Neues Buch über die Darmstädter Hexenverfolgungen

Ich hatte ja vor kurzem schon einmal erwähnt, dass ich mir aktuell keinen Überblick mehr über neue Veröffentlichungen über Darmstadts Geschichte verschaffe und, wenn überhaupt, nur zufällig darüber stolpere.

Genau das ist diese Woche wieder einmal geschehen. Ich hatte etwas Zeit zu überbrücken und stöberte in der Buchhandlung. Dabei fiel mir ein kleines, 80-seitiges Büchlein in die Hände: „Matthias Lothhammer: Mit dem Feuer vom Leben zum Tod gebracht, Hexenverfolgung in Darmstadt.“

Ja, tatsächlich, eine eigenständige Veröffentlichung über die Darmstädter Hexenverfolgungen, erschienen dieses Jahr. Ohne auch nur hineingeschaut zu haben, habe ich mich darüber gefreut. Das Thema und die Opfer sind nicht völlig tot und vergessen in dieser Stadt.

Etwas schade ist, dass nur gut die Hälfte des Buchs wirklich die Darmstädter Fälle behandelt. Danach verliert es sich erst in andere hessische Regionen, um dann ganz allgemein den Ablauf eines Hexenprozesses darzulegen. Meiner Meinung nach sollte ein Regionalstudie mehr die Besonderheiten der konkreten Fälle untersuchen als über Elemente zu sinnieren, die in Darmstadt gar nicht zutrafen. Und die Erwähnung von Jeanne d’Arc ist einfach nur überflüssiges Namedropping. Auch ist es eine etwas seltsame Struktur das Allgemeine ans Ende zu stellen statt damit zu beginnen.

Im Literaturverzeichnis las ich dann meinen Namen gleich zweimal, Verweise auf zwei Beiträge aus diesem Blog. Im Text selbst wird dann dreimal konkret auf mich Bezug genommen, auch wenn eines davon nur mich zitiert, wie ich das Protokoll des Gerichtsurteils gegen Margarethe Heil zitiere, und ein weiteres eigentlich eine Schlussfolgerung von Lange/Wolf ist, der ich lediglich zugestimmt hatte. Immerhin der dritte Bezug ist dann originär meine Idee.

Spannender fand ich daher, dass es mehrere Stellen im Buch gibt, bei denen der Autor keinen direkten Bezug zu mir herstellt, es aber doch eindeutig ist, dass das auf eine meiner Ideen oder Meinungen zurückgeht. Dazu gehört zum Beispiel die fragwürdige Rezeption der Darmstädter Hexenverfolgung. Lange/Wolf hatten zwar auch schon darauf aufmerksam gemacht, dass der Hof-Historiograf Johann Steiner im 19. Jahrhundert die Hexenverfolgungen wohl verteidigte, damit kein schlechtes Bild auf den Dynastiegründer des Herrscherhauses fiel, den abstrusen Verteidigungsversuch, den Manfred Knodt 1977 in einem verhältnismäßig viel verkauften Buch über die Darmstädter Herrscher zum Besten gab, habe aber zuerst ich massiv kritisiert. Lothhammer übernimmt – wenn auch weniger scharf – diese Kritik.

Und für solche Dinge gibt es in dem Buch mehrere Beispiele. Das hat mich viel mehr gefreut als zitiert zu werden. Jemanden zitieren ist keine Zustimmung. Wenn man Ideen und Meinungen von jemanden übernimmt, ohne ihn zu zitieren, heißt das, dass man überzeugt hat. Mein Blog hat auf das Thema einen nachhaltigen Einfluss. Daran hatte ich bisher immer Zweifel. Bislang war ich nicht sicher, ob ich all den Kram, den ich hier geschrieben habe und in den ich so viel Arbeit gesteckt habe, nicht auch in ein geheimes Tagebuch hätte schreiben können, ohne dass es weniger Effekt erzielt hätte.

Aber genug der Selbstbeweihräucherung. Man gönne mir das nach all den Jahren einmal.

Zum Buch selbst. Ist es gut? Ist es schlecht? Soll man es kaufen?

Die letzte Frage ist am einfachsten zu beantworten: Ja, macht das. 9,80 EUR sind nicht viel und ihr zeigt, dass das Thema genug Interesse erzeugt, dass sich weitere Veröffentlichungen zu dem Thema lohnen.

Ist es schlecht? Nein. Ich würde ein schlechtes Buch nicht zum Kauf empfehlen.

