Trebur und Mainz. Da aber gerade bei Frankfurt die Stat-Orte größtenteils fehlen, scheint hier kein Zusammenhang zu bestehen.

Am auffälligsten ist jedoch eine Kette von Stat-Orten, die zwischen Rhein und Odenwald den Zugang von Norden nach Süden (oder umgekehrt) abriegeln (Stockstadt, Crumstadt, Pfungstadt, Eberstadt, Ramstadt). Vergleichbare Strukturen finden sich bei Orten, die (beispielsweise) auf -heim oder auf -bach enden, nicht. Auch hier fällt zwar auf, dass diese Orte sich in manchen Regionen besonders konzentrieren und in anderen kaum vorkommen, die Verteilung ist jedoch deutlich gleichmäßiger, eben so wie man es bei einer möglichst flächendeckenden Besiedlung oder „Kolonialisierung“ erwarten würde.

Besonders schön ist die Verteilung der -heim-Orte:

Hier kann man wunderbar sehen, wie die Besiedlung aus Richtung des fränkischen Gebiets erfolgte. Nachdem sich die Franken Südhessen angeeignet hatten, war entweder das Suffix bereits aus der Mode gekommen oder man hielt eine ähnliche Übervölkerung der einheimischen Bewohnern, wie man es jenseits von Rhein und Main offensichtlich getan hat, für nicht notwendig. Mutmaßlich, weil alemannische Aufstände dort keine ernsthafte Gefahr mehr darstellten.

Aber noch etwas fällt auf: auch die -heim-Orte sparen das Gebiet unmittelbar südlich des Mains größtenteils aus, sobald der direkte Einfluss des Flusses nicht mehr gegeben ist. Der Grund, weshalb die Alemannen das -stat-Suffix in diesem Gebiet nicht hinterlassen haben, könnte daher auch ganz einfach sein, dass das Gebiet damals für dauerhafte Siedlungen nicht sehr geeignet war. Das auffällige „Fehlen“ von -stat-Orten könnte also gar nicht so bedeutend sein.

Die Verteidigung des Glaubergs

Ist die scheinbare Struktur der -stat-Orte Südhessens daher vielleicht nur zufällig, weil zum einen manche Gegenden keine guten Siedlungsplätze waren und zum anderen das Stat-Suffix insgesamt relativ selten verwendet wurde? Immerhin neigt der Mensch ja dazu, Strukturen auch dort zu sehen, wo gar keine sind. Gegen diesen Einwand müssen wir uns noch einmal die Stat-Orte in der Wetterau bzw. dem Niddatal genauer anschauen.

Sieht man einmal von dem einen deutlichen Ausreißer nach Norden (Berstadt) ab, so ergibt sich recht deutlich, dass diese Orte entlang einer Linie im Vorfeld des Glaubergs entstanden sein müssen. Mag man bei dem Befund in Südhessen noch auf eine zufällige Struktur schließen können, ist der strategische Hintergrund hier kaum zu leugnen.

Und was ist der Glauberg?

Bekannt ist er vor allem aufgrund seiner Funde aus keltischer Zeit (der sog. Keltenfürst vom Glauberg), doch im 4. und 5. Jahrhundert stand auf dem Glauberg die Höhensiedlung eines alemannischen Kleinkönigs. Später unterhielten zwar auch die Franken dort eine Burg, in Bezug zu den Stat-Orten scheint diese aber nicht gestanden zu haben, denn nach Süden und Osten hin gibt es keine Stat-Orte, nur nach Westen und Norden. Vorgelagerte Siedlungen zum Schutz einer Befestigung sollten aber feindwärts ausgerichtet sein und feindwärts war aus Sicht der Alemannen das Frankenreich, für die Franken war feindwärts eher nach Süden und Osten.

Befestigte Siedlungen

So etwas lässt sich auch bei Darmstadt vermuten. Die ursprüngliche Siedlung östlich des Schlosses stand auf einer Anhöhe, jedoch nicht auf dem höchsten Punkt. Nach Osten hin steigt das Gelände weiter an und zwar noch erheblich. Nach Westen, Norden und Süden hingegen hat man (oder besser gesagt hätte man, wenn die moderne Bebauung nicht wäre) einen wunderbaren Blick weit in das Tiefland hinein. Darmstadt wurde nicht am Osthang des Hügels errichtet, sondern am Westhang, blickte also in die Richtung, aus der die Franken kamen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Ort Altenstadt. Ich habe diesen mit einem Fragezeichen versehen, da es fraglich ist, ob man Altenstadt wirklich zu den übrigen Stat-Orten zählen kann. Der Name bedeutet nämlich tatsächlich nichts anderes als „die alte Stadt“, womit damals allerdings keine Stadt im modernen Sinne, sondern die Überreste eines Römerkastells gemeint waren. Das scheint damals eine übliche Namensbezeichnung gewesen zu sein, denn auch die ehemalige Römersiedlung in Dieburg wurde als Altenstadt bezeichnet.

