Schillerndes Desinteresse

„He, wer hat ne halbe Stunde Zeit, was über die Geschichte Kranichsteins zusammenzufriemeln? 625 Jahre Jubiläum, macht was Nettes.“

So stell ich mir das vor, dass es beim Echo diese Woche gelaufen sein muss, als bei irgendwem im Kalender aufploppte, dass sich die Ersterwähnung des Einsiedel-Rods, aus dem später das Jagdschloss Kranichstein werden sollte, dieses Jahr zum 625. Mal jährt.

Herausgekommen ist das: Stadtteil mit spannender Geschichte: 625 Jahre Kranichstein … hinter der Bezahlschranke, da sollte man auch Mehrwert bieten. Zumal das Layout bei Echo-Online eine solche Katastrophe ist, dass da Lesen echt kein Spaß macht.

Aber egal, habe ich mir mal durchgelesen, war neugierig, was das Echo so für spannende Geschichte hält, weil aus meiner Sicht ist – abgesehen vom Jagdschloss – die Geschichte Kranichsteins eher überschaubar.

Geht gleich gut los:

„Out of Sorgenlos: Das Fleckchen wuchs von einer Einsiedelei zu einem schillernden Darmstädter Stadtteil.“

Weiß nicht, ob „schillernd“ das Adjektiv ist, das mir spontan zu Kranichstein eingefallen wäre. Man merkt Kranichstein an, dass es kein über Jahrhunderte gewachsener Stadtteil ist, sondern große Teile in relativ wenigen Jahrzehnten und vor allem erst im 20. Jahrhundert entstanden sind. Ich laufe gelegentlich vom Bürgerpark aus bis zum Kranichsteiner Bahnhof. Es gibt da Dinge, die haben ihren Charme, aber ein „schillernder“ Stadtteil, nein, wer das schreibt, der hat nach irgendwas gesucht, das er schreiben kann, ohne es zu finden.

Der Artikel wirkt kaum besser, als hätte ihn eine KI erstellt. Da ist die Rede davon, dass nach der Ersterwähnung des Einsiedel-Rods 1399 „alles sehr schnell“ geht. Nur, dass dann so etwa 150 Jahre lang gar nichts geschieht und auch dann nur Schritt für Schritt das Jagdschloss entsteht. Einen Ort Kranichstein gibt’s da noch lange nicht.

Dann aber überspringt der Artikel die Gründungsphase des eigentlichen Kranichsteins ab 1899 und tut so, als sei die Eisenbahnersiedlung erst ab 1929 entstanden. Sonst schreibt das Echo einfach aus dem Stadtlexikon ab, selbst das war diesmal wohl zu aufwendig – oder man hat die Informationen völlig ohne Verstand selektiert. Oder die Redaktion hat den eigentlichen Artikel des Autoren ohne Verstand gekürzt. Was auch immer es war, das Ergebnis ist auf jeden Fall gruslig.

Schließlich gibt es noch eine Auflistung von Vereinen und ähnlichem mit sozialem Engagement. Kann man machen. Wirkt aber so willkürlich, dass die Vermutung naheliegt, dass der Artikel mit nur halb so vielen Worten wie vorgesehen fertig war und irgendwie gefüllt werden musste. Dazu passt auch der einleitende Satz: „625 Jahre Kranichstein, und so wenig Platz, und so wenig Zeit. Also auf die Schnelle nur dies hier:“ So was in die Richtung habe ich schon in sozialen Medien gelesen, aber in einem Zeitungsartikel?

Sorry, aber das war ja mal gar nix. Ehrlich, dann lasst es lieber ganz, wenn ihr offensichtlich nicht wollt.

Lässt Schlimmes befürchten, wenn es 2030 zum 700-jährigen Stadtjubiläum kommt. Ich hoffe, da finden sich ein paar Leute, die was machen, die wirklich Interesse an der Darmstädter Geschichte haben.

One Response to Schillerndes Desinteresse

  1. Anonymous says:

    Echo? Darmstädter Echo? Da war doch mal was. Ja, das war eine darmstädter Tageszeitung, die das Darmstädter Tagblatt geschluckt und dann dicht gemacht hat, um dann von der Inhaberfamilie an eine berühmt berüchtigte Verlagsgruppe verscheuert zu werden.. Seitdem gibt es keine darmstädter Tageszeitung mehr, die den Namenszusatz „Darmstädter“ verdient hätte.

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