Ist es gut? Hier wird es schwieriger. Weil meine ehrliche Antwort darauf ist: Kommt drauf an, was man von einem solchen Buch will. Für mich, der sich schon intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, ist es klar zu wenig und zu oberflächig. Für jemanden, der neu an das Thema herangeht, ist es kein schlechter Einstieg, aber ich habe an mehreren Stellen die Befürchtung, dass sich durch die Art der Darstellung falsche Bilder über das Zeitalter der Hexenverfolgungen in den Kopf setzen könnten. Was da bspw. über den Hexenhammer, die Hexenbulle und die Rolle bzw. Meinung des Papstes dazu zu lesen ist, stimmt so einfach nicht. Auch, dass in der Schlussbetrachtung Thomas von Aquin und Heinrich Kramer als Wegbereiter der Hexenverfolgungen genannt werden, aber Luther und Calvin nicht, reproduziert ein Narrativ, analysiert aber nicht, was geschehen ist. Was erstaunlich ist, denn weiter vorne im Buch erwähnt der Autor durchaus Calvins Meinung dazu. Wieso taucht er dann bei der Konklusion nicht auf? Das Narrativ des Hexenhammers als böses Buch, das alles Unheil ausgelöst hat, ist halt stärker, verkennt aber die tatsächlichen Vorgänge.

Da gäbe es noch mehr Beispiele.

Am besten ist das Buch daher für jene, die prinzipiell genug über die Hexenverfolgungen wissen, um die zahlreichen Ungenauigkeiten und vereinzelten Fehler zu erkennen. Dann ist es ein guter Einstieg in die konkreten Darmstädter Fälle. Für tieferes Verständnis empfiehlt sich die Arbeit von Lange/Wolf, auf der dieses Buch genauso größtenteils beruht wie meine Arbeiten dazu. Lange/Wolf ist aber eine Arbeit für Fachpublikum. Nicht jedermanns Sache.

Aber ich möchte nicht missverstanden werden: Was ich hier bemängele, ist auf einem Niveau, das ich bei meinen eigenen Texten auch bemängeln würde. Es ist extrem schwer, jeden kleinen Fehler und jede Ungenauigkeit zu vermeiden. Ich möchte hier aber auch nicht einfach ein Buch empfehlen, dann kauft es jemand auf meine Empfehlung, stolpert über die Ungenauigkeiten und Fehler und fragt mich dann, ob mir das nicht aufgefallen ist.

Doch, ist es. Trotzdem: Kauft das Buch.

Kritik ist aber wichtig. Sie sorgt für bessere Standards, bessere Arbeiten, bessere Bücher.

Vielleicht ist die Frage noch interessant, ob ich selbst etwas Neues aus dem Buch erfahren habe?

Über die Darmstädter Hexenprozesse selbst nicht. Aber Lothhammer erwähnt einen Darmstädter Pfarrer Ellinger, der zur Zeit der Dieburger Hexenprozesse ein Buch namens „Hexen-Coppel“ veröffentlichte, in dem er die Hexenprozesse kritisierte, kurz darauf suspendiert wurde und schließlich in Vergessenheit geriet.

Der war mir bisher völlig entgangen. Da werde ich sicher bei Gelegenheit mal zu recherchieren. Sollte das so gewesen sein, wie es sich hier darstellt, wäre der Mann jemand, an den wir uns erinnern sollten.

Hier noch der Link zur Homepage des Autoren: hexenverfolgung-in-darmstadt.jimdosite.com

Nachtrag vom 06.04.2024: Ich habe mir die „Hexen-Coppel“ von Ellinger zwischenzeitlich angesehen. Es scheint eine ordentliche Verbreitung gehabt zu haben, zumindest findet man im Netz etliche Digitalisate davon. Ich habe bislang nur mal kurz reingeschaut, aber der erste Eindruck ist eher, dass es hier keineswegs um eine Kritik an Hexenprozessen an sich geht, sondern lediglich darum, dass diese in Dieburg von der einfachen Bevölkerung ausgingen und nicht von der Obrigkeit. Hexerei scheint Ellinger für real und verfolgungswürdig angesehen zu haben. Ich muss das allerdings erst noch richtig lesen, bevor ich wirklich ein Urteil fällen kann. Seine Suspendierung, so viel kann ich aber jetzt schon sagen, hatte offenbar nichts mit dieser Veröffentlichung zu tun.

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