Altenstadt gehört demnach vermutlich nicht zu den übrigen Stat-Orten. Die Bezeichnung alter Römersiedlungen und -kastelle als „Stadt“ könnte aber dennoch auf einen Zusammenhang in der Bedeutung schließen lassen. Vielleicht wurden damit befestigte Siedlungen bezeichnet, wozu ein Kastell zweifelsfrei gehörte und für die hauptsächlich mit Holz und Lehm bauenden Alemannen wohl auch die aus Stein errichteten „normalen“ Siedlungen der Römer. Eine mittelalterliche Stadt unterschied sich von dörflichen Siedlungen neben einigen anderen Dingen vor allem dadurch, dass sie eine Stadtmauer besaß (oder zumindest das Recht zum Bau einer solchen). Und eine Stadtmauer ist nichts anderes als eine militärische Befestigung.

Es ist daher denkbar, dass sich der althochdeutsche Begriff Stat, der wörtlich lediglich Stätte bedeutete, deshalb zum modernen Stadt-Begriff entwickelte, weil er schon ursprünglich den Befestigungscharakter der Siedlung zum Ausdruck brachte. Allerdings darf man sich das nicht als mit Steinmauern befestigte Anlagen vorstellen, sondern es dürfte sich dabei um einfache Holzverschläge gehandelt haben.

Fazit

Mit Sicherheit wissen wir gar nichts. Am plausibelsten erscheint jedoch, dass Darmstadt ein von den Alemannen gegründeter militärischer Kleinposten gewesen ist, der Teil einer ganzen Verteidigungskette war. Damit müssten wir den Ort in die Zeit des fränkisch-alemannischen Konflikts einordnen, vermutlich also schon ins 6. Jahrhundert oder sogar in die letzten Jahre des 5. Jahrhunderts. Vorher stand eine Suebensiedlung hier und davor dürften Kelten etwas weiter östlich, etwa im Bereich der Rosenhöhe, gesiedelt haben. Eine durchgängige Besiedlung ist aber erst mit den Alemannen als einigermaßen gesichert anzunehmen.

Die einzige Möglichkeit ist es jedoch nicht. Die umgekehrte Konstellation, also dass die Franken Darmstadt im Zuge ihrer Eroberungen gegen die Alemannen errichtet haben, ist nicht stringent widerlegbar und deshalb prinzipiell im Bereich des Möglichen.

Am Ende kann sich also jeder aus einer ganzen Reihe von Möglichkeiten die aussuchen, die ihm selbst am besten gefällt. Darunter zählt sicher auch die Gründung einer Wildhube durch einen bewaffneten Förster namens Darimund, auch wenn diese Erklärung von Anachronismen und Widersprüchen nur so strotzt.

Nachbemerkung:
Für den Fall, dass jemand ganz genau hinschauen sollte, eine Anmerkung noch zu der Skizze mit den „-heim-Orten“. Korrekterweise muss man hier darauf hinweisen, dass ich beim Einzeichnen der heim-Orte sehr oberflächig vorgegangen bin und nur die eingezeichnet habe, die eine gewisse Größe haben (weil die Kartenvorlage, die ich benutzt habe, nicht jede kleine Minisiedlung, die teilweise heute in andere Orte eingemeidet sind, erwähnt hat).

Auch Wüstungen habe ich – anders als bei den Stat-Orten – nicht berücksichtigt. Es existieren insgesamt also mehr -heim-Orte, als hier eingezeichnet sind. Es ging mir nur grob um die Art und Weise, wie sich diese Orte in unserer Gegend verteilen. Angesichts der großen Anzahl an -heim-Orten ist eine solche grobe Skizzierung für die Fragestellung, um die es hier geht, ausreichend. Eine genaue Untersuchung wird ein ähnliches Bild ergeben, bloß dass es noch mehr rote Punkte sind. Die Verteilung wird aber in etwa dieselbe bleiben.

5 Responses to Der Ursprung Darmstadts – Teil 4 und Fazit

  1. Gerald Stiehler says:

    Danke für diesen umfassenden und aufschlussreichen Blog.

  2. Jürgen Piwowar says:

    m Internet bin ich auf eine Seite gestoßen, auf der Deutungen zum Ortsnamen Darmstadt aufgelistet werden https://darmundestat.wordpress.com/2012/04/22/der-ursprung-darmstadts-teil-2/. Ich habe eine eigene und sinnvolle Deutung anzubieten. In der oberhessischen Mundart von Ober-Bessingen u.a. Dörfern gibt es deas Geadeearm (das Gedärme). (das Gedärme, die Innereien). Das dazu passende uralte Verb deearmea (prophezeihen) gab es. In einer Art Prophezeihung, wirkungsvoll wie ein Zauberspruch oder eine Weissagung und als Verstärkung einer Drohung wurde gesagt: doaeass saj dear geadeearmd! (das sei dir angekündigt, prophezeiht, geweissagt). In Oberbessingen schimpft man: woann dea doaeass noach eamoeahl mässd, gebbd’s ea Froachd! Doaeass saj dear geadiearmd! (wenn du das nocheinmal machst, gibt’s eine Tracht/Fracht Prügel. Das sei dir angekündigt, prophezeiht, geweissagt). Ich vermute, dass auch der Ortsname Darmstadt damit in Zusammenhang zu bringen ist. Er ist in der Zeit der Christianisierung entstanden, als es noch zahlreiche heidnische Gebräuche gab, die von den Frommen von Anfang an vehement verfolgt wurden. Diese Konflikte finden sich in zahlreichen dörflichen Uznamen (siehe auch Heft Nr.15) und auch im Namen Darmstadt wieder. Ein heidnischer Brauch, etwas über die Zukunft zu weissagen, bestand darin, das Gedärme, auch andere Innereien eine Vogels oder eines anderen geschlachteten Tieres diesbezüglich zu beurteilen. Dazu heißt es am 21.4.2013 bei Wikipedia: In den Hochkulturen des Alten Orients wurde Wahrsagung insbesondere im Auftrag der Herrscher praktiziert. Zahlreiche Quellen aus Mesopotamien überliefern eine Fülle von Einzelheiten. Das wichtigste Verfahren war die schon um die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. inschriftlich bezeugte Eingeweideschau. Dabei wurde meist aus der Beschaffenheit der Leber eines geschlachteten Opfertiers auf den Willen der Götter und den zu erwartenden Ausgang eines Vorhabens geschlossen. Der Erkenntniswert der verwendeten Wahrsagemethoden wurde unterschiedlich eingeschätzt, das Prinzip als solches aber nicht angefochten. Im antiken Griechenland waren besonders die Vogelschau (Deutung des Vogelflugs), die Leberschau, die Traumdeutung und das Orakelwesen verbreitet … Im Römischen Reich gehörten ebenfalls Vogelschau und Eingeweideschau zu den wichtigsten Methoden, sie wurden von Staats wegen praktiziert. Bezweckt wurde damit nicht ein direkter Blick in die Zukunft, sondern die Beantwortung der Frage, ob die Götter mit einem politischen oder militärischen Vorhaben einverstanden waren und dieses daher als aussichtsreich gelten konnte. Neben dieser staatlichen Wahrsagung, die von Priesterkollegien betrieben wurde, gab es die private zur Erkundung künftiger Schicksale einzelner Individuen. Die von berufsmäßigen Wahrsagern betriebene Wahrsagung außerhalb staatlicher Institutionen war den römischen Behörden suspekt. Darmstadt ist also ein Ort gewesen, in dem man aus der Lage und dem Gesamtzustand der Innereien eines „Opfertieres“ etwas über die Zukunft erfahren konnte.
    Jürgen Piwowar, Mundartforscher
    Urmann@gmx.de

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  4. E: Hiestand Guntersblum says:

    Die Version der Trennlinie zwischen Franken und Alemannen und der Siedlungen zwischen Stockstadt/Rhein und Bergstrasse mit dem Namen- Stadt hat insofern etwas für sich, als es
    im linksrheinischen Teil kölnischen Besitz in Guntersblum gab. Dieser Besitz geht auf das 6. Jahrhundert zurück und bildete das bischöflich kölnische Lehen der Bickenbacher/ Frankensteiner bis 1802. Als einzige kölnische Einflusszone am Oberrhein besetzten diese Lehensgrundstücke die wichtigen Punkte in der linksrheinischen Ebene, sodass man durchaus einen Riegel quer durchs Rheintal erkennt.Unterstützt wird diese These durch die dort quer im Rheintal im Bereich Kühkopf/ Gernsheim verlaufende Sprachgrenze zwischen fränkisch und alemannisch.

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